A History of Violence

Ein Mann um die 70, die Haare militärisch kurz geschoren, die zusammengekniffenen, südostasiatisch anmutenden Augen hinter einer Nickelbrille, der Mund eine harte Linie: ein Gesicht voller Härte, Ungerührtheit und Arroganz – aber auch voller Selbstsicherheit. Vor seinem Körper hält er seine zu Fäusten geballten Hände nebeneinander, in einer Geste, die man gerade als Filmseher aus unzähligen Polizeifilmen kennt. Sie sagt: Nehmt mich fest, ich ergebe mich, ich bekenne mich schuldig. Aber sie steht im Kontrast zu diesem Gesicht, aus dem keinerlei Reue spricht; nur die absolute Gewissheit, richtig, gerecht gehandelt zu haben. Der Mann ist Jacques Vergés, französischer Staranwalt und Verteidiger zahlreicher Terroristen und Kriegsverbrecher, das Foto ist ein Plakatmotiv zu Barbet Schroeders Dokumentation „Im Auftrag des Terrors“ und es spiegelt das Spannungsfeld, das dieser Film durchschreitet, perfekt wider.


125414591539218900Jacques Vergés kommt 1924 (oder 1925, die Quellen liefern unterschiedliche Angaben) als Sohn einer Vietnamesin und eines Franzosen von der Insel Réunion in Thailand zur Welt. Als junger Mann meldet er sich Ende des Zweiten Weltkriegs freiwillig zur französischen Armee, um bei der Befreiung seines Landes aus den Händen der Nazis mitzuhelfen: Obwohl er sich aufgrund seiner Herkunft selbst als „Kolonisierten“ bezeichnet, betrachtet er sich als Patrioten. Doch als die Deutschen kapitulieren und die Menschen weltweit das Ende des Krieges feiern, beginnt bereits ein neuer Konflikt, in dem die Franzosen, die eben noch zu den Opfern gehörten, plötzlich selbst zu den Tätern werden: Als die Menschen in der französischen Kolonie Algerien mit ihren Fahnen auf die Straße gehen, schreiten die französischen Kolonialherren brutal ein und entfachen damit einen Krieg, der Vergés entscheidend prägen wird. Er wird als Verteidiger der jungen algerischen Terroristin Djamila Bouhired beordert, die mehrere Sprengstoffattentate im Namen der Algerischen Nationalen Befreiungsfront ausgeübt hat. Vergés gelingt es, Bouhired und zahlreiche weitere Attentäter vor der Todesstrafe zu bewahren, indem er den französischen Staat hart attackiert und an seine Mitschuld als Kolonialmacht erinnert. Bouhired wird in einer sich langsam formierenden weltweiten Protestbewegung zur Galionsfigur, Vergés nicht nur zu ihrem Ehemann, sondern auch zum Kämpfer für die gerechte Sache, zum Helfer der Unterdrückten. Und weil er schließlich einer Muslimin beigestanden hat, gerät er bald auch in den Blick der palästinensischen Freiheitskämpfer. Vergés gerät immer tiefer in die weltweiten Terrornetzwerke und verliert über diese Verstrickung seine einstigen Ideale immer mehr aus den Augen. So weit, dass er in den Achtzigerjahren schließlich den Gestapo-Offizier Klaus Barbie verteidigt, den „Schlächter von Lyon“. Doch er sieht in seinem Handeln keinen Widerspruch.

Barbet Schroeder zeichnet den Weg einer Person nach, die man nach Betrachtung dieses Films zwangläufig zu den Schlüsselfiguren des internationalen Terrors zählen muss. Vergés war nie weit entfernt, wenn irgendwo ein Sprengsatz explodierte oder Menschen als Geiseln genommen wurden: Pol Pot, Waddi Haddad, Carlos, François Genoud, Magdalena Kopp, sie alle spielen eine Rolle in Schroeders Film, einige von ihnen nennen Vergés einen Freund. Und tatsächlich ist dieser Jacques Vergés nicht unsympathisch: Er ist eloquent, ein guter, charismatischer Erzähler und niemand kann ihm vorwerfen, es sich in seinem Leben leicht gemacht zu haben. Er setzte sich zu einem Zeitpunkt für Unterprivilegierte ein, kritisierte den Imperialismus der westlichen Welt, als dies noch einem Hochverrat gleichkam und gerade für jemanden wie ihn, einen „Kolonisierten“, die Stigmatisierung in den Augen der schweigenden Mehrheit bedeutete. Aber Schroeder erzählt keine Heldengeschichte, er erzählt vom Sündenfall; davon, wie jemand einen Weg – seinen Weg – entschlossen und konsequent beschreiten und sich trotzdem verlaufen, ja verlieren kann. Zu Beginn der Siebzigerjahre, nach der Trennung von Djamila Bouhired, verschwindet Vergés für fast zehn Jahre, niemand weiß, wo er sich aufhält. Auch aus Schroeders Film verschwindet er für eine gute halbe Stunde, das Feld wird seinen Bekannten, Freunden und anderen Zeitgenossen überlassen, die Spekulationen über den Verbleib des Anwalts anstellen. Schroeder suggeriert, dass gerade dieser Zeitraum für Vergés weiteren Weg entscheidend war, dass in dieser Zeit etwas mit diesem Mann passierte, was ihn veränderte, und verlagert so den Fokus von den kühlen strategischen und politischen Erwägungen hinter dem Terror zugunsten seines irrationalen, weil menschlichen Kerns. So rekapituliert „Im Auftrag des Terrors“ nicht nur die Geschichte des internationalen Terrors in den vergangenen 50 Jahren (der Film lässt die komplizierten Verstrickungen, die zu den Zutaten des Politthriller-Genres gehören, geradezu als Sandkastenspiele erscheinen), er macht auch transparent, was den Terror als Waffe so bedrohlich und unberechenbar macht: Es ist die brisante Verbindung politischer und menschlicher Aspekte, die sich gegenseitig potenzieren und ihm zu einer Sprengkraft verhelfen, die auch seine Protagonisten mit sich reißt.

