Sein und Schein der Identitäten

Dass der Begriff queer nicht einzig auf den geschlechtsspezifischen, sondern auf die Irritation jedweden Identitätsbegriffs per se referiert, kann nun in Todd Haynes Debütwerk, welches gern als Initialklassiker des New Queer Cinema apostrophiert wird, in aller Ruhe nachvollzogen werden. Wie in seinem aktuellen Bob Dylan-Biopic „I`m not there“, in dem nicht weniger als sechs verschiedene Schauspieler der Figur Dylan ein Gesicht verleihen, ist auch bereits in „Poison“ diese zentralmotivische Ausrichtung in Haynes Schaffen spürbar. „Sein und Schein der Identitäten“ weiterlesen

The great Mutant Swindle

Die Welt der Zukunft in „Aktion Mutante“ ist trennscharf in zwei Klassen aufgespalten: Die Herrschenden gebieten über dem Rest. Das ist nicht so unwichtig wenn man bedenkt, dass sich die gleichnamige Terroristengruppe unter der Schirmherrschaft des charismatischen Ramons einzig gegen das Primat der Schönheit und Sauberkeit der Vergnügungssüchtigen auflehnt. Mit der Entführung der Industriellentochter Patricia mitten auf ihrer Hochzeit verfolgt sie jedoch weniger den Ausdruck eines gesellschaftspolitisches Statements, sondern vielmehr den schnellen Pimp der eigenen Kassen. Nachdem jedoch Ramons wahre Absichten, alles Geld für sich einzustreichen, enttarnt sind (und auch die Entführung selbst nicht gerade vom Glück für den Gruppenbestand gekrönt war), verbleiben nach der Bruchlandung auf einem wüstenartigen Rohstoffplaneten gerade mal zwei Kontrahenten, die aus unterschiedlichen Gründen den Weg zum Ort der Geldübergabe antreten: Ramon, den das Geld lockt und Alex, der sich an Ramon rächen will und darüber hinaus unsterblich in Patricia verliebt ist. Der Weg zum Finale ist gesäumt mit blinden Wüstenbewohnern, verrückten Minenarbeitern und fettleibigen Redneckfamilien. „The great Mutant Swindle“ weiterlesen

Leerstellen des Humanismus

9/11 als traumatischer Bezugspunkt bestimmt schon seit längerer Zeit den Bilderkosmos Hollywoods: manifest etwa in Oliver Stones „World Trade Center“, latent in den jüngsten Apokalypsevisionen „I am Legend“ und „Cloverfield“. Schon die exzessive Gewalt in „Hostel“, so wollte es der Gesellschaftskritiker in manchem Filmkritiker, seien im Kern als Reflex der Folterbilder aus Abu Ghraib zu deuten, die selbst wiederum dem Diskurs der Mythologien eine weitere Note hinzuzufügen wussten: Nicht bloß die Wahrheit stürbe als erste im Krieg, sondern mit ihr nun auch die Humanität. An letzteren Strang knüpft Paul Higgis mit seiner zweiten Regiearbeit nach dem Debüt „Crash“ an und führt das Abstraktum Trauma 9/11 anhand des Irak-Kriegs ins handfeste Narrativ seiner geopolitischen Folgen. Brian de Palma, dies nur Rande, wird es ihm demnächst mit „Redacted“ gleich tun, obgleich mit gänzlich entgegen gesetzten Mitteln. „Leerstellen des Humanismus“ weiterlesen

Nachrichten aus dem Kulturbetrieb

Wo er recht hat, hat er recht. Verlagsarbeit ist langweilig, folglich kann ein Verlagsportrait nur so spannend wie sein Verleger ausfallen, dachte sich März-Inhaber Jörg Schröder und also weiter: Was tun? Eine Rahmenhandlung schaffen, die dem chronischen Skandalon, das dem Post 68er-Familienbetrieb anheftet, den gebührenden Platz verschafft. Drum spielt Horst Tomayer, darstellend bekannt aus dem ersten Otto-Film und Tagebücher verbreitend aus Konkret, den Betriebsprüfer, der, unwissend und unbedarft wie wohl die meisten Zuschauer dieser aus öffentlichen Geldern finanzierten Produktion des Bayrischen Rundfunks, in der hessischen Provinz über Rechnungsbeträge und Steuererklärungen in die Parallelwelt des und eines linken Kulturbetriebs eintauchen muss und davon auch nicht völlig unbeeindruckt bleibt. „Nachrichten aus dem Kulturbetrieb“ weiterlesen

