Die Nase der Rose

Drei Romane, darunter zwei von deutschsprachigen Autoren, haben in den 1980er und 1990er Jahren auf besondere Weise von sich reden gemacht, weil sie schon bald nach ihrem Erscheinen zum Inbegriff populärer postmoderner Literatur geworden sind. Die Rede ist von Umberto Ecos "Der Name der Rose", Robert Schneiders "Schlafes Bruder" und Patrick Süskinds "Das Parfum". Die Verwertungslogik der Kulturindustrie hat die ersten beiden recht schnell in zwei ganz unterschiedlich anspruchsvolle Filme verwandelt, wohingegen Süskind für seinen Text die Verfilmungsrechte lange Zeit nicht abgeben wollte. Nun ist es – nach über 20 Jahren – doch geschehen und nicht nur, weil sich dem Stoff dasselbe Produktions- und beinahe dasselbe Drehbuch-Team wie bei "Der Name der Rose" angenommen hat, ist das Ergebnis der Annaud-Adaption näher als Vilsmairs "Schlafes Bruder"-Film.


parfum.jpgBeinahe sklavisch folgt der Filmplot der Fabel des Romans: Erzählt wird die Lebensgeschichte Jean-Baptiste Grenouilles (Ben Whishaw), von dessen Geburt auf einem Pariser Fischmarkt über seine Kindheit und Jugend, die er als Kinderarbeiter und Gehilfe in einer Gerberei verbringen musste, bis hin zu seiner Anstellung als Parfumeurlehrling beim aus der Mode gekommenen Duftmischer Guiseppe Baldini (Dustin Hoffman), dem Grenouille dank seiner Gabe des absoluten Geruchs bald zu einer Berühmtheit macht. Das eigentliche Drama nimmt seinen Lauf, als der stets neue Düfte sammelnde Lehrling einer jungen Frau (Karoline Herfurth) wegen ihres ihn betörenden Geruchs folgt und diese aus Versehen erstickt. Hilflos ist Grenouille bemüht, den Duft vom Körper der toten 15-Jährigen in sich einzusaugen, ihn für sich und die Welt zu konservieren – was ihm nicht gelingt. Also widmet er sein Parfumeur-Interesse genau jenem Problem: Wie lässt sich der Duft von Menschen konservieren. Seine Studien bringen ihn in die Parfum-Stadt Grasse, wo er schon bald das passende Verfahren entdeckt und beginnt, junge Frauen zu ermorden und ihre Düfte zu sammeln. Als man überführt verurteilt und bestrafen will, verfügt er über eine Waffe, mit der er selbst seinen Ankläger und den Henker unterwirft: das absolute Aphrodisiakum.

Diese Geschichte erzählt auch der Roman und es ist wohl jedem Leser schnell klar geworden, dass sich hinter ihr ein ästhetisches Projekt verbirgt, dass also "Die Geschichte eines Mörders" (so der Untertitel von Film und Buch) eigentlich die Grundlage für eine ganz ähnlich geartete Frage ist: Wie lässt sich Geruch literarisch konservieren? Welche Möglichkeiten hat Film als rein audio-visuelles Medium überhaupt, Sinne, genauer: Sinneswahrnehmung, jenseits seiner technischen Möglichkeiten zu thematisieren? Das Mittel der Wahl ist das sprachliche „Bild“ – die Metapher, die Metonymie, der Vergleich. Über schriftliche solche Bilder gelingt es Süskind, sich dem wohl rätselhaftesten der menschlichen Sinne anzunähern und eine Studie über die Macht der Geruchsassoziationen zu entwerfen: Der Geruch ist der einzige Sinn, dessen Informationen auf direktem Weg und ungefiltert in eine entwicklungsgeschichtlich sehr alte Region des Gehirns gelangen und dort direkte Emotionen auszulösen in der Lage sind. Diese Ungekreuztheit des Riechnervs wird auch als ein Grund dafür angesehen, weswegen sich Geruch so schlecht in direkte Sprache übersetzen lässt.

