Kafka im Käfig oder vom Zwang kein Häftling zu sein

“Warum gerade jetzt nach vierzig Tagen aufhören? Er hätte es noch lange, unbeschränkt lange ausgehalten; warum gerade jetzt aufhören, wo er im besten, ja noch nicht einmal im besten Hungern war? Warum wollte man ihn des Ruhmes berauben, weiter zu hungern, nicht nur der größte Hungerkünstler aller Zeiten zu werden, der er ja wahrscheinlich schon war, aber auch noch sich selbst zu übertreffen bis ins Unbegreifliche, denn für seine Fähigkeiten zu hungern fühlte er keine Grenze.“ Kafka hatte diese Gedanken einst seinem Hungerkünstler eingegeben. Einer Figur, die sich nicht für Geld sondern für Anerkennung, für Ruhm, für die Unsterblichkeit einer Kunst aufzuopfern wusste. Einer Kunst allerdings, die das Verschwinden betrifft, die sich also nicht im Medium des Überzeitlichen halten lässt, deren Fundament und Dasein vielmehr auf dem Sich-Verschwinden-Machen und auf der aufmerksamen Kontrolle dieses Prozesses durch die anderen beruht.

Bronson_CoverHätte Kafka Michael Gordon Peterson gekannt, hätte ihn die Geschichte dieses Menschen vielleicht zu einem weiteren Stück Literatur inspiriert. Zwischen der allegorischen Weltsicht des Hungerkünstlers, der für das Außerhalb seines Raubtierkäfigs nur ein “bedauernswerter Märtyrer“ ist und der höchst realen Geschichte Petersons, der Zeit seines Lebens in Gefängnissen zugebracht hat, gibt es eine Schnittmenge, die beide vereint und die man vielleicht als die Theatralität des Gitters bezeichnen könnte. Eben dieses Inszenieren der eigenen Person im hermetischen Raum institutioneller Sicherheitsverwahrung lässt den Hungerkünstler in der Person Michael Peterson höchst real und Charles Bronson, so der Kampfname, den Peterson sich selbst gab, als er sein Geld noch mit illegalen Bareknuckle-Boxkämpfen und als Kraftmensch beim Zirkus verdiente, zu einer abstrakten Kunstfigur werden, wie sie das 21. Jahrhundert nur sehr selten zu Gesicht bekommen hat.

large_BronsonNicolas Winding Refn ist nicht Kafka. Der gebürtige Däne hat jedoch sehr gut erkannt, worum es Charles Bronson immer schon gegangen sein muss und worauf dieser 34 Jahre seines Lebens verwandte: das Gefängnis als Bühne jenseits der Bühnen und als Theater, auf dem mit ganzem Körpereinsatz die brutale Komödie gesellschaftlicher Wertfundamente gespielt werden kann. Winding Refn hat darum die Geschichte des Käfigkünstlers “Bronson“ in einem der überzeugendsten Filme dieses Jahres aufgearbeitet. “My name is Charles Bronson. And all my life I wanted to be famous“, sind die ersten Worte, die Winding Refn seinen zum Clownesken tendierenden Helden in wüstem Cockney sprechen lässt. Der Rest des autobiografischen Films steht dann auch ganz im Zeichen dieser Leitworte.

Schon Petersons Kindheit ist von Gewalt gezeichnet. In der Schule erteilt der gehänselte Außenseiter seinen Peinigern die ihnen gebührende Abreibung, wobei es gleich ist, ob diese in Gestalt der boshaften Klassenkameraden oder des strafenden Lehrers auftreten. Seinen ersten Überfall verübt er mit 19 Jahren, bei dem er 26,91 Pfund erbeutet und dafür sieben Jahre ins Gefängnis wandert. Peterson wird dieses für sein restliches Leben zu seinem Zuhause machen, oder besser zu seinem Hotelzimmer, wie es im Film heißt. Er wird dies sogar so effektiv tun, dass er in den Rang des berühmtesten Insassen Großbritanniens aufsteigt und das obwohl er von seiner gesamten Haftzeit nur einige wenige Jahre nicht in Zwangsisolation verbringt und obwohl er nie auch nur einen einzigen Mord begeht.

bronsonStattdessen zeigt „Bronson“ verschiedene Episoden aus Petersons Knastkarriere: wie er von einem Gefängnis ins nächste verschoben wird – insgesamt war er in über 120 verschiedenen Anstalten inhaftiert -, wie er in der geschlossenen Psychiatrie landet, wo Refn eine der surrealistischsten Tanzszenen der Filmgeschichte inszeniert, bei der auch die Pet Shop Boys eine nicht unwesentliche Rolle spielen, oder wie er für kurze Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt wird, um sogleich bei einem Raubüberfall geschnappt und wieder hinter Schwedische Gardinen verfrachtet zu werden.

