Nach dem Rückzug

Dem kambodschanischen Journalisten Dith Pran ist die Flucht aus einem der Internierungs- und Umerziehungslager gelungen die die Roten Khmer überall im Land aufgebaut haben, um unliebsame Anhänger des alten Systems zu enttarnen und zu beseitigen. Ruhig und zielstrebig marschiert er durch ein Land, dessen Schönheit darüber hinwegtäuscht, welche Gräueltaten sich dort abspielen. Auf seinem Weg durch ein schlammiges Reisfeld rutscht Pran aus und steht plötzlich in einem mit menschlichen Skeletten übersäten Wasserloch. Dem ersten Schrecken folgen ein Blick nach oben und die Erkenntnis, dass sich der Flüchtling in einem Massengrab von gigantischen Ausmaßen bewegt. Die Erkenntnis sinkt in wenigen Augenblicken ins Bewusstein, ruhig, ohne Panik, ohne Schreie. Dann setzt Pran seinen Weg zwischen den Leichenteilen fort, ein wenig schneller als zuvor.

51rkufogpyl_ss500_1.jpgDie oben beschriebene Szene stellt den wohl drastischsten und einprägsamsten Moment von Roland Joffés viel beachtetem und an solchen Momenten nicht armem Film dar. „The Killing Fields“ erzählt von der realen Freundschaft des amerikanischen Journalisten Sidney Schanberg (Sam Waterston) und seines kambodschanischen Kollegen und Freund Dith Pran (Dr. Haing S Ngor) inmitten der Revolution in Kambodscha 1975. Der Kambodschaner Pran fungiert als Übersetzer für den Journalisten der New York Times, noch mehr aber als dessen unverzichtbarer Ratgeber. Gemeinsam berichten die beiden aus Pnom Penh über die Situation, unter anderem auch über die zur Eskalation der Ereignisse entscheidend beitragenden Flächenbombardements der amerikanischen Streitkräfte. Als sich die Machtübernahme der Roten Khmer abzeichnet und die sofortige Ausreise aller Ausländer, Journalisten und Intellektuellen empfohlen wird, versäumt Schanberg es, Pran die Lebensbedrohlichkeit der Situation klar zu machen und ihn zur Flucht zu überreden. Kurz darauf ist es zu spät: Schanberg und seine amerikanischen Kollegen müssen hilflos zusehen, wie Pran von den Roten Khmer deportiert wird. Nach seiner Rückkehr in die USA erhält Schanberg für seine Berichte zwar den Pulitzer-Preis, doch Schuldgefühle und die Ungewissheit über Prans Verbleib überschatten die Freude. Vier Jahre nach der Trennung der beiden Freunde erhält Schanberg schließlich die Nachricht, dass Pran die „Killing Fields“ überlebt hat. Nach dem Wiedersehen verlässt Pran Kambodscha Richtung New York, wo er mit seiner Familie wiedervereint wird und seine Arbeit mit Schanberg fortsetzt.

Der Vietnamkrieg ist in den vergangenen 30 Jahren unzählige Male im amerikanischen Kino thematisiert worden. Meist standen dabei die Kriegshandlungen selbst im Mittelpunkt oder aber deren Auswirkungen auf den amerikanischen Soldaten im Besonderen oder die amerikanische Gesellschaft im Allgemeinen. Vietnam selbst, die Folgen des Kriegs für dieses Land, spielen im Vietnamfilm keine oder zumindest nur eine äußerst marginale Rolle. „The Killing Fields“ stellt gleich in mehrererlei Hinsicht eine Ausnahme dar: Am augenfälligsten sicherlich dadurch, dass er sich gar nicht mit dem Vietnamkrieg befasst, sondern mit dem Krieg in dessen Schatten. Die Revolution in Kambodscha und das regime der Roten Khmer können sicherlich als einer der „Kollateralschäden“ des Engagements der US-Amerikaner in Vietnam bezeichnet werden. Der Bürgerkrieg in Kambodscha und die anschließende Terrorherrschaft der Roten Khmer, der mehrere Millionen Menschen zum Opfer fielen, fungieren somit als eindrucksvolles Beispiel dafür, was passiert, wenn sich der Invasor zurückzieht und mit ihm auch das öffentliche Interesse schwindet. Für die Amerikaner mag das Kapitel „Vietnamkrieg“ mit dem Rückzug beendet gewesen sein, für Indochina war es das jedoch noch längst nicht. Roland Joffé macht genau dies schmerzhaft deutlich, indem er seine Erzählperspektive ziemlich genau zur Hälfte des Films von seinem bisherigen Protagonisten, dem Amerikaner Sidney Schanberg, zugunsten des Kambodschaners Dith Pran verschiebt. Der Zuschauer wird zusammen mit Pran allein gelassen, wird Zeuge seines Überlebenskampfes und des Horrors, der über Kambodscha hereinbricht, nachdem die Amerikaner das Land sich selbst überlassen haben. Die zwei Hälften von Joffés „The Killing Fields“ könnten kaum unterschiedlicher ausfallen. Dem Tumult und der Hektik des offenen Konflikts der ersten rund 80 Minuten folgt in der zweiten Hälfte der leise Schrecken der Indoktrination und heimlicher Exekutionen im Hinterland, denen Pran nur durch die völlige Einkehr und Diskretion entgehen kann – ein harter Kontrast zu dem Pran, der seinen amerikanischen Freunden zuvor in einer gefährlichen Situation noch mit größter Eloquenz das Leben gerettet hatte. Mit der Abwendung vom offenen kriegerischen Konflikt und der Hinwendung zum häufig beschworenen „human factor“ gelingt Joffé ein eindruckvolles Statement gegen jede Art der kriegerischen Auseinandersetzung und der eigennützigen Intervention nach Kolonialherrenart.

