»Jede Form ist abnorm.«

Herbert Achtenbusch gilt als das enfant terrible des deutschen Nachkriegskinos. Zwischen 1970 und 2002 hat er 30 Filme gedreht, das diesjährige Münchner Filmfest widmete ihm eine Retrospektive und anlässlich seines 70. Geburtstags soll sein filmisches Werk endlich auf DVD erscheinen. Beste Gelegenheit für einen Rückblick, eine Gratulation und ein Dankeschön.

Im März dieses Jahres erinnerte man sich nach viel zu langer Zeit endlich wieder einmal an ihn: Herbert Achternbusch. Der Grund der Erinnerung war allerdings kein erfreulicher. Es jährte sich zum 25. mal der Eklat, den Achernbuschs DAS GESPENST im Jahre 1983 ausgelöst hatte und der im Jahr der Machtübernahme Helmut Kohls die Republik zumindest kulturell ein wenig ins Wanken gebracht hatte. Im Sommer dann folgte das Münchner Filmfest der Erinnerungsspur zu einem der produktivsten Künstler Bayerns, indem man ihm eine Komplett-Retrospektive widmete – es war lange her, dass man einen seiner Filme im Fernsehen oder gar im Kino bewundern konnte: 2002 hatte Achternbusch mit DAS KLATSCHEN MIT EINER HAND seinen bislang letzten Film gedreht. Seither ist er „nur“ noch als Maler, Bildhauer und am Theater tätig.

Servus Bayern

Um die Entstehung seines ersten Spielfilms, DAS ANDECHSER GEFÜHL (1974) ranken sich Gerüchte, von denen der Regisseur heute noch spricht. Mit der damaligen Ehefrau Volker Schlöndorffs, Margarethe von Trotta, soll er auf einer Party Romy Schneider begegnet sein, die er unbedingt für seinen Film als Darstellerin gewinnen wollte. Er sah jedoch ein, dass das ein Traum bleiben musste und inszenierte DAS ANDECHSER GEFÜHL mit sich selbst in der Hauptrolle, von Trotta, Walter Sedlmayr und etlichen damals unbekannten und Laiendarstellern, die von da ab seine feste Crew für drei Filmjahrzehte bildeten. Achternbusch selbst trat beinahe in jedem seiner Filme als Haupt- oder Nebendarsteller auf. Der Künstler rückt sich selbst ins Bild – dies scheint auch das Motto etlicher seiner Filme aus den 1970er Jahren gewesen zu sein.

DIE ATLANTIKSCHWIMMER von 1975 ist schon gleich eine Parabel auf das Künstlertum, denn dort nehmen sich zwei Protagonisten vor, das Unmögliche zu schaffen: schwimmend den Atlantik zu überqueren. Das heute noch bekannte Paradox: „Du hast keine Chance, also nutze sie“ fällt zu Beginn und am Ende des Films und man wird den Verdacht nicht los, dass diese Geschichte um Kunstwillen und Geschäftstüchtigkeit (das Unternehmen gerät fast in Gefahr, als sich der Schwimmer Herbert von einem Klopapier-Dichter unter Vertrag nehmen lässt) auch vom Deutschen Film Mitte der 70er Jahre erzählt – von den Aufbruchsversuchen, den Konflikten und den Sorgen ums Geld. In SERVUS BAYERN konkretisiert Achternbusch diese Perspektive und wirft einen Blick auf den Künstler (wiederum er selbst) und sein soziales Umfeld. Zu kalt ist es ihm in Bayern geworden, weswegen er nach Grönland auswandern und sich dort aufwärmen will. Doch seine zahlreichen Liebschaften, seine Ehefrau und die Öffentlichkeit in Person eines Fernsehenreporters machen ihm das Fortkommen schwer.

