Der Feind in meinem Kopf

Zwei neue Filme über die Erschütterung der „inneren Sicherheit“

„Die einzige typische, d. h. regelmäßige Darstellung der menschlichen Person als Ganzes ist die als Haus“, schreibt Siegmund Freud 1916/7 in den „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“. Am Motiv des Hauses als kultureller Metapher kristallisieren sich Vorstellungen von Geborgenheit und Privatheit wie auch Ängste vor dem Außen und der „Unheimlichkeit“.
 Diese Polyvalenz und die Darstellbarkeit des konkreten Hauses zum Verweis auf ein abstraktes Prinzip mögen es so beliebt als Thema in Grusel- und Thrillerfilmen gemacht haben. Über das Haus lässt sich die Verunsicherung des Selbstbildes in greifbar Filmbilder gießen: Die Bedrohungen des Hauses von außen und von innen stellen einen Fundus an veritablen Horrorstoffen zur Verfügung. Zwei jüngst auf DVD erschienene Filme, Guillem Morales „Uncertain Guest“ (Spanien 2004) und Johannes Runeborgs „Sleepwalker“ (Schweden 2000) adaptieren dieses Thema erneut – jedoch auf ganz unterschiedliche und originelle Weise.

„Uncertain Guest“ erzählt die Geschichte des allein in einem großen Haus lebenden Felix. Eines Abends, kurz nachdem ihn seine Freundin wegen seines Egoismus’ verlassen hat, steht ein unbekannter Mann vor seiner Tür und bittet, das Telefon benutzen zu dürfen. Felix willigt ein, lässt den Mann allein telefonieren, doch als er zu ihm zurück ins Wohnzimmer kommt, ist der Fremde nicht mehr da. Aus dem Haus gegangen ist er aber auch nicht. Für Felix beginnt nun eine Zeit der zunehmenden Verunsicherung: Er weiß, dass der Fremde noch bei ihm im Haus ist, quasi neben ihm lebt, doch weder er noch die herbeigerufene Polizei kann ihn entdecken. Also verlässt Felix schließlich sein Haus und begibt sich auf die Suche nach dem Herkunftsort des Fremden. Dabei verwandelt er sich selbst in einen Schatten.

Die Geschichte von Ulrik aus „Sleepwalker“ nimmt sich zunächst ganz anders, aber nicht minder beunruhigend aus: Am morgen nach der Rückkehr des Familienvaters aus einem Urlaub mit Frau und Kindern, findet er sich allein in seinem für die Familie lägnst zu klein gewordenen Haus. Einzig eine enorme Blutlache neben ihm im Ehebett kündigt davon, dass etwas Grauenhaftes geschehen sein muss. Da Ulrik Schlafwandler ist und sich selbst zu verdächtigen beginnt, seine Familie ermordet zu haben, schnallt er sich eine Videokamera um, bevor er sich am nächsten Abend ins Bett legt: Er will wissen, was „er“ nachts treibt. Als er wieder erwacht findet er auf dem Band seltsame Begebenheiten vor: Im Schlaf ist Ulrik zurück zum Ferienhaus gefahren, hat aus dem Kofferaum seines Autos Tüten mit blutigem Inhalt genommen und in einem Brunnen versenkt. Da dennoch weiterhin alle Indizien gegen ihn als Mörder sprechen und ihn zudem seltsame Anrufe – Ulrik meint: von seiner Frau – erreichen, verlässt er sein Haus und begibt sich auf die Suche nach seiner Familie.

