It opens doors …

Alltagsgegenstände werden in Filmen oft dadurch, dass sie im Bild akzentuiert werden, mit einer Bedeutung aufgeladen, die ihnen in der außerfilmischen Welt auf den ersten Blick nicht unbedingt anhaftet, die (im Pierce’schen Sinne) symbolisch ist. Diese Symbolisierungsleistung geschieht ganz offensichtlich, indem solche Gegenstände in Nah-, Groß- oder Detailaufnahmen ins Bild geraten oder subtiler, indem sie sich als wiederkehrende Bild-Motive durch den filmischen Diskurs ziehen. Im Prinzip ähnelt der Film darin dem Traum, in welchem Nebensächlichkeiten des Alltags ebenfalls durch Verdichtung (die Verknüpfung mehrerer Aspekte zu einem einzigen) und Verschiebung (die Übertragung eines Themas auf ein anderes) zu einer herausragenden Bedeutung gelangen. Da die Nähe zwischen dem Horrorfilm und dem Alptraum in der Literatur immer wieder erwähnt wird, wäre es interessant, alltägliche Gegenstände, die in Horrorfilmen auftauchen, auch einmal auf ihre mögliche symbolische Bedeutung zu untersuchen. Eine wie auch immer geartete „Traumsymbolik“ kann dabei aber nicht das einzige Kriterium der Interpretation solcher Motive bleiben – vielmehr sollte die Art und Weise wie in ihr Dinge mit Bedeutungen aufgeladen werden auch auf andere Symboliken übertragen werden.

Der Eingang

nightmarecollection.jpgEin Motiv, das in seiner Alltäglichkeit kaum unauffälliger und in seiner filmischen Präsenz daher oft unbemerkt bleibt, ist die Tür. In wenigen Fällen wird die Tür zum Titel gebenden Gegenstand des Horrorfilms erhoben – etwa in Tibor Takács „The Gate“ (Kanada/USA 1987), in welchem zwei Jugendliche das Tor zur Unterwelt öffnen, aus dem dann Dämonen steigen. Zumeist bleibt die Tür im Titel ein Abstraktum, das für die räumliche Nähe oder prinzipielle Erreichbarkeit steht: „The Dead next Door“ (USA 1988) – ein Independend-Zombiefilm, der das Grauen der Fleisch fressenden Untoten „unter uns“ bzw. „nebenan“ ansiedelt oder Brownriggs „Don’t open the Door!“ (USA 1975), der die Gefahr, in der seine Protagonistin schwebt, als sie in das Haus ihrer Großmutter zurückkehrt, durch den Titel vorausdeuten will. (In einem früheren Film warnte der Regisseur bereits „Don’t look in the Basement!“, USA 1973.) Die Tür wird in diesen Beispielen aus ihrer rein architektonischen Perspektive, oder in der damit in naher Verbindung stehenden „sprichwörtlichen“ Funktion betrachtet.

Als Motiv im Film selbst besitzen Türen jedoch stets eine Bedeutung, die jenseits ihrer bloß architektonischen Eigenschaften liegt. Thierry Kuntzel bemerkt hierzu: „Das Öffnen und Schließen von Türen sorgt für Interpunktionen im Film. […] Die Tür als narratives Signal, Suspense-Anzeiger, dramatische Akzentuierung ist nicht zufällig zu Anfang und am Ende mit einer Auf- und Abblende verbunden.“ Die Tür öffnet also gleichsam Räume und Handlungseinheiten. Wie sehr das Öffnen und Schließen von Türen mit der Erwartung, dass „etwas“ geschieht, verbunden ist, lässt sich in Matthias Müllers Experimentalfilm „Home Stories“ (Deutschland 1990) erahnen. Müller schneidet aus verschiedenen Hollywood-Melodramen der 1950er Jahre Szenen aneinander, in denen Frauen aufwachen, aus dem Bett steigen, das Licht ein- und wieder ausschalten und Türen öffnen – unterlegt mit bedrohlich klingender Musik. Hinter den geöffneten Türen ist jedoch nichts zu sehen, beziehungsweise schneidet Müller wiederum nur zur nächsten Szene, in der eine andere Frau eine andere Tür öffnet und so weiter. Die Sequenzen werden durch die Inszenierung der Türen zugespitzt und dann unvermittelt abgebrochen, was uns als Zuschauer mit unserer (enttäuschten) Erwartungshaltung konfrontiert.

