Brinkmanns Zorn

In Brinkmanns Zorn schnauft, grunzt, schimpft, trauert, monologisiert, dokumentiert der echte Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann jedwede Begebenheit ins Mikrofon, und all dies wird lippensynchron vom Schauspieler Eckhard Rhode ins Bild übersetzt. Oder eben umgekehrt (der Dvd-Directors Cut bezieht auch Brinkmanns Super-8 Aufnahmen mit ein und unterlegt sie mit mutmaßlichen Dialogen und Monologen). Brinkmann schlägt auf Mülltonnen ein, erfasst das Schnattern der Enten, versucht penetrant wie empathiefrei seinen lernbehinderte Sohn zur Sprache zu führen, pinkelt in eine Nebengasse, beschimpft den Betonblock Köln usw. usf.

In Bergmanns Film wird das vorgefundene Material herangezogen, um daraus eine Fiktion zu destillieren, und das lässt ihn irgendwo zwischen Dokumentar- und Spielfilm oszillieren. Hier sind alle Instrumente darauf ausgerichtet, dem Poeten Brinkmann ein filmisches Gesicht zu verleihen und zwar nicht trotz, sondern aufgrund des bereits vorgefundenen Materials, den bereits existierenden Tonbändern.

Brinkmanns Zorn gibt sich redlich Mühe, aus den assoziativ vorgefertigten Dokumenten eine Geschichte zu entwickeln, weswegen das Präsentierte eben auch nicht als genuin Dokumentarisch begriffen werden sollte. Nicht der Schauplatz strukturiert das Geschehen, sondern umgekehrt drängt das Geschehen dazu, den Schauplatz immer wieder aufs neue den Dokumenten zu überantworten, was gelegentlich nicht ohne Witz geschieht, wenn etwa ein Inlinekater das Geschehen ohne Zweifel ins hier und jetzt befördert, obgleich der Schauplatz im Jahre 1973 angesiedelt ist. Aber das können auch unerwünschte Nebenschauplätze sein. Worum es Brinkmann geht: alles Erlebte, unmittelbar Gegenwäertiges detailgenau wie möglich mit Sprache zu fixieren und im Wissen um das Scheitern dieses Vorhabens aus der medialen Doppelung einen Bezug zur Wirklichkeit zu konstruieren. Wohlwissend, dass dieser Vorgang keine Realität abbildet, aber vielleicht der Wahrheit am nächsten ist. Dieses Prinzip versucht sich auch Bergmann anzueignen, indem er den narrativen Rahmen den medialen Anforderungen anpasst. In den Wohnungen dominieren Halbtotale und Nahaufnahme den Bildausschnitt, unter freiem Himmel hingegen zittert die Kamera, entgleitet, verfolgt andererseits geradezu die Figur Brinkmanns, dem gelegentlich paranoide Züge nicht abgesprochen werden können und dessen Zorn sich fundamental an allem, ob Architektur oder Mensch, entlädt. Der Schnitt kopiert entweder seine Cut-Up-Technik oder die Kamera kontrastiert mit leichter Zeitlupe seinen assoziativen Wortschwall, um irgendwie eine Korrespondenz zwischen Ton und Bild zu erzielen, die in geschlossenen Räumen wiederum durch die Ruhe der Intimität ersetzt zu sein scheint.

Und hinter all dem verbirgt sich darüberhinaus noch die (eben erst durch den Film strukturierte) Biographie eines Künstlers, die Zurichtung des Materials zur goutierbaren Plotkonstruktion oder eben ein unkoventionelles Verständnis einer adäquaten Literaturverfilmung. So wird Brinkmanns Methode in ein anderes Medium überführt, gleichzeitig aber auch eine stimmige Biographie geformt, zumindest in Teilen. Die Impertinenz, mit der Brinkamm seinen sprachbehinderten Sohn zum Reden treiben will oder auch sein Umfeld unentwegt mit dem Mikrofon bedrängt, lässt die Ehe auseinanderbrechen und der Drang zum Dokumentieren erweist sich fortschreitend als Suche nach der Position des Subjekts in einer ausnahmslos durchverwalteten Welt, in der alles, die Wut wie die Trauer, die Literatur wie das Erleben, zumindest im brinkmannschen Verständnis, Kopie, also nicht mehr subjektiv ist. Für diese Suche nimmt er also einiges in Kauf und ob sie irgendwann mal von einem Ziel gekrönt worden wäre, bleibt ungewiss. Nach einer Lesung 1975 in Cambridge wird er von einem Auto angefahren und stirbt noch am Schauplatz und mit ihm auch die höchst anregende Symbiose aus Ton und Bild, die nachhaltig bewiesen hatt, dass Literaturverfilmungen auch mit ganz anderen Mitteln realisiert werden können.

Brinkmanns Zorn
(Brinkmanns Zorn, D 2006)
Regie: Harald Bergmann
Darsteller: Eckhard Rhode, Alexandra Finder, Martin Kurz u.a.
Länge: 105 Min. (Kinofassung), 341 Min. (Dir.Cut)
Verleih: good!movies

Zur Ausstattung der DVD:

Bild: 4:3 (Disc 1), 16:9 (Disc 2 & 3)
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1, Dolby Digital Stereo 2.0)
Länge: 105 Min. (Kinofassung), 341 Min. (Dir.Cut)
Freigabe: ab 12
Preis: 25,98 Euro

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Sven Jachmann

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