Das Abwassersystem Freundschaft

„Cloaca“ – das bedeutet im Lateinischen unterirdischer Abwasserkanal oder Entwässerungsgraben und bezeichnet auf der anderen Seite die Kloake, den Darmausgang der Vögel und Reptilien, der diesen gleichzeitig als Harnleiter und Geschlechtsorgan dient. Der Künstler Wim Delvoye stellte unter dem Titel „Cloaca“ im Museum of Contemporary Art in Antwerp im Jahr 2000 eine Installation aus, die den menschlichen Verdauungsapparat simulieren sollte. Die Ergebnisse dieser Simulation konnte man, wenn man wollte, übers Internet „erwerben“. „Buying Cloaca shit has never been easier!“ „Cloaca“ lautet auch der Titel eines 2003 unter der Regie von Willem van de Sande Bakhuyzens entstandenen Filmes. Der Titel ist programmatisch, denn er stellt sich die Frage menschlicher Exkremente auf einer ganz anderen Ebene, indem er nämlich die Konstruktion und das Scheitern der Freundschaft von vier Mittvierzigern seziert, deren Lebensentwürfe aus dem Ruder zu laufen drohen. Der Niederländer zeigt dabei, dass Freundschaft eine Aporie ist die es auszuhalten oder an der es zu scheitern gilt.

Was passiert, wenn man einen homosexuellen Büroangestellten, einen egomanischen Politiker, einen exzentrischen Theatermacher und einen drogensüchtigen Anwalt vor der Folie einer in die Jahre gekommenen Freundschaft mit den jeweiligen persönlichen Abgründen des anderen zusammentreffen lässt? Bakhuyzen erzählt die Geschichte dieser seltsamen Viererkonstellation und lässt sie ihre Freundschaft zu einem Zeitpunkt erneuern, der von jedem der vier eine Entscheidung einfordert, die für das weitere Leben von tragischer Bedeutung ist. Die Freundschaft erweist sich jedoch bald als trügerische Hoffnungsmaschine, die mechanisch das persönliche Scheitern des einzelnen im Freundeskreis wiederholt. So beginnt ein subtiles Ausloten der jeweiligen Lebensentwürfe, deren Risse, Bruchstellen und inkompatiblen Anschlüsse sich aber umso fataler auswirken, da die vier sich alle in der mittleren Phase ihres Lebens befinden, einer Zeit da der Neuanfang im Falle des Kollaps als Möglichkeit zwar noch denkbar wäre, in den realen Entwürfen der jeweiligen Existenzen aber bereits ans absurde grenzt.

Da wäre zum einen Pieter, der von seinem Vorgesetzten zur Rückgabe von acht Gemälden gezwungen wird, die er sich seinerzeit als Geburtstagsgeschenke aus den Archiven der Stadt holen durfte und deren Wert nach dem Tod des Künstlers auf drei Millionen Euro angewachsen ist. Vier der Gemälde wurden jedoch von ihm verkauft und so droht ihm der Ruin; Joep der seine Karriere als Minister durch die Trennung von seiner Frau gefährdet sieht; Tom, der gescheiterte Anwalt der nach einem Selbstmordversuch alles daran setzt seine manischen Depressionen in den Griff zu bekommen und Maarten, der alternde Theatermann, dessen weiterer Erfolg am seidenen Faden einer bevorstehenden Inszenierung hängt und der ein geheimes Verhältnis mit Joeps 18jähriger Tochter Laura hat.

Gerade dort wo die Freundschaft Rückhaltlosigkeit fordern würde scheitert sie jedoch. Joep verleugnet Pieter zugunsten seiner Karriere und verpatzt die letzte Chance wieder zu seiner Familie zurückzukehren; Tom, der von Pieter mit seinem Fall betraut worden war, flüchtet sich in den Rausch; Maarten führt trotz aller moralischen Bedenken die Affäre mit der Tochter seines Freundes fort. Kurz gesagt: jeder der Vier klammert sich umso heftiger an sein eigenes Fortkommen, je mehr ihm die fatale Situation der Freunde und damit auch seine eigene vor Augen geführt wird. Die Buchstäblichkeit des „In-der-Scheiße-Sitzens“ dient Bakhuyzen als Schauplatz dieser Hommage an das Scheitern, in der einer zum anderen spricht und dabei monologisch am anderen vorbei redet. Und so hält jeder der vier seinem Dilemma unweigerlich die Treue und die Aufgabe der Freundschaft vaporisiert an der Landmarke des Todes, die alle Versuche eines Neuanfangs unmöglich macht: Pieter nimmt sich unter der Dusche das Leben, indem er sich die Pulsadern öffnet. So taucht am Ende des Films symbolisch das Bild des Abflusses wieder auf, dessen Spuren der Titel trägt.

