Was ich bin, sind meine Filme

Über das Verhältnis von Authentizität und Autorschaft in den Filmen Werner Herzogs
Die Frage der Autorschaft scheint in kaum einem filmischen Werk so wenig prekär zu sein, wie in dem Werner Herzogs. Entwickelte er doch einerseits Spielfilmplots, die einem modernen Narrativ verpflichtet stets ungebrochen und völlig linear aus einer auktorialen Perspektive erzählt werden. Sein dokumentarisches Werk andererseits zitiert Herzog als Autor selbst immer wieder vor die Kamera, wo er dann mit der Souveränität des Berichterstattenden eine eigene Position zum Gegenstand des Films bezieht. Das seinem gesamten Oeuvre übergeordnete Motiv des „titanischen Scheiterns“, auf das die Sekundärliteratur immer wieder hingewiesen hat, versieht die einzelnen Filme zusätzlich mit einer individuellen Handschrift, die letztlich sogar eine philosophische und psychologische Agenda des Autors Werner Herzog zu umreißen scheint.

Und doch trügt der Schein, wie sich an den beiden Filmen, die wir heute zu sehen bekommen, zeigen wird. In zweierlei Hinsicht problematisieren sie die Frage der Autorschaft und verweisen auf die mit ihr zusammenhängende Frage nach der Authentizität des Gezeigten. Zum einen erwecken diese Filme, die nicht von aber über Werner Herzog sind, den Eindruck, der Münchner Regisseur habe sich dennoch als Autor in sie eingeschrieben – sie tragen seine Handschrift, nicht zuletzt, weil sie von ihm und seinen Themen handeln. Herzog tritt in beiden Dokumentarfilmen nicht nur als Objekt auf, sondern als filmendes Objekt und darüber hinaus in „Incident at Loch Ness“ als einer seiner scheiternden Titanen. Beide Filme gehören zur Gattung des Dokumentarfilms – was sich an ihren Ästhetiken und der Behandlung ihrer Thematiken ablesen lässt. Und über die Tatsache, dass beide Filme auch Filme über Filme und Autorschaft sind, beleuchten sie auch die Frage nach der Authentizität und Objektivität ihres Gegenstandes – eine Frage, die dem Dokumentarfilm seit Ende der 1960er Jahre anhängt.

Das Phänomen der Autorschaft hält in den späten 1940er Jahren Einzug in die Filmtheorie. Eine Gruppe französischer Filmpublizisten, von denen einige später selbst zu Regisseuren werden, entdeckt in us-amerikanischen Genre- und Studioproduktionen Qualitäten, die deren Regisseure als Autoren im Sinne einer individuellen künstlerischen Instanz ausweisen. Auf einmal sind die Filme Alfred Hitchcocks, Charles Chaplins, John Fords und anderer nicht mehr nur anspruchsvolle Unterhaltung, sondern dezidiert künstlerische Aussagen, die eine individuelle Ästhetik formieren. Diesem Vorbild gemäß entsteht in der Nachkriegszeit in Frankreich, Italien und in den 60er Jahren auch Deutschland ein Autorenkino, in dem die einzelnen Regisseure sich als Autoren verstehen und mit ihren Filmen persönliche Aussagen zu sozialen, philosophischen und politischen Fragen treffen wollen. Zu den Autorenfilmern Deutschlands wird auch Werner Herzog gezählt, der mit Werken wie „Lebenszeichen“ und „Auch Zwerge haben klein angefangen“ Ende der 1960er Jahre in genau dieser Hinsicht auf sich aufmerksam macht und zusammen mit Regisseure wie Volker Schlöndorff, Alexander Kluge, Rainer-Werner Fassbinder und anderen vom „Filmverlag der Autoren“ in den Diskurs gebracht wird.

Doch von Beginn an sind es nicht nur Spielfilme, die Herzog inszeniert, sondern auch Dokumentarfilme: „Die fliegenden Ärzte von Ostafrika“ (1969) und „Land des Schweigens und der Dunkelheit“ (1971) sind zwei frühe Beispiele seiner Arbeit auf diesem Gebiet. Beide Filme aspektieren gesellschaftliche Themen, die Herzog vor die Kamera bringt, Themen, die in der außerfilmischen Wirklichkeit existieren und deren filmische Darstellung schon deshalb „Authentizität“ für sich verbuchen kann. Etwa zur selben Zeit findet in der französischen Filmtheorie eine Wende statt. Jean-Luc Godard, der zu den Initiatoren der politique des auteurs gehörte, beginnt im Zuge der Auseinandersetzung mit den poststrukturalistischen Theorien einen Rückzug aus dieser Bewegung. Zunächst tragen seine Filme nur noch seine Initialen, später lässt er seinen Namen sogar vollständig aus den Titeln weg, um sich nicht als Autoreninstanz zu inszenieren. Etwa zeitgleich beginnt er eine Kritik am Cinéma vérité zu formulieren, das für sich in Anspruch nahm, möglichst vom Filmemacher unbeeinflusste Bilder einzufangen, um auf diese Weise der Subjektivitätsfalle des Dokumentarfilms zu entgehen.