Beide Filmplots kreisen um das Phänomen der „inneren Sicherheit“, verhalten sich jedoch wie Invaginationen zueinander: Während „Uncertain Guest“ eine psychologische Parabel über geheime sexuelle Phantasien und Bindungsängste zu sein scheint, die sich an der Bedrohung des Hauses als Ort des Rückzugs kondensiert, externalisiert „Sleepwalker“ seine Psychologie ins Unbildliche: Ulrik verlässt sein ganz reales Haus, weil er weiß, dass die Unsicherheit, ja, die Unheimlichkeit, in ihm selbst situiert ist. Er ist – wie Freud diese große Verunsicherung des modernen Subjektes nannte – nicht mehr „Herr im eigenen Haus“ – sein Unbewusstes hat nachts die Kontrolle über seinen Körper genommen und dieser beginnt gegen die „Diktatur der Vernunft“ bzw. des Ich zu rebellieren.

 Diese Konstellation erinnert an Clive Barkers Erzählung „The Body Politics“, in der die Hände eines Mannes nachts eine Revolte gegen ihren „Besitzer“ anzetteln und diesen schließlich zum Mörder an seiner Frau machen. Doch im Gegensatz zu Barkers Helden, der nur seinen versagenden Psychoanalytiker zur Seite hatte, steht Ulrik die Medien-Technologie bei. Mithilfe der Kamera überwacht er sein unbewusstes Treiben, holt er die sich in Handlungen manifestierenden Traumbilder zurück ins Bewusstsein, bannt sie auf Video, wiederholt sie im Bewussten. Doch dies ist angesichts der Bilder hilflos: in Ulriks Traumvideo herrscht ein Informationsdefizit wie in einem Traum. Er sieht sein Tun nur aus einer Perspektive, ohne erkennbare Dramaturgie und ohne sinnstiftende Montage. Konsequenterweise leitet er daraus die falschen Schlüsse und Aktionen ab.

Felix indes begreift die Verunsicherung seiner Sicherheit, das Eindringen des Anderen in sein Leben, als Chance: Er überwältigt den fremden Mann in seinem Haus und macht sich auf die Suche nach dessen herkunft. Auf dem Weg begegnen ihm zwei Kinder, die ihn für jenen Eindringling halten, den er bei sich im Keller eingesperrt hat. Es gibt also eine Verbindung, zumindest eine Ähnlichkeit zwischen Felix und dem Fremden, zu dessen Haus die Kinder Felix den Weg weisen. Als er es erreicht, findet er dort eine blinde, gelähmte Frau vor, die auf ihren plötzlich fortgelaufenen Ehemann wartet. Felix nistet sich bei ihr ein und lebt neben ihr ein Leben, das ihm angenehmer als sein eigenes scheint. Erst als er die räumliche Verbindung des fremden und seines eigenen Hauses entdeckt, beginnt er zu ahnen, dass er sich in einem Phantasma aufhält.

Hier sind wir zusammen mit Felix es, die einen Traumfilm sehen – einen Film über das Ausweichen vor Entscheidungen, Bindungen und nicht zuletzt vor den Konsequenzen unserer Handlungen. Felix nimmt uns mit auf eine Reise in seine unbewussten Ängste und der Film kaschiert diese imaginäre Reise wie einen Trhiller. Der Traum beginnt sich aufzulösen, als sich die in ihm und durch ihn produzierten Widersprüche nicht mehr miteinander in Einklang bringen lassen und das Realitätsprinzip seinen Tribut fordert – in Form von Bildern aus Felix’ Wirklichkeit, zu denen er sich gezwungen sieht zu verhalten.

Filme über Eindringlinge in die Sicherheit des Hauses hat es in der jüngeren Zeit immer wieder gegeben. Man denke an Kim Ki-duks genialen „Bin-jip“. Dort war die Intrusion mit dem Wunsch verbunden, sich ein Heim zuschaffen – und wenn auch nur für kurze Zeit. Das Einbrecher-Paar, ds nicht miteinander reden musste, sondern sich allein durch soziale und familiäre Konventionen des Wohnens verständigen konnte, hat durch sein widerrechtliches Bewohnen fremder Räume für sich selbst so etwas wie eine Heimat geschaffen. Ein anderes Beispiel ist der in Kürze startende „Right at your Door“ (USA 2006, Chris Gorak). Hier ist das Haus die scheinbar letzte Zufluchtsstätte vor dem Gift einer „Dirty Bomb“, die in der nahegelegenen Stadt explodiert ist. Durch die Kontamination von Außen und die damit verbundene Abschottung ändert der Raum jedoch seinen Charakter und wird zur Falle.

