Wahrheit im Zeitalter ihrer ästhetischen Wendbarkeit

Die Fantastik der Filme Tim Burtons schöpft sich zumeist aus aus dessen Blick auf die Filmgeschichte. In Filme wie „Beetle Juice“, „Edward Scissorhands“, „Sleepy Hollow“ und sogar dem viel gescholtenen „Planet of the Apes“ verknüpft er mehr oder weniger tradierte Motive der Fantastik mit Historemen der Filmgeschichte und seiner eigenen Interpretation derselben. Der leichtfüßige Ausdruck, den diese Filme dadurch erhalten, ist vor allem letzterer, oft kindlich wirkender Zugangsweise zum Film geschuldet. Burtons Filme wirken so oft „unschuldig“ und glänzen doch gleichzeitig durch extrem detaillierte Beobachtungsgabe und kulturhistorisches Bewusstsein. An „Sleepy Hollow“, der jetzt auf Blu-ray-Disc erschienen ist, lässt sich dies auf allen Ebenen – von der Story über die Figuren bis hin zur Bildästhetik nachvollziehen.

„Sleepy Hollow“ ist dabei ein Film des Übergangs, weil er einerseits von einer kulturellen Neuorientierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts erzählt, andererseits, weil er als Film aus dem Jahre 1999 selbst als Indiz für einen Wandel an der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend gelesen werden kann. Das „Medium“ des ersten Schwellenphänomens ist ein Kriminologe, Ichabod Crane (Johnny Depp) – Teilnehmer einer Zunft, die neben der Medizin den vielleicht gravierendsten Paradigmenwechsel „um 1800“ vollzogen hat. Die in den 1790er Jahren zielgebende Aufklärung war es, die dieses neue Paradigma gestiftet hat. Von nun an stand die vorurteilsfreie, empirisch abgesicherte Suche nach der Wahrheit im Vordergrund sowohl bei der Suche nach Krankheiten als auch nach Verbrechern. Ichabod steht noch auf recht einsamem Posten, als er zu Beginn des Films die neue Epoche ausruft und den Richter (Christopher Lee) auffordert, Geständnisse aus Folter nicht länger als Beweise vor Gericht zu werten. Der Richter tadelt den jungen Anwalt ob solcher Anmaßung nicht bloß, sondern schickt ihn in das entfernte Örtchen Sleepy Hollow, wo sich ein Fall zugetragen hat, der auch die neue Methode an ihre Grenzen führen soll. Es heißt, ein kopfloser Reiter habe bereits mehrere Menschen des Ortes durch Enthauptung ermordet. Ichabod verspricht, den Fall auf wissenschaftlicher Basis zu lösen und dabei zugleich den Aberglauben, der solchen Aussagen zugrunde liegt, zu beenden. Als er sich jedoch selbst dem Kopflosen gegenüber sieht, versagen nicht nur seine kriminalistischen Methoden, sondern seine Nerven.

Dass Ichabod Crane der neuerliche – man könnte sagen – unvernünftige Backlash jedoch fast zur Aufgabe und Abgabe des Falles führt, ließe sich ebenfalls als dramatische Wende im neuen Bewusstsein, für das er steht, lesen. Doch Ichabod ist nicht nur als Kriminalist konsequenter Verfechter der Aufklärung. In dem Maße, wie er anerkennen lernt, dass die Vernunft nicht das einzige Instrument der Wahrheit ist, wendet er die noch junge Aufklärung dialektisch. Gradmesser für diese Wende ist seine Liebesbeziehung zur durch den kopflosen Reiter zur Waisen gewordenen Katrina van Tassel (Christina Ricci). Sein „methodisches Misstrauen“ ihr gegenüber, die er eine zeitlang sogar als an den Morden beteiligte sieht, ändert sich, als er an die Macht der Liebe zu glauben beginnt, die ihm vorgibt, dass nicht wahr sein kann, was sein Herz als falsch ansieht. Das ist vielleicht noch keine Wandlung im Sinne Adornos, aber vielleicht doch im Sinne Novalis. Burton holt so zeitgleich die Wahrheitsdiskurse aus der Neuzeit, der Aufklärung und der Romantik in seinen Film.