In SERVUS BAYERN, der wie viele Filme Achternbuschs von Jörg Schmidt-Reitwein, einem Kameramann, der von Werner Herzog „entdeckt“ wurde und zeitgleich mit ihm arbeitete, fotografiert wurde, finden sich bereits jene schier endlosen Plansequenzen, die so typisch für sein Werk sind. In einer der vielleicht intensivsten Szenen des damaligen Jungen Deutschen Films gibt Annamirl Bierbichler (die Schwester des Schauspielers Sepp Bierbichler) einen herzzerreißenden Monolog über die Liebe, die Kunst und die Angst allein zu sein. Bierbichler wird in der Folgezeit häufig die allein gelassene Frau der Herbert-Figur spielen. Bereits in BIERKAMPF (1977) übernimmt sie wieder einen solchen Part. Doch vordringliches Thema ist hier der Spott über den Bajuwarismus, den Achternbusch bereits in SERVUS BAYERN mit Sätzen wie „In Bayern möchte ich nicht einmal gestorben sein“, anklingen lassen hat. Im semi-dokumentarischen BIERKAMPF läuft er als Polizist verkleidet übers Oktoberfest, zettelt Schlägereien an und schaut der so genannten Volksseele unter den Rock. Aus ausgelassener Feierstimmung wird erschreckender Bierernst. Ein Jahr später vernichtet Achternbusch in DER JUNGE MÖNCH seine Heimatstadt München bei einem Atomkrieg und lässt nur noch einen Vorort intakt, in welchem Herbert mit seiner Frau lebt und eine neue Religion, die einen Schokoosterhasen zum Gott erklärt, ins Leben ruft. Abermals ein Film voller Invektiven gegen seine Heimat, die CSU und den common sense.

Das Gespenst aus dem letzten Loch

DER NEGER ERWIN (1980) ist Achternbuschs erster Film der 1980er Jahre. Es wird sein produktivstes Filmjahrzehnt, wie es auch das produktivste Jahrzehnt vieler anderer Protagonisten des Neuen Deutschen Films geworden ist. In der Rückschau: Ein Aufbäumen kurz bevor das Kino der Söhne ebenso tot ist, wie das Papas. Besagter Neger Erwin ist das Maskottchen einer Kneipe. Herbert, der jahrelang selbst diese Funktion inne hatte, kehrt aus dem Gefängnis zurück und gibt sich als der berühmte Filmemacher Herbert Achternbusch aus. Es gelingt ihm zusammen mit der Gastwirtin Susn (Annamirl Bierbichler) seine Idee eines Films zu verwirklichen. Sie bedienen sich einer Nilpferd-Dame, die zum an die Kneipe angeschlossenen Zoo gehörte, und reiten davon. Kurz vor Schluss springen alle drei in die Isar und Herbert schlussfolgert: Wenn es in der Isar Flusspferde gibt, dann muss die Isar der Nil und Bayern folglich in Afrika sein. Also kann er künftig anstatt Filmförder-Gelder Entwicklungshilfe beantragen.

Geld bekommt Achternbusch erstmals für seinen folgenden Film, DAS LETZTE LOCH. Eine überaus bittere Auseinandersetzung mit der Holocaust-Aufarbeitung. Auf der Flucht vor der Polizei will  sich Nil (Achternbusch) zusammen mit Susn und einem untergetauchten Polizisten auf der Insel Stromboli verstecken. Nil ist von dem Wunsch getrieben, die 6 Millionen ermordete Juden endlich vergessen zu können. In der Wulkanasche Strombolis ist ihm dies nicht vergönnt – selbst hier tauchen die Skelette wieder auf. Das Fördergeld, das Achternbusch für DAS LETZTE LOCH bekommen hat, floss direkt in seinen Film DAS GESPENST ein. Die letzte Rate, die mit dem Erscheinen des neuen Films fällig wurde, erhielt er allerdings nicht, weil der damalige Bundesinnenminister DAS GESPENST als Blasphemie und daher als nicht förderungsfähig erkannte. Ein Disput zog sich durch Politik, Filmpublizistik und die Kirche, dessen unfreiwilliges Zentrum Herbert Achternbusch war. In DAS GESPENST steigt Jesus (Achternbusch) vom Kreuz und eröffnet mit der Mutter Oberin (Bierbichler) eines Klosters eine Kneipe. Dort bedienen sie römische Gladiatoren und betrunkene Polizisten. Zwischendrin philosophieren Jesus und seine Geschäftspartnerin über die körperliche Liebe und den Wahnsinn des Glaubens. Das war zu viel für das christliche Selbstbewusstsein einiger politischer Entscheidungsträger.