Kathartische Rückversicherung

Auch das australische Hinterland beherbergt den Redneck. Den grimmigen Antipoden zu Crocodile Dundee hat bereits Greg McLean mit „Wolf Creek“ auf die Leinwand gebracht (welcher als Produzent auch an „Storm Warning“ beteiligt ist). Hier nun hat er Gesellschaft bekommen, ist zu einer dreiköpfigen Familie, einem Vater und zwei Brüdern, gewachsen und nach wie vor auf den zivilisierten Städter nicht gut zu sprechen. Das bietet mittlerweile nicht mehr allzuviel Anlass zur Verwunderung: „The Texas Chainsaw Massacre“ samt Prequel, „Hostel“, „The Hills have Eyes“ und „Wrong Turn“ samt Fortsetzungen, nicht zuletzt eben auch „Wolf Creek“ haben genügend Steilvorlagen geboten, um die Pioniere des 70er und frühen 80er Terrorfilms des vergangenen Jahrhunderts ins zeitgenössische Kinogedächtnis zu retten und lassen mittlerweile nicht mehr sonderlich viel Variationsbreite des bekannten Sujets zu. Indem die urbanisierten Eindringlinge die Fesseln ihrer inneren Naturbeherrschung abstreifen und ihnen nichts anderes bleibt, als sich den enthemmten Trieben ihrer hinterwäldlerischen Antagonisten anzugleichen, um das eigene Überleben zu sichern, bleibt ihnen zum Schluss meist die kathartische Erkenntnis von der eigenen Bestialität im Korsett der zivilisatorischen Hybris.

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Spuren der Nicht-Erinnerung

Die deutsche Vergangenheitsbewältigung besitzt zahlreiche Kulminationspunkte, deren Kitt aus der Versöhnung des Unversöhnlichen seine bruchlose Konsistenz speist: sei es der Historikerstreit oder die Walser-Affäre, der Kniefall von Bittburg oder Möllemanns Israelattacken, Hitler – Eine Karriere oder Der Untergang, der Kosovo-Krieg oder das Zentrum gegen Vertreibung, die Kultur Deutschlands hat in Bezug auf den Nationalsozialismus viele Exempel der Schuldfrage hervorgebracht, deren Grundlagen eigentlich einem einzigen Effekt dienen: die Differenz zwischen Tätern und Opfern einzuebnen. Unumstößliche Grenzen freilich, und Lanzmanns Film erhärtet ihre Säulen, indem er sich auf die Suche nach dem begibt, was ihre Chance und größte Gefahr zugleich darstellt: den Spuren der Vergangenheit im Gegenwärtigen.

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Best-Of der Ideenabstinenz

„Was mich an diesem Projekt besonders interessierte, waren die 50.000 Dollar Gage“, sagt Ken Russell im Making Of, und angesichts seines Beitrags zu diesem insgesamt vier Epsioden umfassenden Anthologiefilm, dessen Rahmenhandlung (die Teilnehmer einer Filmparkbesichtigung geraten in die Falle eines Geisterhauses und werden im weiteren Verlauf vom Parkführer dazu animiert, von ihren schlimmsten Erlebnissen zu berichten) recht ungehalten die Erzählungen miteinander verbindet, mag man ihn auch gerne beim Wort nehmen. Neben Russell wurden vier weitere Regisseure für die Gestaltung einer Episode beauftragt, darunter durchaus renommierte Genre-Namen wie Joe Dante und Sean S. Cunningham.