Aber in Sprachbilder lässt er durchaus sich transferieren, denn auch sie sind in der Lage Assoziationen und Emotionen zu wecken und es hätte also nahe gelegen, dass sich auch ein Film über das Riechen dieser Herausforderung annimmt und versucht bildliche Zugänge zum Geruchsthema zu finden. Ähnlich wie es Vilsmair in "Schlafes Bruder" erreicht hat, für die Töne, die Elias hört und produziert, die „richtigen Bilder“ zu finden, hätte auch ein Film über "Das Parfum" ein eher synästhetisches Vorgehen wählen müssen, um dem Projekt der Romanvorlage angemessen zu sein. Doch wie Bernd Eichinger und sein Koautor Andrew Birkin in scheinbar grenzenloser Naivität schon bei "Der Name der Rose" geglaubt haben, es handele sich um ein Buch, das einen Krimi im Mittelalter erzählt (und nicht etwa über ein Buch, das die Historie eines anderen Buches erzählt), so sehen sie auch in Süskinds Roman einzig "Die Geschichte eines Mörders" und inszenieren diese bar jeder anspruchsvollen Note.

Ein einziges Mal, nämlich als der Parfumeur Baldini die erste Eigenkreation Grenouilles zu riechen bekommt, schimmert durch den Film hindurch, was er hätte sein können: Als er am Flakon riecht, löst sich der Raum um Baldini auf, er steht in einem Garten und wird von einer elfenhaften Frau geküsst, die ihm sagt „Ich liebe dich.“ All die übrige Zeit lässt Tykwer komplizierte Situationen (etwa das Eremitendasein, das Grenouille zur finalen Selbsterkenntnis treibt) entweder durch einen Off-Sprecher (Otto Sander) aus dem Roman vorlesen oder beschränkt sich darauf, das Thema "Geruch und Riechen" durch die leinwandfüllende Großaufnahme von Nasen zu inszenieren. Die übrige Zeit der immerhin fast 3 Stunden dauernden Literaturverwurstung ergötzt sich der Film an einer möglichst authentisch wirken wollenden Wiedergabe der vorrevolutionären Zeit, wird zum Historiendrama und Ausstattungsschinken.

Von echten cineastischen Visionen ist hier – wie ja leider auch beinahe in der gesamten deutschen Filmgeschichte der letzten 25 Jahre – keine Spur. Wenn etwas gefühlt werden soll, unterlegt man das nichts sagende Bild einfach mit einem bedeutungsschwangeren aber eigentlich ebenso uninspiriertem Gesangssoundtrack. Die gesamte Ambivalenz des Grenouille'schen Mordens, die schon im Roman ein deutlicher Hinweis auf die Nebensächlichkeit dieses Themas gewesen ist, wird ebenfalls durch solche kontrapunktisches "hässliches Bild"-"schöner Ton"-Szenen transportiert. So ist "Das Parfum" ästhetisch völlig unauffällig und als Adaption daher gescheitertes, wird aber seine Zuschauer unter den "anspruchsvollen Kinogängern" finden, ein Einspielergebnis generieren, das die immensen Fördermittel (mit denen ambitionierteres Kino hätte gefördert werden können) rechtfertigt und sicherlich auch mit Preisen bedacht werden. Einer guten Adaption wäre dies vielleicht nicht beschieden.

Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders
(Deutschland/Frankreich/Spanien 2006)
Regie: Tom Tykwer; Buch: Andrw Birkin, Bernd Eichinger, Tom Tykwer; Musik: Reinhold Heil, Johnny Klimek, Tom Tykwer; Kamera: Frank Griebe; Schnitt: Alexander Berner
Darsteller:Ben Whishaw, Dustin Hoffman, Alan Rickman, Rachel Hurd-Wood, Paul Berrondo, Carmen Contreras u. a.
Verleih: Constantin
Läng: 174 Minuten
Start: 14.09.2006

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