Zu den zentralen Anliegen des filmischen Werks in den 80ern gehörte die Auseinandersetzung mit der Atomenergie. In DER JUNGE MÖNCH bereits angedacht, greift Achternbusch das Thema in DIE FÖHNFORSCHER (1984) und PUNCH DRUNK (1985) noch einmal auf. In Ersterem geht es um die Stationierung der deutschen Atomrakete „Herching II“ in der Nähe von München, in letzterem abermals um eine vom Atomkrieg zerstörte Welt, in der das Kultusministerium allerdings noch funktioniert. Um das Amt des Ministers bewirbt sich Herbert Riesenhuber (Achternbusch), der zwischendrin mit seinen zahlreichen Exfrauen zum Baden an einen atomar verseuchten See fährt. „Die Vernunft ist das erste, was bei der Atomstrahlung verbrennt“, weiß eine der Frauen. Im letzten Drittel des Films kommt es zu absurden Sex-Szenen an den Ufern der verseuchten Kloake – schon 1985 hat Tschernobyl in den Filmen Achternbuschs seinen Schatten vorausgeworfen.

Hicks Reise ins Niemandsland

Die Herbert-Figur, die Achternbusch in den 70ern und 80ern in seinen Filmen verwandt hatte, war nur eines, wenn auch ein besonders deutliches, vieler werkübergreifender Motive. Herbert trat in verschiedenen Erscheinungsformen und manchmal sogar von verschiedenen Darstellern gespielt (in DIE OLYPIASIEGERIN von 1983 sogar von Annamirl Bierbichler) in den Filmen auf. Ab den 1990er Jahren findet sich zunehmend die Kunstfigur Hick in ihnen. Hick ist mal ein Schornsteinfeger (AB NACH TIBET!, 1994), mal ein Universitätsprofessor (ICH BIN DA, ICH BIN DA!, 1992), immer jedoch ein Suchender, oft ziellos Reisender. In HICK’S LAST STAND ist er in Amerika unterwegs und berichtet von der dortigen Unkultur in Briefform an seine daheim gebliebene Frau. Der semidokumentarische Film besticht durch seine schier endlosen Landschafts-Plansequenzen. Hick ist aber vor allem ein Buddhist. Bereits die von Achternbusch gespielte Figur in PUNCH DRUNK hatte sich zur fernöstlichen Religion bekannt. Hick spricht wenig, handelt jedoch deutlich als Buddhist.

In I KNOW THE WAY TO THE HOFBRAUHAUS (1991) verfolgt er die geflohene Mumie eines ägyptischen Museums. Sie steht für alles Böse und Schlechte, das der Stadt geschehen könnte und wird mit der CSU verglichen. Während der Verfolgungsjagd liefert Hick dem Zuschauer eine fremdartige Perspektive auf die bayrische Landeshauptstadt. In NIEMANDSLAND (1991) hat sich Hick den Indianern angeschlossen, weswegen ihm der Prozess gemacht wird. Der Film liefert ein Zerrbild des Umgangs mit den Ureinwohnern der USA, das ein Jahr später in ICH BIN DA, ICH BIN DA! seine Apotheose findet. Zum 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas lässt Achternbusch einen ruhelosen Konquistadoren-Geist einem Gemälde entspringen und sich danach erkundigen, ob denn endlich alle Indianer tot seien. Der „Zukunftologe“ Prof. Hick und sein Assistent sind vor Ort und geraten vor die Klinge des Indianerhassers. AB NACH TIBET! ist Achternbuschs deutlichstes Bekenntnis zum Buddhismus, der hier wie in den anderen Werken auch seine filmästhetische Entsprechung findet.

Mit der hermeneutisch geleiteten Vernunft lassen sich seine Filme nämlich nicht bewältigen. Vielmehr versuchen sie die überkommenen Erzählverfahren Hollywoods hinter sich zu lassen und ihren Sinn in Bildern und Episoden zu entfalten. Dabei entstehen oft Momentaufnahmen, „Einstellungen“ im doppelten Wortsinne. AB NACH TIBET ist ein solcher Film der Einstellungen. Hier ergreift Hick zusammen mit seiner Tochter Su die Flucht aus München in Richtung Himalaya. Der Film enthält die Religionskritik der vorherigen Werke (abermals eine Bierbichler in Nonnenkostüm und einen Mann, der am Kreuz lebt), aber auch die Lyrizität und grafische Kraft der Hick-Filme. Achternbusch verwendet von Beginn an Zeichnungen und Set-Entwürfe aus eigener Feder in seinen Filmen. Den Höhepunkt findet dies in AB NACH TIBET und 1997 in PICASSO IN MÜNCHEN, in welchem sich der Regisseur als Reinkarnation des spanischen Malers inszeniert, um dort seine Gelbe Phase abzuschließen, jedoch von seinen zahlreichen „Witwen“ daran gehindert wird.