Bronson – und das ist das Unbegreifliche von dem auch Kafka spricht – will überhaupt nicht, dass man ihn aus seinem Käfig herausholt. Er probt viel lieber den Aufstand, der für ihn einen Grad an existenzieller Freiheit bedeutet, wie er sie paradoxerweise nur hinter Gittern finden kann. Für Bronson ist Freiheit Widerstand und die Möglichkeit dieser Freiheit ist dort am größten, wo es sie eben nicht gibt, wo Zwang und Repression das System bestimmend ausmachen. Dies wird nicht zuletzt an einem Punkt in seiner Biografie deutlich, an welchem es so scheint, als würden die Rehabilitationsmaßnahmen zum ersten Mal wirklichen Erfolg versprechen. Bronsons Talent fürs Comiczeichnen wird von dessen Kunstlehrer entdeckt und gefördert. Doch der Künstler entscheidet sich bei seinen eisernen Leisten zu bleiben und nimmt den Lehrer kurzerhand als Geisel, nur um diesen im Zuge der Verhandlungen selbst in ein groteskes Exponat zu verwandeln.

Scene_from_Bronson_001„Bronson“ ist hin und wieder mit Michael Winners “Death Wish“ und Andrew Dominiks “Chopper“ verglichen worden, doch dieser Vergleich bleibt auf halbem Wege stecken. Zeigt ersterer, in dem Petersons Namenspatron bekanntermaßen die Hauptrolle spielt, noch die Geschichte eines einsamen Vigilante, der die Gerechtigkeit nur in den eigenen Händen als verwirklicht sehen kann, und zweiterer einen hochgradigen Paranoiker, der selbst seinem eigenen Schatten nur bedingt zutraut, ihn nicht jeden Augenblick von hinten zu erdolchen, so ist Bronson eher der gelassene Typ, der aber zu ständigen unberechenbaren Aktionen neigt, ein Captain Spaulding des Gefängnisses, ein böser Clown, über den man lachen kann und den man fürchten muss; der fleischgewordene Alptraum jeder funktionierenden Gesellschaft. Dabei verliert er aber, wie der Hungerkünstler, nie das große Ganze aus den Augen, indem er seine Ausbrüche als wohl arrangierte, dramaturgisch fein durchdachte Inszenierungen ins Gesamtkunstwerk “Bronson“ fügt.

Bleibt zuguterletzt noch über Tom Hardy zu sprechen, der den Bronson in Refns Version von dessen Lebensgeschichte spielt. Hardy lässt sich voll und ganz vom Theater fesseln, für das die Figur steht und damit macht er so ziemlich alles richtig. Dort wo Kafkas Held versucht das Verschwinden der Zeichen in einer im Grunde unmöglichen Körperschrift darzustellen, setzt „Bronson“ jedoch auf die archaische, primitive Gewalt körperlicher Präsenz. Und er zeigt umgekehrt die Gewalt, die notwendig ist, um diese Präsenz zu domestizieren. Hardy ist dementsprechend auch ganz und gar Körper. Dies jedoch nicht im Sinne eines Schwarzeneggers, der als steifer, muskelbepackter Androide mit seinem schon durch und durch disziplinierten Körper die Leinwand dominiert, sondern als eine Verausgabung ans Körperliche selbst, die in ihrer Intensität vielleicht noch am ehesten – wenn auch auf andere Art und Weise – mit Christian Bales Darstellung des Trevor Rezniks in Brad Anderson “The Machinist“ vergleichbar ist, womit wir wieder beim Hungern und beim Hungerkünstler angekommen wären.

ABronson_scene_01m Ende von Kafkas Erzählung verwirft der im Sterben liegende Nahrungsverweigerer den Sinn seiner Kunst, weil er ihren Unterschied zum Zwang nicht mehr feststellen kann und damit für das Verständnis seiner Bewacher, somit auch seiner Leser schlicht unmöglich macht. Refn und Hardy sehen hingegen den Zwang als das eigentliche Movens an, welches den Künstler dazu antreibt, aus seinem Hier und Jetzt etwas zu kreieren, das seine Umwelt notwendig einem inneren Ausschluss unterzieht, damit sie für die Beschreibung dieses anderen überhaupt erst die adäquaten Worte finden kann. In diesem Sinne muss die Figur Bronson im Film auch nicht dem metaphorischen Panther das Feld räumen, dem nichts fehlt, der “nicht einmal die Freiheit vermisst“, diese sogar in seinem “knapp zum Zerreißen ausgestatteten Körper“ mit sich herum trägt. Der Zwang bringt bei Bronson diesen Körper überhaupt erst hervor und wird damit Material einer Sprache für ein außergewöhnlich groteskes Theater.

Bronson
(UK 2008)
Regie:
Nicolas Winding Refn Drehbuch: Norman Brock; Nicolas Winding Refn Kamera: Larry Smith Schnitt: Matthew Newman
Darsteller:
Tom Hardy; Matt King; Kelly Adams; Edward Bennett-Coles; Katy Barker; Amanda Burton
Länge:
92 Minuten
Verleih:
Vertigo Films

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