Bond ist nicht hier – Ein Nachwort

Mit Casino Royale wurde die Bondreihe einer Generalüberholung unterzogen, die ihr auf Dauer nicht gut tun kann. Die Faszination für diesen neuen Anti-Bond funktioniert hauptsächlich über sein Spiel mit Verweisen auf das Original: Craig selbst verkörpert den britischen MI6-Agenten eher grobschlächtig, hemdsärmelig, mit wenig Sinn für Statussymbole, humorlos, menschelnd mit Hang zum Melodramatischen – kurz: als Antipoden zur coolen Bondikone, wie sie im Kern von Connery über Moore, Lazenby, Dalton bis Brosnan tradiert wurde.
Wo der alte Bond den cleveren Weg durch die Hintertür suchte, bricht der neue Bond wie der Elefant durch die Vordertür des Porzellanladens. Sein Agentenhandwerk ist brutal – und so setzt man es in Szene: schmutzige Gewalt – Kollateralschäden inklusive – statt der bisher gewohnten, leicht verdaulichen blutarmen Schießereien. Selbst beim brutalen Licence to Kill war die Gewalt nicht so erschütternd, sondern war legitimiert durch die exzessiven Grausamkeiten der kolumbianischen Drogenmafia. Überhaupt fehlt beim neuen Bond die klare Unterscheidung von Freund und Feind – ein Craig als Bond, der (mit ironischer Geste) patriotisch For Her Majesty’s Secret Service rund um die Welt reist und gar – wie Moore in Octopussy in Q’s in den britischen Nationalfarben erstrahlenden Fesselballon abhebt – undenkbar. Und auch das Fantastische, das die Bondserie bisher auszeichnete, ist einem (Pseudo-)Realismus gewichen. Keine Gimmicks aus Q’s Waffenlabor, keine Gadgets in den Fahrzeugen – ja die Vehikel, die Bond in Quantum of Solace steuert sind sogar betont unspektakulär (abgesehen von dem Aston Martin, das Rudiment des alten Bond): durch den Hafen von Port-au-Prince ist es ein rostiges Motorrad und ein alter Kahn, in Bolivien fliegt er eine klapprige Douglas DC-3-Passagiermaschine. Ebenso unspektakulär ist die Gegenseite ausgestattet: das triste Wüstenhotel, in dem es zum Showdown kommt, weckt Sehnsüchte nach den utopischen Monumentalbauten der alten Bondfilme. Es muss ja nicht gleich Drax’ Raumstation aus Moonraker sein oder Strombergs Unterwasserstation „Atlantis“, aber etwas aufregender dürfte es schon sein. Der Hyperrealismus des neuen Bond konfrontiert uns stattdessen mit Elendsvierteln auf Haiti und in Bolivien, gemahnt an die äußerst realen Probleme der Welt im 21. Jahrhundert: Verteilungsungerechtigkeit in der Welt. Der politische Subtext von Quantum of Solace steckt so voller Globalisierungskritik das man sich zeitweise in einem Erwin Wagenhofer-Film wähnt.

Natürlich waren die alten Bond-Filme oftmals eine bloße Nummern-Revue von exzellent inszenierten Action-Sequenzen – mit atemberaubenden Stunts vor atemberaubenden Kulissen. Die Action ist auch in Quantum of Solace atemberaubend, allerdings wird dies nun durch eine quasidokumentarische Kameraarbeit und hastigen Ton- und Bildschnitt erreicht. Mit Deleuze gedacht: die Actionsequenzen werden nicht – wie im klassischen Bondfilm – in „Aktionsbildern“ (über Sprungschanzen springende Autos in der Totalen), sondern nun distanzlos als Aneinanderreihung von „Affektbildern“ (zerberstende Kotflügel und schmerzverzerrte Gesichter in Nahaufnahme) inszeniert – teilweise derart asyndetisch, dass sich das „Bewegungsbild“ in einem atemlosen „Zeit-Bild“ auflöst, in dem die Akteure wie auch der Zuschauer orientierungslos dem Rausch des Bild- und Soundgewitters erliegen.

Auch auf der Story-Ebene wird mit alten Gepflogenheiten gebrochen – die Zyklizität des Bond-Universums ist teilweise aufgehoben: Während einst nach jedem Bond die Story neu geschüttelt und gerührt wurde, führt Quantum of Solace die Story von Casino Royale nahtlos fort. Worum geht es? Wie bei allen Bondfilmen ist die Handlung schnell erzählt (nur erzählt Quantum of Solace die Geschichte mit wenig Rücksicht auf den Zuschauer recht verworren – eben aus der Perspektive Bonds):

