Wissen ist Gott

Der indische Film hat sein Pforten für den Westen geöffnet. Die größte Filmnation der Welt wird derzeit vom Kino, mehr aber noch vom DVD-Markt exploriert und westlichen Zuschauern zugänglich gemacht. Doch es sind zumeist kitschige Melodramen mit Gesangseinlagen und andere Genrefilme, die vom Subkontinent kommen. Politisches indisches Kino ist selten. Umso mehr erfreut es, wenn ein Film wie “Water”, der sich mit der politischen Vergangenheit und den Menschenrechten auseinandersetzt einen Kinostart in Deutschland bekommt.


water.jpgDie Geschichte, die “Water” erzählt spielt im Jahre 1938 in der heiligen Stadt Varanasi. Gerade ist Ghandi dabei, sich mit seinem Konzept des passiven Widerstandes gegen die britischen Besatzer und mit seiner radikal dem Gewissen folgenden Ethik gegen das teilweise menschenunwürdige hinduistische Glaubenssystem aufzulehnen. In diesen Wirren wird die kleine Chuyia (Sarala) zur Witwe. Den Traditionen gemäß muss sie nun in einem Witwenhaus den Rest ihres Lebens in Keuschheit und Weltabgewandtheit verbringen. Dem stürmischen und wütenden kleinen Mädchen gefällt diese Vorstellung nicht, aber es ist ohnmächtig gegenüber dieser Entscheidung. Im Witwenhaus lernt sie die junge Kalyani (Lisa Ray) kennen – die einzige dort lebende Frau, der die Haare nicht abgeschoren wurden. Kalyani wird von der Leiterin zur Prostitution mit reichen Brahmanen gezwungen, um das Geld für das Überleben des Hauses zu beschaffen. Auf einem Streifzug an den heiligen Fluss lernt sie den jungen Juristen Shakuntala (Seema Biswas) kennen, der sich sofort in die wunderschöne Witwe verliebt. Doch die religiösen Gesetze verbieten eine solche Verbindung. Shakuntala ist das egal – als Ghandi-Anhänger sieht er über Standesgrenzen und überkommene Sitten hinweg. Er macht Shakuntala einen Heiratsantrag, ohne von ihrem “Beruf” zu wissen, der sie schon häufig zu Shakuntalas Vater geführt hat. Eine Tragödie bahnt sich an.

“Water”, nach "Fire" (1996) und "Earth" (1998) der dritte Teil von Deepa Methas Trilogie, ist ein gleichermaßen schöner wie trauriger Film. Man kann sich den Bilder, vor allen den Aufnahmen während des Monsu-Regens und der wundervollen Musik (teilweise mit für den Film komponierten Liedern) kaum entziehen. Zudem bindet den Zuschauer das Schicksal der von allen verachteten Frauen an die Geschichte. Ohnmächtig und fassungslos ist man gezwungen mitanzusehen, wie die starren Traditionen das Leben und die Liebe bedrohen und schließlich vernichten. Ausbruch aus dieser Lebenswelt scheint für die Frauen unmöglich – selbst als eine von ihnen erfährt, dass es zwar mit religiösen Gesetzen nicht vereinbar ist, als Witwe erneut zu heiraten (weil man dem ersten Mann bis über den Tod hinaus “gehört”), es nun aber ein weltliches Gesetz gibt, das dies nicht mehr verbietet: “Wir ignorieren Gesetze, die uns nichts nützen”, erwidert ein Geistlicher als eine der Witwen ihn fragt, warum dieses Gesetz nirgends bekannt sei. Diese Ignoranz aufzubrechen, hat sich die Revolution Ghandis angeschickt. Sein Credo “Nicht Gott ist Wissen, sondern Wissen ist Gott” ist es schließlich, dass genau jene Witwe zum finalen Regelbruch bringt und die kleine Chuyia vor einem Leben ins Zwangsprostitution bewahrt. Denn hierin macht auch der Ghandi-Anhänger Shakuntala den eigentlichen Grund für die strengen religiösen Regeln aus: “Verkleidet als Religion geht es nur ums Geld.”

Mit “Water” hat der indische Regisseur Deepa Metha ein aufrüttelndes Drama inszeniert. Vor allem die starken Schauspielerinnen – allen voran die Kinderdarstellerin Sarala – verhelfen dem Film zu seiner eindringlichen Botschaft. In mehr als zwei Stunden entfaltet er amüsante, romantische und tragische Szenen von unglaublicher Intensität. Und trotz aller Wendungen und dramaturgischen Aufs und Abs schafft er es dabei für ein Thema zu sensibilisieren, dass heute wie vor 70 Jahren in Indien hochbrisant ist. Immer noch leben mehr als 30.000 Witwen in fast rechtloser Existenz in Indien. Daran, wie leider auch an vielem anderen hat Ghandi nichts ändern können.

Water
(Kanada/Indien 2005)
Regie & Buch Deepa Mehta; Musik: Mychael Danna &  A.R. Rahman; Kamera: Giles Nuttgens; Schnitt: Colin Monie Darsteller: Lisa Ray, Seema Biswas, Kulbhushan Kharbanda, Waheeda Rehman, Raghuvir Yadav, Vinay Pathak u. a. Verleih: Universum/Central
Länge: 114 Minuten

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