Glokalisierungen des „American Nightmare“

In den letzten Jahren kann man im Genrekino einen Trend beobachten, der sich vielleicht vor dem Hintergrund der allgegenwärtig beschworenen Globalisierung plausibel als eine Strategie gegen drohenden Verlust nationaler Identitäten lesen lässt: Anstatt sich in Traditionalismen abzuschotten, begegnet man den Herausforderungen einer globalisierten Kulturindustrie aber trotzig mit einer affirmativen Haltung gegenüber dem Kulturtransfer. Und das mit finanziellem Erfolg, wie der österreichische Slasherfilm „In 3 Tagen bist du tot“ im vergangenen Jahr eindrucksvoll unter Beweis stellen konnte: Der Marktanteil einheimischer Produktionen ist in Österreich in der Regel kümmerlich. Im letzten Kinojahr konnte jedoch Andreas Prochaskas österreichische Version von „I know what you did last Summer“ (USA 1997, R: Jim Gillespie) als besucherstärkster österreichischer Film 2006 (83.000 Zuschauer) den Anteil einheimischer Produktionen immerhin auf 2,6% anheben (zum Vergleich: in Deutschland betrug der Anteil laut SPIO im selben Jahr 25,8%). Und auch international erwartet man für „The Austrian Schocker“ (Werbezeile) offenbar so hohe Gewinne, dass mittlerweile eine Fortsetzung angekündigt wurde.

Die Maxime zum Erfolg lautet: zurück zur Region! Eine Marktlücke der Kulturindustrie, in die Hollywood nicht einzudringen vermag, ist der Heimat- oder Milleufilm, der es versteht, Regionalismen und heimatliche Topoi (mehr oder weniger) authentisch einzubinden. Da mag man sich manchmal am Rande des Kitsches bewegen, doch Hollywoods Darstellungen regionaler Folklore sind in ihrer Holzschnittartigkeit meist kaum zu überbieten, wie z.B. im Musical „The Sound of Music“ (USA 1965, R: Robert Wise).

Während in Deutschland der regionalisierte Fernsehkrimi schon lange zum Standardrepertoire gehört („Tatort“, „Polizeiruf 110“, „Großstadtrevier“), konnten sich allmählich auch andere klassische Hollywood-Genres insbesondere in Produktionen der Privatsender (RTL, PRO7, Sat.1) etablieren: ob Actionserie („Der Clown“, „Alarm für Cobra 11“), Disaster-Movie („Die Sturmflut“) oder großes Geschichtsmelodram (man denke an die unsäglichen FilmWorx-Fernsehfilme wie „Die Luftbrücke“ und „Dresden“ als Antwort auf „Pearl Harbour“). Natürlich wurde auch Subgenres des Horrorfilms in Film und Fernsehen eingemeindet, die man bisher als genuin amerikanisch wahrnahm, z.B. Creature-Movies (Das Biest im Bodensee, Ratten – Sie werden dich kriegen), Backwood-Horror (zuletzt „Blood Trails“) oder Psycho-Thriller á la „Das Schweigen der Lämmer“ („Tatoo“, „Antikörper“). So antwortete RTL mit „Schrei, denn ich werde dich töten“ (1999, Robert Sigl) auf den Kinoerfolg von Wes Cravens „Scream“ (1996), einem zitatenfreudigen und komikgetränkten Homage und Weiterentwicklung eines uramerikanischen Subgenre des Horrorfilms, das bekanntlich mit John Carpenters „Halloween“ (1978) und Sean S. Cunninghams „Friday 13th“ (1980) rasch feste Regeln herausbildete, die in den zahllosen Epigonen der 80er-Jahre variantenreich perpetuiert wurden. Auch damals gab es schon Bemühungen, das lukrative Modell des Teenhorrors nach Europa zu importieren, z.B. Jess Francos deutscher Slasher „Die Säge des Todes“ (1980), in dem deutsche Jugendliche in einer spanischen Sprachschule an der Costa del Sol dem mörderischen Handwerk eines Serienkillers zum Opfer fallen. Solche Werke blieben aber Einzelfälle. Erst Ende der 90er, mit dem Aufkommen der großen Teenhorror-Welle nach „Scream“, entdeckten auch die nationalen Produzenten in Europa das Genre für sich. Ob der niederländische Unter-Tage-Horror „SL8N8“ (= „Schlachtnacht“, 2006), der kastillische Verbindungsstudenten-Slasher „Tuno negro“ (= „Black Serenade“, 2001), der dänisch-schwedische „Midsommer“ (= „Mord in der Mittsommernacht“, 2003)oder der französische „Promenons-nous dans les bois“ (= „Deep in the Woods“, 2000): in all diesen Filmen wird die Grundstruktur der US-Slasher übernommen und mit nationalen Diskursen durchsetzt. In Deutschland brachte diese Entwicklung, die man „Glokalisierung“ nennen könnte, neben dem obengenannten Robert Sigl-Film gleich mehrere Werke hervor: Während in Michael Karens „Flashback – Mörderische Ferien“ der Mythos heimatlicher Idylle (der Film spielt vor oberbayrischer Bergkulisse) demontiert wird, unterminieren die beiden „Anatomie“-Filme von Stefan Ruzowitzky (2000, 2003) nicht nur das im deutschen Heimatroman so populäre Bild des Arztes á la „Der Bergdoktor“, sondern greifen auch spezifisch deutsche Thematiken auf wie Nazivergangenheit (insbesondere im ersten Teil) und die Ideologie des alle Lebensbereiche durchdringenden Neoliberalismus (man achte auf das „Managersprech“ des antihipokratischen Prof. LaRousse). Dass dieser Kulturtransfer solche Diskurse notwendigerweise macht, wird deutlich, wenn man sich den genrekonstituierenden Diskurs im US-amerikanischen Teenhorror anschaut: Dort ist es ja zumeist das Verhältnis erwachender jugendlicher Sexualität zu einer allgemein repressiven Sexualmoral, die das freudianisch deutbare Standardbild des Slashers – das Final Girl wird von einem messerbewehrten Boogeyman gejagt – in immer neue Formen gießt. In Europa sieht das anders aus: das wird auch in „In 3 Tagen bist du tot“ deutlich, wenn zwei der Teenager gleich zu Anfang „unbestraft“ ohne jegliche US-typische Prüderie „heissen Sex“ haben. Der Nukleus eines europäisierten Teenhorrors muss demnach woanders gesucht werden.
Wie „In 3 Tagen bist du tot“ nationale Diskurse aufgreift, möchte ich kurz anhand der Topographie des Handlungsortes darstellen. Der Film spielt in Ebensee, einem kleinen Ort an einem pittoresken See, dem Traunsee, im Salzkammergut.