Neues Jahrtausend – Keine Filme

Nach PICASSO IN MÜNCHEN hat Herbert Achternbusch nur noch zwei Filme gedreht: NEUE FREIHEIT – KEINE JOBS (1998) und DAS KLATSCHEN MIT EINER HAND (2002). Der erste erzählt für die Maßstäbe Achternbuschs erstaunlich kohärent von einer gescheiterten Wiedervereinigung und abermals einem Hick, der des Landes fliehen will, zuvor aber noch das System Kohl stürzt, das für die Misere verantwortlich ist. Hier kommt der Staat, die Polizei und die Gesellschaft so schlecht weg, wie in keinem seiner Filme zuvor. Der Anfang vom Ende ist bereits in der Steinzeit vorgegeben, als sich eine Horde Urmenschen entschließt, jede Innovation im Keim zu ersticken und damit das System der Arbeitslosigkeit zu etablieren. DAS KLATSCHEN MIT DER EINEN HAND ist Achternbuschs (bisher) letzter Film, ein Generationenvertrag, das Weitergeben der Staffel an die Jungen, die mit dem Erbe – hier in Form eines enormen Felsblocks, der gestemmt werden muss – jedoch nichts anzufangen weiß.

Filmkünstler wie Herbert Achternbusch gibt es in Deutschland nicht mehr. Für Drehbücher, die sich weigern zu erzählen, gab es schon zu Achternbuschs Zeiten wohl zwar idelle aber keine finanzielle Förderung. Aber zum „negativen Millionär“ (wie er sich selbst betitelt) zu werden, fehlt schlicht der Mut. Vielleicht waren seine Filme ein Phänomen der Zeit, Kritik in und an einer Gesellschaft, die heute so gar nicht mehr existiert. Hick, der immer schon wenig gesprochen hat, ist in NEUE FREIHEIT – KEINE JOBS noch mehr verstummt, ganz so, als wäre diese Zeit schon nicht mehr seine. Herbert Achternbusch hatte vielleicht nicht denselben Einfluss auf die Filmwelt der 70er bis 90er, den etliche seiner Regisseurskollegen besaßen. Er hat jedoch stets „das Andere“ des Kinos bedient. „Filme vergehen wie Rosenkränze“, sagt Achternbusch aus dem Off zu seinen dokumentarischen China-Aufnahmen in BLAUE BLUMEN (1985) – ein augenzwinkerndes Lachen in das Gesicht der Vergänglichkeit, das wohl nur ein Kino-Buddhist wie Herbert Achternbusch an den Tag legen kann.

Herbert Achternbuschs Filme auf DVD bei PierrotleFou

Pünktlich zum 70. Geburtstag Achternbuschs erinnert nicht nur das Fernsehen an ein paar seiner Filme, sondern Achternbuch beginnt nun endlich auch das Medium DVD zu erobern. Der Münchner Filmverleih „PierrotleFou“ bringt eine Box mit fünf Spielfilmen heraus, der – bei Erfolg – noch weitere folgen sollen. Die Filme sind allesamt in Bild und Ton digital bearbeitet und einige der DVDs enthalten zudem interessante Extras:

1. DVD: „Das Andechser Gefühl“ (D 1974)

Bild: 4:3 (Originalformat), Farbe
Ton: Deutsch (Mono)
Länge: 62 Minuten

2. DVD: „Die Atlantikschwimmer“ (D 1976)

Bild: 4:3 (Originalformat), Farbe
Ton: Deutsch (Mono)
Länge: 79 Minuten
Extras: Interview mit Achternbusch von 1988 (8 Minuten)

3. DVD: „Das Gespenst“ (D 1982)

Bild: 1,66:1 (anamorph), schwarz-weiß
Ton: Deutsch (Mono)
Länge: 86 Minuten

4. DVD: „Die Olympiasiegerin“ (D 1983)

Bild: 1,66:1 (anamorph)
Ton: Deutsch (Mono)
Länge: 102 Minuten
Extras: „Komm doch an den Tisch“ (Dokumentation von 1998, 30 Minuten)

5. DVD: „Hick’s last Stand“ (D 1990)

Bild: 4:3 (Originalformat)
Ton: Deutsch (Mono)
Länge: 76 Minuten
Extras: Podiumsdiskussion von Münchner Filmfest 2008 (40 Minuten)

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