Es ist nicht magisch, es glänzt nur

Terry Gilliam zählt sicherlich zu den ungewöhnlichsten Filmautoren, die derzeit tätig sind. Etliche seiner Filme, wie „Brazil“ oder „12 Monkeys“ sind aufgrund ihrer Thematik und ihrer Ästhetik stilbildend geworden. Vor allem in den fantastischen Genres kennt sich das Ex-Monty-Python-Mitglied aus und liefert die meisten Beiträge auch dort ab. Der oft märchenhafte, surreale Zug seiner Stoffe legt es nahe, dass Gilliam sich auch der einen oder anderen Märchen-Adaption annehmen könnte. Mit „Baron Münchhausen“ ist ihm ein erster Versuch, einen fremden Stoff filmisch umzusetzen, bereits misslungen; mit seinem neuen Film „Brothers Grimm“ nimmt er sich gleich einen ganzen Märchen-Kanon vor – und scheitert umso grandioser.

Gilliams Film erzählt die fiktive Geschichte der Brüder Grimm: Diese verdingen sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts im französisch besetzten Deutschland als Geisterjäger: Sie fahren durch die Lande, inszenieren Spuk und Grusel, lassen Mitarbeiter als Hexen, Kobolde und Dämonen auftreten und bekämpfen diese dann öffentlichkeitswirksam. Auf diese Weise gelangen sie zu Geld, Ruhm und zu der Zuneigung schöner Frauen. Den französischen Besatzern ist der Betrug jedoch ein Dorn im Auge und ein General schickt seinen Adjutanten vor, um die Brüder einzufangen. Sie können sich entscheiden: Entweder werden sie hingerichtet oder sie decken einen ähnlichen Betrugsfall in einem kleinen hessischen Dörfchen nahe des Thüringer Waldes auf. Dort verschwinden seit einiger Zeit kleine Mädchen. Die Grimms haben keine Wahl: Sie reisen dorthin und entdecken bald, dass es sich keineswegs um faulen Zauber handelt. Der eigentümlich lebhafte Wald birgt einen Turm, in dem eine Königin seit Jahrhunderten darauf wartet, wieder zum Leben erweckt zu werden. Mit Hilfe der entführten Mädchen soll ihr das gelingen. Den Grimm-Brüdern eröffnen sich also zwei Fronten: Hinten die Franzosen, die das Ganze immer noch für ein abgekartetes Spiel halten, vorn ein Furcht einflößender Zauberwald, an dem ihre Spiegeltricks natürlich versagen. Zum Glück steht den Brüdern eine tapfere Fallenstellerin zur Seite, die eine nicht unwichtige Rolle in der Sache übernehmen wird.

„Brothers Grimm“ verfolgt zweierlei Ziel: Zum Einen bildet er ein Patchwork der verschiedensten Grimm’schen Märchen, die mal en passent zitiert werden, mal zentral als Motive auftauchen. Zum Anderen versucht er auf sehr fiktive Weise das Leben der Märchensammler mit ihren Texten zu verknüpfen. Beides ist im Rahmen zumal eines fantastischen Films legitim. Problematisch wird es, wenn sich diese Fiktionalisierung nicht mehr auf allein märchenhaftem Terrain bewegen will, sondern sich historisch legitimiert und authentifiziert. Gilliams Film soll auch als eine Parabel auf die französische Besatzung Deutschlands Ende des 18. Jahrhunderts lesbar sein. Die Märchen werden auf diese Weise zu politischen Parabeln aufgeladen und vom Drehbuch mit archetypischen Figuren angereichert. Die Authentizitätssucht geht sogar so weit, dass Gilliam politische Details und kunsthistorische „Belege“ in „Brothers Grimm“ einfügt (die, wie etwas die historisch falsch situierte Ouvertüre zu Rossinis „Die diebische Elster“, ihre Ziel aber auch manchmal etwas verfehlen). „Brothers Grimm“ verlässt den Bereich des Märchenhaften also recht schnell. Das Problem ist, dass seine Figuren da nicht „mitziehen“.

Gefangen in einem Zuviel an Ausstattung und Kostümierung werden die Motivationen der Figuren – vor allem der Nebenfiguren – immer fadenscheiniger, immer mehr dem Zweck der Erzählung untergeordnet. Das zu Beginn des Films noch vordergründig wichtige Ziel einer Märchenpastiche fällt zusehends ins Hintertreff. Bald schon reiht „Brothers Grimm“ ein Klischee ans nächste, lässt seine Brüder in für Gilliam ungewohnt ironiefreier Weise von einer Standardsituation zur nächsten Hüpfen, legt ihnen gar infantile Kalauer in den Mund und tut so ziemlich alles, damit der Film jede Zuschauerschicht verfehlt. Für Kinder dürfte der streckenweise arg langweilige, dann jedoch sehr horrible Stoff (szenenweise ist man an Raimis „The Evil Dead“ erinnert!) kaum goutierbar sein. Erwachsene stören sich an der Beliebigkeit und vor allem der Vorhersehbarkeit der Erzählung und ihrer Entwicklung.

An „Brothers Grimm“, so muss man leider sagen, ist nur Weniges originell (die Erzählstruktur und -motivation ist einem hundertfach in Filmen wie „Van Helsing“ oder „Three Amigos“ begegnet) und Vieles, wie das stete „Umkippen“ der Nebenfiguren, ärgerlich. Gilliam scheint kein Glück mit klassischen Märchen zu haben, das hat sich ja auch schon an „Baron Münchhausen“ gezeigt. Insofern ist es vielleicht keine allzu große Katastrophe, dass seine Cervantes-Bearbeitung „Lost in La Mancha“ unvollendet geblieben ist. Es hat sich gezeigt, dass der Autor immer dann zur Höchstform aufläuft, wenn die Ideen jüngerem Datums sind; bleibt abzuwarten, was diesbezüglich sein kommendes Jahr startender „Tideland“ bringt.

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