Ob Herzog diese Debatte und die Wende in der Autor- und Dokumentarfilmtheorie aktiv verfolgt hat, ist mir nicht bekannt. Bereits seine frühesten Filme scheinen dieser Entwicklung jedoch Rechnung zu tragen. Anders als Godard formuliert Herzog seine Kritik an der Autorschaft jedoch nicht durch allmählichen Rückzug aus den Paratexten seiner Filme. Es scheint vielmehr, als erkenne er die problematische Dialektik eines solchen Vorgehens, welches den von den Zuschauern und der Kritik längst kanonisierten Regisseur nicht mehr nennt und damit die Instanz nicht etwa abschafft, sondern nur verschweigt. Herzog vermeidet dieses Problem, indem er sich überdeutlich als Autor auf möglichst vielen Ebenen mitinszeniert: Angefangen bei seinen Auftritten vor der Kamera (z. B. in „Die große Extase des Bildschniters Steiner“, 1974), über die Fortschreibung seiner Titanen-Agenda selbst in den Dokumentarfilmen (besonders deutlich etwa in „Gasherbrum – Der leuchtende Berg“, 1984) bis hin zur Aufnahme seiner selbst in die Filmtitel („Mein liebster Feind“, 1999). Indem er sich auf diese Weise vordringlich ins Spiel bringt unterstreicht er den immer schon vorhandenen subjektiven Charakter seiner Dokumentarfilme.

In Interviews betont er darüber hinaus immer wieder, dass er es für unmöglich halte, ein Thema authentisch im Sinne einer objektiven Referenz an die außerfilmische Wirklichkeit umzusetzen. Ihm ist bewusst, dass beim Entstehen eines Films, auch eines Dokumentarfilms, eine Geschichte auf einen Geschichtenerzähler trifft, die dieser im Akt der Adaption mit seiner subjektiven Erzählhaltung verformt. Da diese Tatsache durch keinerlei Techniken zu umgehen ist, macht Herzog ein Prinzip aus ihr. Künftig sind seine Dokumentarfilmsujets für ihn Anlass zur Introspektion: Wie würde ich selbst in dieser Situation reagieren? Was denke ich über dieses Thema? Welches Bild assoziiere ich mit jenem fremden Erlebnis. Das Resultat dieser Introspektionen sind Filme, die man heute vielleicht mit dem Begriff der „scripted reality“ etikettieren würde. Filme, die eine fremde Geschichte zu einer Geschichte von und gleichzeitg über Werner Herzog machen.

In seinem 1997 entstandenen Dokumentarfilm „Little Dieter needs to fly“ setzt er sich mit dem Problem der Gefangenschaft auseinander. Der deutsche Flieger Dieter Dengler, der in den 1960er Jahren der US-Luftwaffe beitritt, stürzt während des Vietnam-Krieges über dem Feindesgebiet ab und wird in einem Gefangenenlager interniert. Von dort gelingt ihm die Flucht zusammen mit einem Mitgefangenen – zu Fuß und mit nur einem Schuh durch den Dschungel bis nach Laos. Bevor Herzog mit dem Mann an den Ort des Geschehens zurückkehrt (eine jener das Trauma wiederholenden Konfrontationen, für Herzogs Filme berüht geworden sind), sieht man Dieter, wie er bei sich zu Hause immer wieder Türen öffnet und schließt. Als Gefanener wäre es ihm als höchster Ausdruck der Unfreiheit erschienen, eine Tür nicht öffnen zu können. Das rituelle Öffnen und Schließen von Türen ist ihm daher nun Ausdruck und Bestätigung seiner Freiheit geworden. Eine abstrakte Idee, die so klar und so filmisch metaphorisiert ist, dass sich wohl jeder Dokumentarfilmer über sie freuen würde; allein, sie stammt nicht von Dieter, sondern von Werner Herzog. Zusammen mit seinem Protagonisten ist er darin übereingekommen, dass sich in diesem Bild beider Vorstellung von Freiheit bildlich konkretisieren ließe und so lässt der Regisseur etwas „spielen“, das uns, weil es im Rahmen eines Dokumentarfilms gespielt wird, als authentisch erscheint.

