Science Faction

Gabriel Noone (Robin Williams) ist ein berühmter Romancier, Moderator der nationalen Radioshow „Noone at Night“, homosexuell und soeben von seinem jüngeren, HIV-positiven Geliebten verlassen worden. In seinen Trennungsschmerz platzt sein Verleger mit dem Auftrag, ein Buch zu lektorieren und zu begutachten. Bei diesem Buch handelt es sich um die Autobiografie des erst 14-jährigen Pete Logand (Rory Culkin), der von seinem Vater und dessen pädophilen Freunden jahrelang missbraucht wurde und nun aidskrank im Sterben liegt. FFF 2006Gabriel ist begeistert von dem Buch und nimmt telefonisch zu dem Jungen Kontakt auf. Schon bald entwickelt sich eine enge Telefon-Freundschaft zwischen den beiden, bis Gabriels Ex-Freund den Verdacht äußert, der Schriftsteller könne einem Betrug aufsitzen, da die Stimmen von Pete und seiner Pflegemutter Donna zum Verwechseln ähnlich klängen. Gabriel ist empört über diese Verdächtigungen, doch als er erfährt, dass auch sein Verleger nie persönlichen Kontakt zu Pete hatte, ist seine Neugier geweckt und er macht sich auf die Suche nach dem Jungen. Bald mehren sich die Hinweise, dass Pete tatsächlich nur eine Erfindung der psychisch kranken Donna ist.

Patrick Stettners Film basiert auf einem autobiografischen Roman von Amistead Maupin, befasst sich auf mehreren Ebenen mit der Bedeutung von Authentizität und der realitätsstiftenden Funktion von Erzählung und reflektiert damit auch seine eigene Entstehung. Der Film beginnt mit dem Aufrichtigkeitsversprechen seines Erzählers Gabriel Noone: Als Schriftsteller nehme er die Realität ungefiltert auf und sortiere dann wie eine diebische Elster alles aus, was nicht glänzt. Doch in diesem Fall müsse er die Fakten genau beachten, denn sie seien für diese Erzählung von besonderer Bedeutung. Ein trügerisches Versprechen, denn es ist unübersehbar, dass Noone selbst emotional in seine Geschichte involviert ist. Das wird auch in der Szene deutlich, in der er zum ersten Mal das Buch Petes liest: Wir hören zunächst Noones Stimme, während die Kamera von hinten in seinen Kopf fährt. Seine Stimme wird von Petes Stimme überlappt und ersetzt, Bilder illustrieren das Gelesene, bevor die Stimme des Jungen langsam wieder leiser wird und Noones Stimme weicht. Es ist unverkennbar Noones Bild der Ereignisse, das dem Zuschauer dargeboten wird. Der professionelle Erzähler Noone findet sein Gegenüber in Donna, deren Leben selbst eine Erzählung ist: Die Genauigkeit der Darstellung ihrer Details entscheidet bei Donna aber nicht einfach nur über Gelingen und Nichtgelingen: Für sie ist die Kohärenz der Erzählung von existenzieller Bedeutung. Dass sie nicht mehr in der Lage ist, Realität und Fiktion auseinanderzuhalten, scheint sie jedoch nur auf den ersten Blick von Noone zu unterscheiden. Denn auch der tauscht die schnöden Fakten der Realität nur allzu gern gegen die geschönte Version seiner Erzählungen, wie ihm sein Ex vorwirft.

Patrick Stettner ist ein ebenso trauriger wie beunruhigender, gleichzeitig aber sehr warmherziger Film gelungen, umso mehr, als er sich nicht dem gängigen Trend der Überaffirmation beugt, sondern mehr Fragen aufwirft als er beantwortet. Auch in den Bildern spiegelt sich dieses Prinzip: Nur selten wird das Geschehen hell erleuchtet, meist legen sich beunruhigende Schatten darüber. So steht am Ende ein in positiver Hinsicht „leerer“ Film: In den 90 Minuten passiert wenig. Und nicht wenig von dem, was passiert, entpuppt sich als Irrtum oder Finte. Noone ist am Ende so schlau wie zu Beginn des Films. Aber es ist die Kraft der Erzählung allein, die den Dingen Sinn und dem Jungen Pete Leben verleiht. Stettners Film authentifiziert sich selbst.

The Night Listener
USA 2006)
Regie: Patrick Stettner, Drehbuch:Amistead Maupin, Terry Anderson, Patrick Stettner, Kamera: Lisa Rinzler, Musik: Peter Nashel, Schnitt: Andy Keir
Darsteller: Robin Williams, Toni Collette, Bobby Cannavale, Joe Morton, Rory Culkin
Verleih: Fortissimo Films
Länge: ca. 90 Minuten 

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