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Vom Wandel der Perspektiven

Die zeitgenössische Renaissance des Splatterfilms drückt sich nicht bloß in der schlichten Entität zahlreicher Neuinterpretationen der klassischen Gattungsvertreter aus, sondern geht auch einher mit einer sukzessiven Transformation der ihnen zugrunde liegenden Sujets und Motive, der man mit neuen Kategorisierungsversuchen, wie etwa dem sogenannten Torture Porn, beizukommen versucht. „Welcome to the Jungle“ ist kein genuines Remake, dennoch drängt sich der Vergleich zu Ruggero Deodatos 1980 enstandenen Kannibalenfilm „Cannibal Holocaust“ förmlich auf: Hier wie dort begibt sich eine Gruppe, in diesem Fall zwei sehr gegensätzliche adoleszente Pärchen, in die Tiefen des Dschungels; hier wie dort sind sie Vertreter westlicher Hegemonialmächte, angetrieben nicht nur von dem Willen ein Geheimnis zu lüften, sondern auch aus dessen Aufklärung entsprechendes Kapital zu schlagen und hier wie dort bekommt der Zuschauer das quasi unverfälschte Destillat dieser Expedition präsentiert: nämlich die unbearbeiteten Aufnahmen des verschollenen Grüppchens, obgleich ungeklärt bleibt, wie dieses Rohmaterial in die Hände eines findigen Produzenten gelangen konnte, um einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden.

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Brinkmanns Zorn

In Brinkmanns Zorn schnauft, grunzt, schimpft, trauert, monologisiert, dokumentiert der echte Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann jedwede Begebenheit ins Mikrofon, und all dies wird lippensynchron vom Schauspieler Eckhard Rhode ins Bild übersetzt. Oder eben umgekehrt (der Dvd-Directors Cut bezieht auch Brinkmanns Super-8 Aufnahmen mit ein und unterlegt sie mit mutmaßlichen Dialogen und Monologen). Brinkmann schlägt auf Mülltonnen ein, erfasst das Schnattern der Enten, versucht penetrant wie empathiefrei seinen lernbehinderte Sohn zur Sprache zu führen, pinkelt in eine Nebengasse, beschimpft den Betonblock Köln usw. usf. „Brinkmanns Zorn“ weiterlesen

Metal-Verarbeitung

Ihr Regiedebüt „Full Metal Village“ nennt die südkoreanische Regisseurin Sung-Hyung Cho – sicher nicht ohne Ironie – im Untertitel einen Heimatfilm. Mit fast schon ethnographischem Blick portraitiert sie in einer Art teilnehmenden Beobachtung die innere Dynamik des kleinen Dorfes Wacken, wie es sich allmählich auf den alljährlichen Ansturm zehntausender Metalfans zum bereits traditionellen Wacken-Open Air vorbereitet. Dieser kurzfristige Ausnahmezustand ist es, was die Dorfbewohner zusammenführt und den Rekurs zum titelgebenden Heimatfilm vollzieht. Allerdings steht hier nicht der unmittelbare Zusammenprall zweier vermeintlich gegensätzlicher Kulturen im Mittelpunkt. Dafür nehmen die 20 Minuten Festivitätenschilderung deutlich zu wenig Platz ein.

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Michael Moore auf der Spur

In Manufacturing Dissent ist der Verweis auf die Produktionsbedingungen des eigenen Werkes evident, denn das Regisseurgespann agiert selbst in der Figur des investigativen Journalisten vor bzw. als Erzählerstimme im Off hinter der Kamera, angetreten, um der Medienfigur Michael Moore auf die Schliche zu kommen und seinem selbstkreierten Mythos altruistische und kämpferische Stimme aller Leidtragenden des kapitalistischen Verwertungssystems zu sein und so widerstandsmobilisierende Impulse zu initiieren, zu destruieren.

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Spannungsfolter

Es gibt in der Filmgeschichte nicht viele Beispiele für Sequels, die ihre Vorgänger qualitativ zu übertrumpfen schafften. Eli Roth hat mit dem zwei Jahre später vorgelegten Nachfolger seiner Torture-Porn-Burleske ein solches Kunststück vollbracht. Vermutlich liegt es daran, dass das Drehbuch diesmal die Story wesentlich origineller zu dehnen versteht, indem man sich nicht einzig auf das nunmehr weibliche Kanonenfutter konzentriert, sondern die innere Struktur der Mordorganisation Elite Hunting samt ihrer Kundenschar miteinbezieht.
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