Vorweg die Handlung selbst: Nina (Sabrina Reiter), ihr Freund Martin (Laurence Rupp), Mona (Julia Rosa Stöckl), Alex (Nadja Vogel) und Clemens (Michael Steinocher) haben die Matura (= Abitur) erfolgreich bestanden. Der Freudentaumel wird jäh unterbrochen, als jeder aus der Clique eine SMS bekommt, die jedem den baldigen Tod ankündigt: „In 3 Tagen bist Du tot“. Tatsächlich beginnt auch schon bald das Morden, scheinbar ohne jedes Motiv: während der Abschlussparty wird Martin, an einen schweren Sonnenschirmsockel gefesselt, im Traunsee versenkt. Erster Verdacht: Schulfreak Patrick (Julian Sharp), der heimlich in Nina verliebt ist. Noch während dieser von der Polizei verhört wird, schlägt der Killer erneut zu. Sodann rätseln die Überlebenden, unter Gendarmerieschutz stehend, über die Motive des Mörders. Dabei scheint die Antwort in einem verdrängten Ereignis in der Kindheit verborgen zu liegen.
Die Regionalisierung des Teen-Horrors wird unmittelbar über die Ebene der Sprache deutlich: während die Akteure in den deutschen Subgenre-Beiträgen stets hochdeutsch sprachen, wird in Andreas Prochaskas Film selbstbewusst durchweg im mittelbairischen Dialekt des Salzkammerguts agiert (ja, Linguisten verorten das Österreichische im bairischen Dialektkontinuum). Dieser Zugewinn an Authentizität wird durch die Wahl des Drehortes und die Auswahl der dortigen Motive begünstigt. Der Traunsee, Österreichs tiefster Binnensee (191m), nimmt dabei eine handlungstragende Funktion ein, mehr noch als der berühmt-berüchtigte „Crystal Lake“ in der „Friday 13th“-Reihe. Einerseits eignet sich der See, wie andere Topographien (z.B. Höhlen, Schluchten, dunkle Wälder) oder Architekturen (Kellerverliese, alte Schlösser), um in Anlehnung an psychoanalytische Modelle Seelenlandschaften abzubilden: das Unbewusste lauert im Dunkel, im Abgrund und verborgen unter einer Oberfläche in den Tiefen eines Sees. Irgendwann, häufig durch einen Initiationsprozess vorangetrieben, bricht das Verdrängte schmerzhaft ans Licht: in „In 3 Tagen bist du tot“ beginnt dieser Prozess bezeichnenderweise mit der Matura (lat.: maturitas = „die Reife“).