Einlass ins Grauen

notld.jpgNun ist „Home Stories“ kein Horrorfilm – er macht aber deutlich, wie die Tür als narratives Element in Horrorfilmen funktioniert: Sie trennt zwei Handlungsräume voneinander – einen, in dem sich der unversehrte Protagonist befindet und einen, in dem sich die vermeintliche Bedrohung befindet. Die Tür als Membran fungiert einerseits zur Erzeugung von Thrill: Wird das, was hinter der Tür ist, in den Raum des Protagonisten eindringen und ihn bedrohen/vernichten? Andererseits kann sie Suspense erzeugen: wenn wir wissen, dass sich etwas hinter der Tür befindet, von dem der Protagonist nichts ahnt und durch das Öffnen der Tür in sein Verderben geht. Werden die Raumgrenzen durch die Kameraposition, etwa indem diese den Grundriss der Räume von oben zeigt, überwunden, so offenbart sich die Bedeutung der Tür als Element des Suspense. Eine verschlossene Tür suggeriert dem Protagonisten zunächst Sicherheit, indem sie den Raum, in dem er sich befindet, vom Raum, in dem sich das oder der „Andere“ befindet, trennt. Aus diesem Grund ist der Angriff des Monsters gegen die Tür stets auch ein Angriff gegen Sicherheitsfantasien und ein Zeichen für die konsequente, allgegenwärtige Bedrohung: Der Griff der Dämonen durch die Türfüllung in „Evil Dead“ (USA 1982), der Zombies durch die Kellertüren in „Dawn of the Dead“ (USA/Italien 1977) und die Haustür in „Night of the living Dead“ (USA 1968).

Aus der anderes Perspektive betrachtet verschließt die Tür einen Raum, in dem sich mysteriöses oder verbotenes befindet. Sie trennt die heile Welt vom heillosen Chaos hinter ihr. Jene Szene in Tobe Hoopers „The Texas Chainsaw Massacre“ (USA 1974), in der einer der Jugendlichen von Leatherface in das Schlachthaus gezerrt wird, dauert nur wenige Sekunden: Die Stahltür wird aufgerissen, das Opfer mit einem Hammer betäubt, in den Raum hineingezogen und die Tür wird wieder zu gerissen. Wenige Horrorfilme verfügen über eine ähnlich brachiale Szene, die über die Separation von Räumen und deren Überwindung das Thema des in die Welt hereinbrechenden Grauens so kongenial bebildert. Der moderne Horrorfilm lüftet mit seiner Bebilderungsmanie das Geheimnis hinter der Tür. Blieb in klassischen Horrorfilmen der Raum jenseits unserer Welt oft vage, düster und ahnungsschwanger, so wird er uns seit den 1960er Jahren in seiner ganzen Grauenhaftigkeit vor Augen geführt. Für den Blick in das Reich des Todes tauscht der Zuschauer den Grusel der Ahnungslosigkeit mit dem Schock des Sehenmüssens. John Carpenters „Die Fürsten der Dunkelheit“ (USA 1987) bebildert diesen Tausch und Verlust der visuellen Unschuld, indem er zeigt/vergegenständlicht, was sich auf der anderen Seite befindet und bis dato nur Gegenstand von Mythen gewesen ist.

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Die symbolische Öffnung

In Clive Barkers „Hellraiser“ (GB 1987) wird ein Zauberwürfel weiter gereicht, von dem es heißt, er öffne Türen. Diese Türen sind im Plot des Films gleich zweifach kodiert: Einerseits tun sich nach Benutzen des Würfels tatsächlich Risse in Wänden und Fußböden auf, durch die die Dämonen der Vorhölle in unsere Welt gelangen; andererseits sind die Türen hier aber auch Eingänge in die Welt der sexuellen Perversion. Die Dämonen in Lack und Leder, übersät mit Piercings und Wundmalen, sind nicht nur Folterknechte des Fegefeuers, sie sind – wie sie sich selbst nennen – auch „Botschafter des Schmerzes“. Die in „Hellraiser“ geöffneten Türen besitzen daher neben ihrer transitionalen (Raum überwindenden) auch eine transgressive („Moral überwindende“) Funktion – sie verbinden zwei Vorstellungswelten miteinander, die in der heteronormativen Welt des Nicht-Horrors durch ihren Gegensatz (gesund/krank, normal/verrückt, Lust/Schmerz…) zueinander bestimmt sind.