Es gibt etliche dieser Beispiele: In „Im Land des Schweigens und der Dunkelheit“ (1971) beschäftigt sich Herzog (und das ist wörtlich gemeint) mit der Frage „Wie nehmen Taub-Blinde die Welt wahr?“ In „Julianes Sturz in den Dschungel“ (2000) reinszeniert er die Flucht einer im Amazonas verschollenen jungen Frau, die sich allein durch den Urwald zurück in die Zivilisation kämpft und formuliert gleichzeitig scharfe Kritik an exploitativen Spielfilm-Reinszenierungen dieser Erlebnisse, die er wiederum dazu nutzt, um seiner eigenen Motivgeschichte einen weiteren narrativen Baustein hinzuzufügen. Über die Geschichte des gerade angesprochenen Dieter Denglers dreht Herzog sogar selbst gerade einen Spielfilm. Die Konstruktion von Authentiztität geht schließlich so weit, dass Herzog in einem seiner jüngsten Dokumentarfilme – „White Diamond“ (2004) – einen seiner Protagonisten komplette Monologe aus seinem Spielfilm „Cobra Verde“ (1987) aufsagen lässt – keineswegs in zitierender Absicht, sondern abermals, weil sie in der Situation den perfekten Ausdruck eines abstrakten Gedankens liefern.

Hier zeigt sich bereits deutlich, dass der Zusammenhang von Autorschaft und Authentizität bei Herzog nicht nur problematisch, sondern höchst produktiv ist. Herzogs Filme sind, ganz gleich wovon sie handeln, immer auch Filme über ihn selbst. Auch wenn die Ideen, die Herzog in ihnen zum „Vorschein“ bringt, letztlich – wie es die Autorentheorie konstatiert – nicht zweifelsfrei auf ihn als Urheber zurückzuführen sind, macht er dennoch das Geflecht von Referenzen und Selbstreferenzen deutlich, von dem jeder Film, auch jeder Dokumentarfilm bestimmt ist.

Wir werden jetzt im Anschluss zwei Filme sehen, die nicht von Werner Herzog sind, aber – wie gesagt – von ihm handeln. Im ersten, kürzen, „Werner Herzog eats his Shoe“ (1980) inszeniert Les Blank (der Regisseur, der Herzog bereits bei den Dreharbeiten zu „Fitzcarraldo“ an den Amazonas begleitet hat, um dort den Dokumentarfilm „Burden of Dreams“ zu drehen) eine von Herzog verlorene Wette, über deren Hintergrund ich nur so viel verraten will, als dass sie selbst äußerst filmisch ist. Dass der Film mit dem wörtlich zu nehmenden Titel Herzog hier darstellt, wie er sich von seinem eigenen Versprechen in die Pflicht nehmen lässt, ist ein Beleg dafür, wie ernst Herzog die Sache des Dokumentarfilms ist.

Der zweite Film dokumentiert einen Skandal, der durchaus nicht einmalig in Herzogs Werk ist: Es geht um ein gescheitertes Filmprojekt, bei dem es Tote gegeben hat. Wie in den 1970er Jahren Les Blank, begleitete 2004 Zak Penn den deutschen Regisseur nach Schottland, um ein „Making of“ über die Entstehung eines Dokumentarfilms zum „Monster von Loch Ness“ zu drehen. Wie vor über 30 Jahren im Dschungel Südamerikas, überschlagen sich auch hier die Ereignisse und zeigen letztlich einen Filmemacher, der seine Sache um den Einsatz des eigenen Lebens verfolgt und dabei titanisch scheitert.

„Incident at Loch Ness“ greift in vielen Aspekten die hier angestellten Überlegungen zur Frage der Autorschaft in Werner Herzogs Dokumetarfilmwerk wieder auf. Zwar ist Herzog hier selbst Gegenstand des Films, den ein anderer inszeniert hat, man kann sich des Eindrucks jedoch nicht erwehren, als hätte dieses „Making of“ ursprünglich die Funktion gehabt, die Säkularisierung von Autorschaft, an der Herzog seit nunmehr über drei Jahrzehnten arbeitet, fortzuentwickeln. Beide Filme, „Werner Herzog eats his Shoe“ und „Incident at Loch Ness“, sind, gerade indem sie einen Autor zum Gegenstand haben, der ein so brisantes Verhältnis zu seiner eigenen Tätigkeit unterhält, in gewisser Hinsicht auch Filme von Werner Herzog. Seine Präsenz vor der Kamera, die Referenz auf ihn im Titel und die Art und Weise, wie hier abstrakte philosophische Sinnbilder in Filmbilder übersetzt werden, arbeiten am selben Projekt.

Eine Antwort auf „Was ich bin, sind meine Filme“

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.