Nur einer kann überleben …

Je weiter die Handlung eines Films in der Zukunft angesiedelt ist desto „näher“ liegt seine Erzählung oft an der gegenwärtigen sozialen Wirklichkeit. So war es immer schon ein beliebtes Mittel engagierter künstlerischer Kritik, in einer Utopie jetzige Verhältnisse überspitzt in die Zukunft zu projizieren. Dieses Verfahren verschafft zum einen die für den Rezipienten notwendige szenische Distanz, um interpretatorisches Potenzial anzubieten und zum anderen eröffnet es Möglichkeiten zusammen mit der utopischen Misere auch gleich noch eine zukünftige Lösung anzubieten.

„Ende des dritten Jahrtausends“, so heißt es auf dem Klappentext der Battle Royale-DVD, habe „die Gewalt an den Schulen Überhand genommen, der Staat steht kurz vor dem Kollaps.“ Im sogenannten „Battle Royale“-Gesetzt werden aufmüpfige Schüler auf einer Insel zusammen gepfercht, um sich gegenseitig Umzubringen. Niemand kann entkommen, weil jeder Schüler durch ein Explosivhalsband über eine Zentrale überwacht und – wenn nötig – „ausgeschaltet“ werden kann. Einzige Regel: Es darf nur einer Überleben, welcher dann freigelassen wird. Dieser Fatalität sieht sich die Klasse 9b gegenübergestellt, nachdem sie den Schulunterricht geschwänzt hat und Lehrer Kitano (Takeshi Kitano) von einem Rowdy auf dem Schulflur mit einem Messer angegriffen wurde. Die Schüler werden unter dem Vorwand eine Klassenreise anzutreten in einen Bus gesteckt und mit Gas betäubt. Schließlich finden sie sich auf besagter Insel wieder, wo sie unter Anleitung ihres Lehrers Kitano in den Battle Royale treten. Die Gruppe trennt sich auf in verschiedene Einzelkämpfer und kleine Grüppchen, die mit unterschiedlichen Methoden versuchen das Spiel zu gewinnen oder ihm zu entkommen: martialisches Rambotum, Suizid, Computerhacking um die Zentrale lahmzulegen, Flucht … Mittels verschiedener Waffen, die ihnen „zum Spielen“ mitgegeben wurden, verteidigen sich einige Schüler und andere greifen an.

Angesichts der Ankündigungen des Covers erwartet man einen Film mit Schülern, die wesentlich mehr auf dem Kerbholz haben, als die Sitzenbleiber aus der „Klasse von 1984“, Inselkämpfer, die noch viel skrupelloser sind als die Gefangenen des „Herrn der Fliegen“ ja und vielleicht sogar eine Mediengewaltkritik, der nicht einmal ein „Millionenspiel“ das Wassr reichen kann. Doch weit gefehlt: Battle Royle scheitert kläglich in seinem Versuch eine negative Utopie der angeblich immer gewaltbereiteren (japanischen) Jugend zu zeichnen und diese in ein martialisches Ambiente einzubetten. Woran liegts? Vor allem krankt der Film an ungenügender Figurenzeichnung. Entweder werden die Charaktere gar nicht erst plastisch, sondern bleiben drollige uniformierte Abziehbilder (tatsächlich treten die jungen Kämpfer in Ihren braven japanischen Schuluniformen an) oder sie sind ins (wortwörtlich) comichaft Groteske übersteigert. So provoziert zum Beispiel der Lehrer Kitano das eine oder andere unfreiwillige Lachen, wenn er seinen Zöglingen allen Ernstes immer wieder „viel Glück“ und „Passt auf euch auf“ nachruft und ein paar Angeschossenen sogar seinen Regenschirm mit dem ernstgemeinten Rat „erkältet euch nicht“ überlässt. Das soll wohl zynisch wirken, wirkt ea aber aufgrund von Kitanos nicht nachvollziehbarer Charakterisierung nicht. Auf der anderen Seite werden die Jugendlichen als „normale Teenies“ geschildert, die selbst in einer solchen Situtation nichts besseres zu tun haben als miteinander anzubändeln, sich jahrelanges ineinander-Verknalltsein zu gestehen oder Schulhof-Eifersüchtelein untereinander (wenn auch mit Waffen) auszutragen. Man erwartet einen Haufen gewaltbereiter Punks – Battle Royale präsentiet hingegen eine ordentlich gekleidete, höfliche, den Erwachsenen gegenüber schreckhafte Schar artig gekämmter japanischer Musterschüler. Dem Film gelingt es dadurch zu keiner Zeit Sympathien für seine Figuren aufzubauen – wohl aber Antipathien, indem er immerhin zwei (ungekämmte) Zöglinge als besonders gemein und rücksichtslos darstellt. Und diese – selbst hier verschenkt der Film kritisches Potenzial – unterliegen natürlich im Kampf gut/böse, artig/unartig, gekämmt/ungekämmt.

Hält man sich nun vor Augen, dass der erzählte Staat wegen solcher Zöglinge „vor dem Kollaps“ steht, stellt sich schnell die Frage, wem Regisseur und Drehbuchautor diese Geschichte eigentlich verkaufen wollen … und vor allem warum! Battle Royale inszeniert keinerlei nachvollziehbare Dramatik, er erzählt keine mitreißende Geschichte und schon gar nicht entfaltet er irgendein dystopisches Potenzial. Allein in der Darstellung seiner Schießereien gefällt sich der Streifen – und diese sind noch nichteinmal so inszeniert, dass daraus irgendeine besondere Grausamkeit der Jugend ablesbar wäre. Die vielen logischen Ungereimtheiten der Erzählung, der haarstäubend pseudo-kontrastive Soundtrack (Strauß-Walzer zur Blut-Polka) und nicht zuletzt der völlig unmotivierte Plot-Twist, der Lehrer Kitano als selbstwidersprüchlichen Verlierer mit Familienproblemen (und besonderer Neigung zu einer seiner Schülerinnen) darstellt, verorten Battle Royale in einem Genre, in dem ihn seine sozialengagierten Macher wohl am allerwenigsten sehen wollten: in der Trash-Komödie.

Battle Royale (Jp 2000)
Regie: Kinji Fukasaku, Kamera: Katsumi Yanagijima, Buch: Kenta Fukasaku
Darst.: tatsuya Fujiwara, Aki maeda, Taro Yamamoto, Takeshi Kitano u. a.
Verleih: Kinowelt, Länge: 106 Min. (cut)

Hinweis: Ich schiebe hier noch einmal nach, dass es sich bei dem von mir besprochenen Film um die um 11 Minuten gekürzte, JK-geprüfte Fassung von Kinowelt handelt. Mein Eindruck basiert also auf einer extrem verstümmelten Version, was zwar die Charakterisierungen des Films nicht arg verschlechtert haben dürfte, wohl aber den „zeitkritischen Gestus“ des Films wenigstens abschwächt.

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