Dieser allgemeine Diskurs von Verdrängung und Vergangenheitsaufarbeitung hat – ähnlich wie in Deutschland – seine nationale Entsprechung in der Aufarbeitung der Verbrechen im Nationalsozialismus. Dafür kann die Geschichte des Traunsees im Sinne einer Kulturpoetik (New Historicism) als paradigmatischer Text in der Kulturtextur Österreichs betrachtet werden. Die Wahl dieses speziellen Spielortes reichert das importierte grobe Handlungsgerüst des Slasherfilms mit neuen Lesarten an.

Einerseits ist der Ort Ebensee am Traunsee ein Symbol für die Verbrechen des Austrofaschismus (hier war 1943 das Konzentrationslager Ebensee) und des Südtirolterrors (1963 sprengten italienische Neofaschisten u.a. das Löwendenkmal in Ebensee). Andererseits dient die Region am Traunsee als Schauplatz biederer Heimatunterhaltung: So wurden von 1996-2004 144 Episoden des „Schlosshotel Orth“, einer österreichischen Version der „Schwarwaldklinik“, hier abgedreht. Aufgrund dieser Zwiespältigkeit bekommt der Diskurs um Schuld und Verantwortung einen neuen Dreh: mit dem Heranreifen der Jugendlichen wird nicht nur Freiheit dazugewonnen, sondern auch Verantwortung gegenüber der Vergangenheit aufgebürdet. Das Ultimatum des unbekannten Killers stellt klar: entweder holt ihr das Verdrängte ans Licht oder ihr werdet (wortwörtlich) in den Tiefen des Sees versenkt.
Letztendlich kann man nur spekulieren, inwiefern Andreas Prochaska bzw. Drehbuchautor Thomas Baum bewusst den Ort Ebensee als Spielort gewählt haben (Prochaska war zuvor als Cutter bei Michael Hanekes „Funny Games“ (1997), „Das Schloß“ (1997) und „Code inconnu: Récit incomplet de divers voyages“ (2000) tätig.). Nichtsdestotrotz wird eine solche Lesart möglich, wenn man den kulturellen Kontext, auf den dieser Mundartfilm einen beständig aufmerksam macht, in die Deutung miteinbezieht, und wird begünstigt durch die ersten Szenen des Films, als die Maturanten sich durch die Prüfungen quälen müssen: Hier sehen wir zwischen Erwachsenen und Jugendlichen eine unüberwindliche Kluft, wobei z.B. die strenge Prüfungskommission wohl bewusst an ein NS-Gerichtstribunal erinnert. Einer der Schüler zitiert stotternd unter den Augen der Autorität R. M. Rilkes „Der Panther“. Als die Kluft durch die bestandenen Prüfungen scheinbar überwunden ist, meldet sich das kollektiv Verdrängte zurück. Die junge Generation muss das, was die Elterngeneration unter den Teppich gekehrt hat, mühsam hervorzerren, um so für das Vergangene Verantwortung zu übernehmen. Das ist der wahre Horror des Erwachsenwerdens.

Im Trailer kreischt eine Teenagerin: „Das ist kein depperter Film. Das ist echt!“ Oberflächlich mag der Film als „depperter“, konventioneller Slasher erscheinen, im kulturellen Kontext kann der Film Einblicke in die österreichische Kollektivpsyche bieten.

In 3 Tagen bist du tot
(Ö 2006)
Regie: Andreas Prochaska; Buch: Thomas Baum; Musik: Matthias Weber; Kamera: David Slama; Schnitt: Karin Hartusch
Darsteller: Sabrina Reiter, Julia Rosa Stöckl, Michael Steinocher, Laurence Rupp, Nadja Vogel u. a.
Länge: 97 Minuten
Verleih: EuroVideo/Delphi

Jörg Hackfurth

Die DVD von EuroVideo

Bild: 1,85:1 (anamorph)
Ton: DD 5.1 (österreichisch)
Untertitel: englisch
Bonusmaterial: Audiokommentar von Andreas Prochaska; Audiokommentar von den Hauptdarstellern; Deleted Scenes; Making of (24:36 Min.); Premieren Special (1:24 Min.)
Erscheinungsdatum: 16. August 2007
FSK: ab 16

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