Operation: Kino

Quentin Tarantino schien am Ende zu sein, streng genommen schon nach „Jackie Brown“, seinem bis heute besten und reifsten Film. Gut, „Kill Bill“ war ein monumentales, überwältigendes, stilistisch brillantes Spektakel, aber auch eine Rekapitulation jener Entwicklung, die Tarantino in seinen ersten drei Filmen durchgemacht hat. „Reservoir Dogs“: perfekt entwickeltes Genrekino. „Pulp Fiction“: die selbstreflexive Arbeit über das Genrekino. „Jackie Brown“: die melancholische Meditation nach dem Genrekino. Und dann eben „Kill Bill“: alles noch einmal, im schnellen Vorlauf. Nur um dann wieder im Genrekino anzukommen, mit all dem selbstreflexiven Ballast im Hinterkopf und somit intellektuell legitimiert.

basterdsDarum, diesen Ballast wieder loszuwerden, ging es Tarantino dann wohl im gemeinsam mit Robert Rodriguez und mit Unterstützung von Eli Roth, Edgar Wright und Rob Zombie inszenierten und ins Epische überhöhten „Grindhouse“-Projekt – einem fast ohne Vergleich bleibenden Monument cineastischer Selbstüberschätzung. Als dermaßen in sein eigenes Material verliebter und somit kaum noch zur künstlerisch unerlässlichen Verdichtung fähiger Filmemacher präsentierte sich Tarantino dort, dass das Projekt insgesamt und insbesondere sein Beitrag „Death Proof“ zur unerträglichen, hyperironisierten Fanboy-Masturbation geriet. Ein bloßes Ratespiel für Videonerds, das Zitate aus der Exploitationkinogeschichte und aus Tarantinos eigenem Schaffen so maßlos aufeinanderschichtet, bis es beidem gegenüber falsch und ungerecht wird. Und Tarantinos ja durchaus unverwechselbaren Stil zum Tarantinoesken degradierte. Man konnte also durchaus gute Gründe haben, den Filmemacher Quentin Tarantino nach diesem Rundumdesaster nicht mehr auf der Rechnung zu haben. Und auf dem Papier klang auch sein neues Projekt „Inglourious Basterds“ mehr nach überironisiertem Trashklamauk denn nach dem, was es nun tatsächlich geworden ist: das Comeback von Quentin Tarantino als seriöser Filmemacher, und eine Erinnerung daran, wie sehr dieser Regisseur einst die Rituale des Kinos verstand und wie virtuos er seine nur scheinbar unberechenbar kompilierten Pop-Art-Opern rhythmisierte.

Tatsächlich nämlich nutzt „Inglourious Basterds“ seine artifizielle Welt, zusammengeklaubt aus allerlei Kriegsfilmklassikern gerade der B-Movie-Liga – und dabei in vergleichsweise geringem Ausmaß bei Enzo G. Castellaris titelborgendem „Quel maledetto treno blindato“, hierzulande veröffentlicht als „Ein Haufen verwegener Hunde“ und in den USA eben als „Inglorious Bastards“. Als Grindhouse-Version von Bryan Singers „Valkyrie“ wurde Tarantinos Film jüngst nur ein wenig treffender bezeichnet, da auch der Grindhouse-Ansatz nicht mehr wirklich zutrifft. Sicher, die Welt von Tarantinos Filmen setzt sich weiterhin aus Versatzstücken der Trash- und Exploitationfilmgeschichte zusammen, aber anders als jüngst in „Death Proof“ ergeben diese in der Kombination zusammen etwas Neues und nicht immer nur noch mehr und mehr. In der Grundstimmung, im getrageneren Rhythmus und der Ernsthaftigkeit des Erzählens, in der Bereitschaft, nicht immer nur in Pointen und Affekten die Amüsierbereitschaft seines Stammpublikums zu bedienen, erinnert „Inglourious Basterds“ mehr an „Jackie Brown“. Ging es dort darum, den abgewrackten Helden einer vergessenen und wenig respektierten Filmtradition ihre Würde zurückzugeben, so schreibt Tarantino hier gleich eine ganze Parallelhistorie der großen Katastrophe des 20. Jahrhundert. Seine Nazis sind nicht, wie in Spielbergs „Indiana Jones“-Filmen, in „Hellboy“ oder vergleichbaren Werken des Pulp-Zitatenkinos, bloße Karikaturen ihrer selbst und bewusst eindimensionale Antagonisten, und auch die Jagd nach Naziskalps der Basterds-Sondereinheit, der Mord an Hitler und der kompletten Nazi-Führungsriege im überbordenden Finale dienen nicht bloß der simplen Pointe des Tabubruchs. Tatsächlich vermischt Tarantino die Sphären von Zeitgeschichte und Kinogeschichte sehr bewusst miteinander, und mit einem eindeutigen Ziel. Um die Macht der Kunst geht es, den Opfern der Geschichte ihre Stimme und ihre Würde zurückzugeben. Um die Möglichkeiten des Kinos, den Bann der Katastrophe zu brechen, um die Brechung und Rückeroberung der noch immer machtvollen Symbole der Diktatur und die Neugewinnung einer eigenen Identität jenseits der Opferrolle.

Somit ist es auch nur konsequent, dass der Handlungsstrang um die „Inglourious Basterds“ über weite Strecken in den Hintergrund gerät. Die sind letztlich kaum mehr als die Manifestation jüdischer Rachephantasien, und die wahre Geschichte ist die der wahren Heldin Shosanna (Mélanie Laurent) – im doppelten Sinne wahr, ist sie doch, anders als die Soldaten um Lt. Aldo Raine (Brad Pitt), nicht als popkulturelles Zitat markiert. Im Gegenteil, als Betreiberin jenes Pariser Kinos, in dem die Premiere des fiktiven, an Veit Harlans Durchhaltefilme angelehnten Propagandastreifens „Stolz der Nation“ stattfinden soll und das zum Ort des Showdowns wird, tritt sie als diejenige in Erscheinung, die die Kontrolle über das Zusammenfügen der filmhistorischen Fäden übernimmt, die Tarantino hier spinnt. Sie ist diejenige, die beschließt, in den laufenden Film einzugreifen, sie beginnt kurz vor dem bitteren Ende, ihren eigenen Film zu projizieren – der dann aus der Leinwand heraus in den Raum eindringt und die Geschichte des Zweiten Weltkriegs neu schreibt. Und wenn am Ende das Gesicht der jüdischen Überlebenden triumphal lachend im Kinosaal schwebt, projiziert auf den Rauch des Feuers, das die Nazis verbrennen wird, dann ist das mehr als nur ein Showdown: es ist eine Geisterbeschwörung, eine Hymne auf die Magie des Kinos.

Inglourious Basterds
(USA / Deutschland / Frankreich 2009)
Regie & Buch: Quentin Tarantino; Kamera: Robert Richardson; Schnitt: Sally Menke
Darsteller: Mélanie Laurent, Christoph Waltz, Brad Pitt, Eli Roth, Sylvester Groth, Daniel Brühl, Til Schweiger, Diane Kruger, Mike Myers, Omar Doom, August Diehl, Martin Wuttke, Rod Taylor u. a.
Länge: 155 Minuten
Verleih: Universal

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