shining.jpgAm Deutlichsten wird diese Funktion in Filmen, in denen es um den Wahnsinn geht. „Der Wahnsinn bricht in die heile Welt“, heißt es sprichwörtlich und oft ist dieser Einbruch an das Motiv der Tür gekoppelt. In Stanley Kubricks „The Shining“ (USA/GB 1980) sehen wir gleich mehrere Türen, die auf diese Weise kodiert sind: Der Zimmertür zu Raum 217, hinter der sich „Unbeschreibliches“ abgespielt haben soll. Die Tür zum Vorratsraum, die letztlich durch ihr mysteriöses Geöffnetwerden nicht nur das Fantastische Element in den Film hinein-, sondern auch den Wahnsinn aus dem Raum herauslässt. Oder die Tür zur Wohnung der Familie Torrance durch die der verrückt gewordene Jack gegen Ende mit einer Axt einzudringen versucht (und es auch schafft). Das markanteste Bild aus „The Shining“ ist jenes, in dem Jack durch den soeben aufgehackten Spalt in der Tür schaut und seiner Frau zuruft „Wendy, I’m home!“ Die „Normalität“, die sie in der Wohnung zu hüten versucht hat, ist damit verschwunden, der Wahnsinn ist in Form ihres geisteskranken Mannes eingebrochen.

sr3.JPGEine andere Szene, die dies illustriert, stammt aus dem Serienmörderfilm „Das Stumme Ungeheuer“ (USA 1982) mit Chuck Norris. Hier ist es ein Mann, der eigenmächtig sein Psychopharmakum abgesetzt hat und dadurch zur Raserei gelangt. Schon in den Anfangsszenen des Film sehen wir, wie er mit einer Axt die Tür zu einem Raum bearbeitet, in welchem sich seine Vermieterin verschanzt hat. Als sich ihm von hinten ein älterer Mann nähert, der ihn aufhalten will, dreht sich der Verrückte kurz um, schlägt dem Angreifer die Axt in den Schädel und setzt die Bearbeitung der Tür fort. Auch dies geschieht alles in Sekundenbruchteilen und lässt dem Zuschauer keine Zeit, das Geschehen zu verarbeiten – der Wahnsinn dringt im Horrorfilm unaufhaltsam und ohne Zeit zu verlieren in unsere Welt ein oder zerrt uns in die seine (wie in „The Texas Chainsaw Massacre“). Wir sind zu überrascht (das heißt: „Wir kommen zu spät.“) um uns dagegen zu schützen.

Der Verschluss

Sowohl in „Das Stumme Ungeheuer“ als auch in „The Shining“ bekommen die Türszenen jedoch auch noch eine zusätzliche Funktion, die die symbolische noch übersteigt. Das Faszinosum der Tür liegt in ihrer funktionalen Ähnlichkeit zur Filmblende. Bereits für den klassischen Horrorfilm ist auf die Doppeldeutigkeit Tür/Blende hingewiesen worden. Das Monster in James Whales „Frankenstein“ (USA 1931) steht plötzlich auf, als sein Erschaffer eine Falltür in der Decke über ihm öffnet und er von einem Sonnenstrahl „belichtet“ wird. Und Jahre zuvor ist es ebenso „das Licht der Welt“, das den Somnambulen Cesare in Robert Wienes „Das Kabinett des Doktor Caligari“ (Deutschland 1920), in Bewegung setzt und zu seinem Tun treibt. Solange der Deckel jener Kiste (des Sarges), in dem Cesare schläft, verschlossen ist, geschieht kein Unglück. Diese frühen Beispiele des Horrorfilms führen dem Zuschauer nicht nur die Selbstähnlichkeit zwischen ihrem Türen-Motiv und der Filmaufnahme vor, sondern gleichzeitig auch die dispositive Verfasstheit der Kinosituation überhaupt. Auch der Film „erwacht“ erst „zum Leben“, wenn die Leinwand belichtet wird. Zuvor ist er nur latent – nicht da und nicht abwesend.