Nach dem tragischen Tod seiner geliebten Vesper Lynd (Eva Greene) in Casino Royale, spürt James Bond den Hauptschuldigen Mr. White auf und verbringt ihn nach halsbrecherischer Autoverfolgungsjagd in die italienische MI6-Zentrale nach Siena. Dort jedoch schafft Mr. White, der sich als führendes Mitglied eines weltweit agierenden Verbrechersyndikats namens „Quantum“ entpuppt, die Flucht. Bei den Ermittlungen zu Quantum stößt Bond auf die Machenschaften von Quantum-Mitglied Dominic Greene (Mathieu Almaric), der sich mit seiner Öko-NGO „Greene Planet“ die Trinkwasserreserven Boliviens aneignen will, indem er durch einen Staatstreich dem im Exil lebenden General Medrano (Joaquín Cosio) wieder ins Präsidentenamt verhelfen will. Diesen Plan wird Bond wie gewohnt am Ende vereitelt haben, sein eigentliches Objekt der Vergeltung (Mr. White) hat er unterdes aus den Augen verloren. Parallel zu diesem Bond-Standard-Plot erzählt Quantum of Solace aber auch Bonds Trauerarbeit nach Vesper Lynds Tod, wie er sich mit sechs Vodka Martinis (3 Teile Gordon’s Gin, 1 Teil Vodka und ein halber Teil Kina Lillet mit einem schmalen Streifen Zitronenschale) zukippt oder wie er dem Bondgirl Camille Montes (Olga Kurylenko) zu ihrer persönlichen Rache an dem General (der ihre Eltern töten ließ) verhilft und sich dabei über seinen eigenen Wunsch nach Vergeltung im Klaren wird: So lernt Bond, Vesper und sich selbst zu vergeben, und den Kampf gegen Quantum nicht als persönlichen Rachefeldzug zu führen (was ihm zwischenzeitlich die Suspendierung beim MI6 einbrachte).

Bei dieser Forterzählungsfreude – viele Figuren aus Casino Royale tauchen wieder auf, viele Handlungsfäden werden fortgesponnen – gerät der typische Bond-Plot aus dem Blick. Dieser war eine postmoderne, völlig übersteigerte, selbstironisch gebrochene Erzählung des Campell’schen Monomythos – aus den mittelmäßigen Spionageromanen des Ian Flemming (die mit Casino Royale und Quantum of Solace in der Tat adäquat verfilmt wurden) schälte sich seit dem ersten „offiziellen“ Bondfilm 1962 (Dr. No) eine Heldenfigur heraus, die nach wie vor zur Popikone taugt, weil sie soviel vom Zeitgeist atmet: einerseits ist Bond ein hedonistischer Playboy, ein Markenfetischist, ein Luxusgüter-Konsumist, andererseits beruht dieser Lebensstil bloß auf seinem Status als MI6-Agent, wofür Bond immer wieder sein Leben riskieren muss. Bond ist ein working class hero, der sich in der feinen Gesellschaft bewegt, weil es sein Job ist (seine Lizenz zum Töten ist eine Pflicht zum Töten), er ist aber stets bloß Fremdkörper in den höheren Kreisen. Auch wenn er deren Habitus mit Leidenschaft verinnerlicht hat, so klingt in Bonds Begegnung mit diesen Eliten stets ein Tönchen Klassenkampf an. Dort, wo die Eliten einen besonders megalomanen Charakter hervorbringen, der wieder mal die Welt zerstören will, darf Bond diese Hybris dann auch mit Wonne bestrafen. Auf diesen Moment wurde auch in Quantum of Solace nicht verzichtet: Greene, der aus Profit- bzw. Machtgier ein ganzes Land verdursten lassen wollte, wird von Bond schließlich mit einer Dose Motorenöl in der Wüste ausgesetzt.

Nach aller vorgebrachten Skepsis an der De- und Rekonstruierung des Mythos Bond seit Casino Royale sei aber noch erwähnt, dass es sich auch bei Quantum of Solace um einen rasanten, ästhetisch kohärenten Actionstreifen handelt, der nicht nur aufgrund seiner – für Bondverhältnisse recht kurzen Laufzeit von 106 Minuten – für Kurzweil sorgt. Und man darf gespannt sein, wie die Produzenten die Bondmarke restaurieren werden, wenn das Publikum genug von dem Spiel mit Verweisen auf den alten Bond hat. Denn dieser Weg wird sich früher oder später als Sackgasse erweisen.

Ein Quantum Trost
(Quantum of Solace, UK/USA 2008)
Regie: Marc Forster, Drehbuch: Paul Haggis, Neal Purvis, Robert Wade; Kamera: Roberto Schaefer; Musik: David Arnold; Schnitt: Matt Chesse, Richard Pearson; Darsteller: Daniel Craig, Olga Kurylenko, Mathieu Almaric, Judi Dench, Giancarlo Giannini, Gemma Arterton, Jeffrey Wright
Länge: ca. 106 Minuten
Verleih: Sony Pictures

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