killingfields_30.jpgNicht wenige Antikriegsfilme müssen sich mit zunehmendem Alter einer neuen, nicht immer so positiv wie bei Erscheinen ausfallenden Bewertung stellen. „The Killing Fields“ stellt eine Ausnahme dar: Auch nach 23 Jahren weiß er noch aufzuwühlen und zu schockieren. Dazu muss er sich nicht in Bildern des Grauens und des Blutes suhlen. Es sind vor allem die sehr zurückgenommen und authentisch agierenden Darsteller, die fast vollkommen vergessen machen, dass es sich bei „The Killing Fields“ um einen Spielfilm handelt und die das Leid für den Zuschauer sehr nachfühlbar machen. Vorneweg ist der Kambodschaner Dr. Haing S Ngor zu nennen, kein professioneller Schauspieler, sondern ein Arzt, der selbst die Killing Fields überlebte und dessen Spiel jegliche Affektiert- und Gespreiztheit abgeht. Diese Ernsthaftigkeit und Würde der Darbietungen wird unterstützt durch ein Drehbuch, das auf jene typischen Klischees und Versatzstücke verzichtet, die sonst zur Zuschauerbindung bemüht werden, eine wunderbare Cinematografie, die Schrecken und Schönheit auf geradezu geniale Weise kontrastiert, und einen aufwühlenden Score von Mike Oldfield. Es mag absurd klingen: In der Summe ist „The Killing Fields“, dieser englische Film über den Konflikt in Kambodscha, vielleicht der gelungenste Beitrag zum Vietnamkrieg.

Killing Fields – Schreiendes Land
(The Killing Fields, Großbritannien 1984)
Regie: Roland Joffé, Drehbuch: Bruce Robinson, Kamera: Chris Menges, Musik: Mike Oldfield, Schnitt: Jim Clark
Darsteller: Sam Waterston, Dr. Haing S Ngor, John Malkovich, Craig T. Nelson, Julian Sands
Länge: 135 Minuten
Verleih: Arthaus

Zur DVD von Arthaus

Arthaus legt den Film zum zweiten Mal in einer „Premium Edition“ als Doppel-DVD auf. Technisch gibt es nichts zu bemängeln, aber die Bonus-DVD ist mit einer ca. 50-minütigen Dokumentation und einer Fotogalerie etwas schmal bestückt.

Zur Ausstattung der DVD:

Bild: 1,85:1
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1, Dolby Digital 2.0 Stereo), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Extras: Audiokommentar von Regisseur Roland Joffé, Trailer, Trailershow, Dokumentation, Fotogalerie
Länge: ca. 135 Minuten
Freigabe: ab 16
Preis: 17,97 Euro

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Eine Antwort auf „Nach dem Rückzug“

  1. Vielen Dank für diese ausgezeichnete Filmkritk!
    Man kann nicht oft genug daran erinnern dass es diesen Film gibt.
    Und je älter er wird, desto mehr erscheint er wie ein Dokumentationsfilm.
    Im Rahmen des anstehenden Khmer Rouge Tribunals ist das interesse der Welt an Kambodscha wieder gewachsen.

    Herzliche Grüße aus Phnom Penh

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