Wie man es aus den Filmen des Schweizer Regisseurs Barbet Schroeder kennt, hält er sich auch in „Im Auftrag des Terrors“ stets im Hintergrund und fungiert weniger als Detektiv und Enthüllungsjournalist als vielmehr als sokratischer Geburtshelfer der Erkenntnis. Er kommentiert nicht, sondern lässt seine Protagonisten für sich sprechen. Es gibt keine großen Knalleffekte, auch wenn er durchaus erschütternde Fakten offenlegt: Ihm geht es nicht um die einseitige Manipulation, um das Aufrütteln und Emotionalisieren, sondern eher um die Sondierung eines Feldes, das Differenzieren, das Problematisieren und darum, mit filmischen Mitteln Transparenz zu schaffen. Für die große Empörung ist Schroeder viel zu nüchtern. Er weiß, dass man nicht alle Probleme mit einer griffigen Formel auflösen kann, sondern mit Widersprüchen leben können muss. Wer von „Im Auftrag des Terrors“ die Enttarnung des narzisstisch verblendeten Verbrechers im Anzug erwartet, wer ein flammendes Plädoyer für den Humanismus will, ist hier falsch. Nicht etwa, weil Schroeder sich zum Komplizen von Vergés machen würde: Aber die Erkenntnis beschleicht den Zuschauer eher in den kleinen, leisen Momenten, wenn etwa ein vielsagendes Lächeln über das Gesicht des Anwalts huscht oder andere Interviewpartner nach bereitwilliger Auskunft plötzlich innehalten und schweigen. Schroeders Strategie zielt weniger auf Verdammung und Verurteilung ab, als auf Identifikation. Er zeigt, dass der Mensch hinter der abgeklärten Fassade kein infernalischer Superschurke ist, sondern ein Mensch, der Fehler macht, irrational und inkonsistent handelt und – vielleicht die wichtigste Einsicht – weniger Marionettenspieler als vielmehr selbst Marionette ist. Und er macht sehr plausibel, dass man jedes Ideal durch seine Verabsolutierung in sein Gegenteil verkehren kann.

Gleich zu Beginn von „Im Auftrag des Terrors“ sieht man ein kambodschanisches Dorf, die staubigen Straßen, auf denen die Kinder spielen, übersäht mit kleinen roten Schildern, die vor Tretminen warnen. Pol Pot lobt seinen Freund Vergés und Vergés gibt dieses Lob in der nächsten Einstellung zurück, sagt, dass man differenzieren müsse, wenn man von Millionen von Opfern der Roten Khmer spreche, diese Zahl sei weit übertrieben. Man kennt solche Verrationalisierungen und man verachtet diesen Mann, ist bereit, ihn in den folgenden 140 Minuten zu verachten und erwartet, dass Schroeder ihn schonungslos bloßstellt. Das Gegenteil passiert: Schroeder geht zum Anfang seiner Geschichte, lässt Vergés von dem jungen Mann erzählen, der er einst war, der Träume hatte und sich beim Anblick des Augenpaares von Djamila Bouhired, das er durch den Schleier als einziges von ihr erkennen konnte, eine innige Verwandtschaft mit ihr spürte, sich in sie verliebte. Der Mann mit den harten Gesichtszügen und dem herausfordernden Blick zeigt Schwäche und wird zum Menschen. Und als solcher bekennt er sich schuldig.

Im Auftrag des Terrors
(L’avocat de la terreur, Frankreich 2007)
Regie: Barbet Schroeder; Kamera: Caroline Champetier, Jean-Luc Perréard; Musik: Jorge Arriagada; Schnitt: Nelly Quettier
Länge: ca. 135 Minuten
Verleih: Koch Media

Zur DVD von Koch Media

Koch Media präsentiert den Film in guter technischer Qualität und mit einem 25-minütigen Interview mit Regisseur Barbet Schroeder. Bekritteln muss man höchstens, dass die deutschen Untertitel nicht immer ideal platziert sind und manchmal Schrifteinblendungen im Film überlagern. Ein verschmerzbarer Schönheitsfehler. Ebenso wie das Cover der DVD: Anstatt das von mir beschriebene Foto zu verwenden, das noch mein Rezensionsexemplar zierte, hat man sich nun für ein anderes Bild entschieden, das Vergés mit rauchender Zigarre als Klischeebild des erfolgreichen, über Leichen gehenden Anwalts zeigt.

Bild: 1,78:1
Ton: Deutsch, Englisch/Französisch/Deutsch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Trailer, Interview mit Barbet Schroeder
FSK: Ab 12
Preis: 13,95 Euro

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