Von dieser Warte aus ließe sich vielleicht auch der merkwürdige Fauxpas des Drehbuches verstehen. Zum Ende, es ist der Silvesterabend des Jahres 1799, erklärt der aus dem Off erzählende Ichabod, dass nun bald ein neues „Millennium“ beginne. Der nächste Millenniumswechsel liegt jedoch noch 200 Jahre in der Zukunft der erzählten Gegenwart – und zwar in exakt dem Jahr, in dem Tim Burton seinen Film „Sleepy Hollow“ dreht. Über diese Fehlleistung des Protagonisten entsteht also eine subtile Verbindung zweier für „Sleepy Hollow“ wichtigen Zeiten, zweier Erzähler  und zweier Perspektiven auf das Problem der Wahrheit. Tim Burton problematisiert in seinen Filmen nicht selten die Wahrheitsbegriffe von Fiktion und Wirklichkeit offen und gestaltet daraus Plots – am deutlichsten wohl abzulesen in „Ed Wood“ und „Big Fish“.

In beiden Filmen stehen Wahrheiten – wie in „Sleepy Hollow“ – zunächst im Konflikt miteinander, spalten die Protagonisten in Parteien, werden zum Ende hin jedoch zugunsten einer dritten Perspektive aufgehoben. Diese Aufhebung ist nicht nur typisch für die versöhnlichen Filme Burtons, sondern überhaupt für eine Ästhetik, die sich nicht mehr zwischen die Dichotomien von wahr und falsch, authentisch und gefälscht, aufrichtig oder gelogen zwängen lassen will. Das, was die moderne Erzähltheorie noch krampfhaft in das moralische Korsett namens „unzuverlässiges Erzählen“ zu zwängen versucht hat, stellt sich bei den Filmen mit dieser neuen Perspektive als schlichte Aufhebung moderner Wahrheitskonzepte in einer postmodernen Narratologie heraus. Die ist natürlich weder eine Erfindung Tim Burtons noch taucht sie erstmals 1999 auf. Selten jedoch wird sie gleichzeitig so kunstvoll und klar in Szene gesetzt und an jene typische Angst des Epochenwechsels (Fin de Siècle, Millennium, …) gekoppelt, die immer schon auf der Schwelle neuer Zeitalter auf die Menschen gewartet hat und die größten aber überflüssigen Befürchtungen, den sicheren Halt in der Kultur zu verlieren, genährt hat.

Sleepy Hollow
(USA 1999)
Regie: Tim Burton; Buch: Andrew Kevin Walker; Musik: Danny Elfman; Kamera: Emmanuel Lubezki; Schnitt: Chris Lebenzon, Joel Negron
Darsteller: Johnny Depp, Christina Ricci, Miranda Richardson, Michael Gambon, Casper Van Dien, Jeffrey Jones u. a.
Länge: 105 Minuten
Verleih: Constantin

Die Blu-ray-Disc von Constantin

Angesichts der bislang eher unterdurchschnittlichen DVD-Versionen des Films durfte man auf die Blu-ray-Disc zu „Sleepy Hollow“ gespannt sein. Gerade das kontrastarme Bild der Vorgänger dürfte bei dem hochauflösenden Medium passé sein. Zwar gibt es immer noch Stimmen, die mangelnde Bildschärfe und verwischende Farben monieren, doch scheint hier die Bildästhetik des Films mit der Bildqualität des Mediums verwechselt zu werden. Die (ganz im Sinne des Gothic-Feelings) vernebelten Bilder, die schwachen Farben und die Dunkelheit unterstreichen die Story. Die Blu-ray-Disc von Constantin verfügt über einige interessante Extras, die sich auch auf der Neuauflage der DVD finden.

Bild: 1,78:1 (16:9)
Ton: Deutsch (DTS-HD High Res 5.1), Englisch (DTS-HD High Res 5.1), Audiokommentar (Originalton mit dt. Untertiteln)
Untertitel: Deutsch
Extras: „Sleepy Hollow – Behind the Legend“ (22 Min.), Interviews (30 Min.), Behind the Scenes (12 Min.), Stimmen zu Sleepy Hollow (11 Min.), Darstellerinformationen
FSK: ab 16 Jahren
Preis: 18,99 Euro

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