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Im modernen Horrorfilm wird diese Perspektive auf das Motiv der Tür an den bereits erwähnten visuellen Verlust der Unschuld des Zuschauers gekoppelt. Wiederum lassen sich zwei Szenen in den Horrorfilmen „Das Stumme Ungeheuer“ und „The Shining“ finden, die dies illustrieren. Der psychopathische Killer im Chuck-Norris-Film versteckt sich in einer Szene hinter einer geöffneten Tür. Sein Opfer (eine junge Frau), das den Raum betritt sieht ihn nicht und ahnt also nichts von der Gefahr in die es sich begibt. (Nur wir wissen es, denn wir kennen die Konventionen des Genres.) Als die Frau dann im Raum steht, geschieht alles in Bruchteilen von Sekunden: Die Tür schließt sich und aus dem Hintergrund jagt der Killer nach vorn, greift der Frau ins Gesicht und schlägt sie mit dem Hinterkopf gegen die Wand. Nicht was passiert, sondern wie es inszeniert wird, ist hier das Besondere: Der Killer hält sich im unscharfen Hintergrund auf, bewegt sich nach vorn in den Focus-Bereich und reißt dann nicht nur den Kopf der Frau, sondern auch den Blick des Zuschauers mit sich: Die Kamera folgt dem Geschehen mit einer rasanten Fahrt nach vorn und es wirkt so, als sei es unser Blick, der den Kopf des Opfers gegen die Wand schlägt.

Der Einbruch des Blicks

jack_80×80_best.gifZwei Jahre zuvor hat Stanley Kubrick in „The Shining“ zusammen mit seinem Kameramann John Alcott (der bereits die sagenhaften Steadicam-Fahrten für den Film gedreht hatte) eine ganz ähnliche Szene realisiert. Wiederum ist es jene Sequenz, in der sich Jack durch die Wohnungstür zu seiner Familie durchhackt. Mit Unterbrechungen wird uns das Geschehen in drei Einstellungen vorgeführt. In der ersten Einstellung sehen wir Jacks Schläge in einem Reißschwenk, der der Bewegung der Axt folgt, jedoch zeitlich hinterher hängt. In der zweiten Einstellung haben sich der Schlag Jacks und der Schwenk der Kamera synchronisiert. In der letzten schließlich eilt die Kamera der Bewegung der Axt voraus! In dieser kurzen Sequenz kulminiert die „Philosophie“ des modernen Horrorfilms, der seit Hitchcocks „Psycho“ (USA 1960) und Powells „Peeping Tom“ (GB 1960) stets vom Eindringen des Blicks in das Geheimnis/Private/Verbotene gehandelt hat. Kam der Zuschauerblick in der ersten „Shining“-Sequenz wie im klassischen Horrorfilm noch „zu spät“ und in der zweiten (oder in der Szene aus „Das Stumme Ungeheuer“) wie im modernen Horrorfilm „zugleich“, so deutet die dritte Einstellung darauf hin, wohin die Reise des Genres zwangsläufig gehen muss: Dahin, dass unser Blick immer schon dort sein will, wo die Kamera erst noch hingelangen muss.

Die Tür, durch die sich Jack in „The Shining“ hackt, wird zum Sinnbild für all die Barrieren, mit denen es der Filmzuschauer zu tun hat: die räumliche, die ihn im Kinosaal vom Raum im Film trennt (und die für das Problem des „Dabeiseins“ steht) und die zeitliche, die den Kinobesucher darauf hinweist, dass er immer schon „zu spät“ kommt, weil das, was er auf der Leinwand sieht, notwendig vergangen sein muss (ihn von der „Zeitzeugenschaft“ fernhält). Der Zuschauer hingegen will nicht nur live dabei sein, wenn etwas geschieht, sondern am besten schon vorher. Sein Blick will Zeuge der Umstände sein, die das Grauen auslösen – um es vielleicht zu verhindern, die Spannung aufzulösen oder einfach nur um den Überblick zu behalten. Die Tür zeigt ihm, dass dies unmöglich ist, dass er gezwungen ist, „zu spät“ zu kommen – im Gegensatz zum Film-Opfer, dass Linda Williams zufolge immer „zu früh“ erscheint: „[…] einige der gewalttätigsten und erschreckendsten Augenblicke des Horrorfilms entstehen dann, wenn das weibliche Opfer dem Psycho-Killer-Monster unerwartet begegnet, unvorbereitet – dies macht das besondere Gefühl der Spannung aus.“ Aus dieser Differenz baut sich das Filmerlebnis des Horrorfilms auf und es spiegelt sich am Motiv der Tür und ihren vielfältigen Funktionen im Genre.

Literatur:

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