Bakhuyzen inszeniert diese Verfallserscheinungen jedoch ganz und gar nicht, wie man bei der Beschreibung annehmen könnte, nach dem sorgsamen Aufbau eines brechtschen Lehrstücks, wenngleich seine parabelhaften Züge zuweilen den engen Bezug zum Theater spürbar machen. Dies ist insofern wenig verwunderlich, da die Vorlage zu Bakhuyzens Film aus der Feder der Theaterautorin Maria Goos stammt, deren gleichnamiges Stück zum ersten Mal 2002 auf die Bühne kam. Regie führte damals übrigens Bakhuyzen. Dennoch bleibt sein Angriff auf den nachmodernen Gesellschaftsentwurf, in dem der einzelne sich paradoxerweise zwangsläufig zum Alleingängertum genötigt sieht, vor allem ein Angriff auf die Inszenierung selbst. Die vier Protagonisten lassen sich nämlich durchaus als tragikomischen Kommentar zum Versuch verstehen das unvermeidliche Auseinanderdriften durch die Inszenierung von Gemeinschaft zu überzeichnen. Bezeichnenderweise verzichtet der Film auf eine detaillierte Beschreibung der gemeinsamen Geschichte undbegnügt sich mit dem bloßen Verweis auf diese.

Es gibt aber auch die anderen Momente, jene Augenblicke, in denen die Freundschaft der Vier funktioniert. Es sind Augenblicke in denen vom anderen nichts erwartet, aber alles gegeben wird. So zum Beispiel als die Freunde Joep zu seinem Geburtstag mit einer kleinen „Performance“ überraschen, oder Pieter Tom bittet ihm juristischen Beistand zu leisten.
Auf diese Weise oszilliert „Cloaca“ auf der Linie der gestellten Frage nach der Freundschaft in Zeiten des Alleingangs zwischen den beiden Polen ihrer Möglichkeit und Unmöglichkeit.
„Mancher kann seine eigene Ketten nicht lösen, und doch ist er dem Freunde ein Erlöser“, heißt es bei Nietzsche. Erlösung ist jedoch, wie „Cloaca“ deutlich macht, nichts von Dauer. Sie ist ein Moment, der immer in Aussicht steht, immer schon da war und, wie die Maschine von Delvoye demonstriert, immer auch ihre Exkremente hinterlässt, die es wegzuspülen gilt – ein Schiss der Seele, sofern dieser Vergleich hier erlaubt sein darf.

Bei allem inszenatorischen Geschick, dass Bakhuyzen an den Tag legt, bleibt jedoch ein Wermutstropfen, der aber weniger mit dem Film als mit dem Modus seiner Veröffentlichung zu tun hat. Die DVD, die hierzulande bei epix Ende 2007 veröffentlicht worden ist, ist nur im Originalton mit deutschem Untertitel erhältlich und für den stolzen Preis von 25,99 Euro zu erwerben, was angesichts der eher dürftigen Ausstattung die aus der Biographie der Autoren und einer schlappen Trailershow, die offensichtlich aus Mangel an alternativem Material den Weg auf die DVD gefunden hat, kaum zu rechtfertigen ist, dabei gäbe es gerade angesichts des vielschichtigen Titels eine Menge lohnenswertes was man hätte in die Komposition des Trägers einfließen lassen können. Aber wahrscheinlich ist gerade bei Fragen marktwirtschaftlichen Kalküls die Frage der Komposition nicht mehr relevant. Man lässt sich dafür jedoch mit einem abendfüllenden Film entschädigen, der noch lange nachwirkt.

Cloaca – Alte Freunde
(Cloaca, Niederlande 2003, Niederländisch/OmU)
Regie: Willem van de Sande Bakhuyzen.
Drehbuch: Maria Goos.
Darsteller: Peter Blok, Pierre Bokma, Gijs Scholten van Aschat, Jaap Spijkers.
Kamera: Guido van Gennep.
Schnitt: Wouter Jansen.

Zur DVD von epix

Produktionsland & -jahr: Niederlande 2003
Laufzeit: ca. 107 Min.
Sprache: Niederländisch
Untertitel: Deutsch, Englisch (tba)
Audio: DD 5.1 & 2.0
Bildformat: 1,85:1/16:9
Extras: Biografie der Autorin und des Regisseurs, Artwork-Galerie, Epix-Trailershow.
Preis: 25,99 Euro

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