Ähnlich ist es auch bei „Sleepwalker“ und „Uncertain Guest“: Das Besiedeln des fremden Raums – sei es nun als realer Ort oder als Metapher des Unbewussten – soll für den Siedler Rückzugsmöglichkeiten erschließen. Das Besiedeln und Verbarrikadieren im vermeintlichen Rückzugsort ist jedoch ein aggressiver Akt und wird als solcher sanktioniert: Je mehr Ulirik über die Architektur seines Unbewussten herausfindet, desto mehr verliert er sich in ihren Scheinwahrheiten; je weiter Felix in die Privatsphäre der blinden Frau eindringt, desto mehr entfremdet er sich von seinem eigenen Leben. Die neu gewonnene vermeintliche Sicherheit erweist sich so schließlich als nur neue Form der Unsicherheit.

In diesen Filmen scheint ein Reflex aufzuleuchten über eine neue Wahrnehmung von Bedrohung und über einen archaischen Wunsch nach einer „neuen Zurückgezogenheit“ ein „Traum vom Haus im haus“ (Peter Handke). Vielleicht sind diese Themen und Filme Ausdruck der politischen und sozialen Existenz der Gegenwart, die durch eine ständige innere wie äußere Gefahr bedroht zu sein scheint und in der jeder Rückzug sofort als konservativer Akt der Erzeugung einer naiven Scheinsicherheit entlarvt wird. Vielleicht bilden sie den Status des Individuums in der westlichen Gesellschaft, entkoppelt von engen sozialen Bindungen und bis zur Entropie individualisiert, ab. Die kulturelle Verarbeitung dieser Zustände,  Bedrohungen und der mit ihnen verbundenen Ängste scheint in Qualität wie Quantität dafür zu sprechen, dass es ein Problem mit den Räumen gibt – seien sie nun physikalische oder psychisch.

Uncertain Guest
(El Habitante incierto, Spanien 2004)
Regie & Buch: Guillem Morale; Musik: Marc Vaíllo; Kamera: Sergi Bartrolí; Schnitt: Joan Manel Vilaseca
Darsteller: Andoni Gracia, Mónica López, Francesc Garrido, Agustí Villaronga, Minnie Marx u.a.
Länge: 90 Minuten
Verleih: Koch

Sleepwalker
(Schweden 2000)
Regie & Buch: Johannes Runeborg; Musik: Christian Kribbe Sandqvist; Kamera: Håkan Holmberg; Schnitt: Johan Brännströ & Johannes Runeborg
Darsteller: Ralph Carlsson, Tuva Novotny, Ewa Carlsson, Anders Palm, Donald Högberg u.a.
Länge: 95 Minuten
Verleih: epiX


Uncertain Guest – Die DVD von von Koch

Sprachen: Deutsch, Spanisch
Untertitel:Deutsch
Soundsysteme: DD 2.0, DD 5.1
Bildformate: 1.85:1 (16:9)
Extras: Making of, Trailer
FSK: ab 16 Jahren
Preis: 17,99 Euro (Amazon)
Informationen

Diese DVD bei Amazon kaufen.


Sleepwalker – Die DVD von epiX

Bildformat: 16:9/1:1,85
Ländercode: 2 (PAL)
Audio: Dolby Digital 2.0
Sprachen: Deutsch, Schwedisch
Untertitel: Deutsch (aus lizenzrechtlichen Gründen in der Originalfassung nicht ausblendbar)
Extras: Originaltrailer, Biografien, Der Somnambulismus, EPIX-Trailershow
FSK: ab 16 Jahren
Preis: 13,99 Euro (Amazon)
Informationen

Diese DVD bei Amazon kaufen. 

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.