Kurzrezensionen August 2005

  • Thomas Kuchenbuch: Filmanalyse – Theorien. Methoden. Kritik. Wien/Köln/Weimar: Böhlaus 2005 (UTB).
  • Werner Herzog: Eroberung des Nutzlosen. München/Wien: Hanser 2005.
  • Knut Hickethier (Hg.): Kriminalfilm. Stuttgart: Reclam 2005 (Reihe: Filmgenres)
  • Dimitri Liebsch (Hg.): Philosophie des Films. Grundlagentexte. Paderborn: mentis 2005.
  • Götz Großklaus: Medien-Bilder. Franfkurt am Main: Suhrkamp 2004.
  • Kolja Steinrötter: Science and a Sense of Hope. Zum Verhältnis von Wissenschaft und Religion in der Fernsehserie „Star Trek: Deep Space Nine“. Münster: Telos 2004.
  • Hans Dieter Erlinger/Bodo Lecke (Hgg.): Kanonbildung bei audiovisuellen Medien im Deutschunterricht? München: kopaed 2004.

»K. war nur auf Sachbeschädigung aus …«

Sagenumwoben sind die Drehbarbeiten zu Werner Herzogs „Fitzcarraldo“ (1981) bis heute. So sagenumwoben, dass bereits ein Buch („Herzog in Bamberg“) und zwei Dokumentarfilme („Burden of Dreams“ und „Mein liebster Feind“) dazu entstanden sind und dennoch endet die Fasziantion an jenen Ereignissen zwischen1979 und 1981 noch immer nicht. Jetzt hat Werner Herzog sein damals (in Mikorschrift) geführtes Tagebuch übertragen und im Hanser-Verlag veröffentlicht. Es erzählt viel über die Schwierigkeiten und die Dinge, die den Regisseur damals bewegten. All jene Kinski-Begeisterten erfahren dort Details über dessen Arbeit und Amokläufe, alle Herzog-Fans bekommen tiefe Einblicke in die Gedankenwelt des Enfant Terribles des Neuen Deutschen Films. Das Buch bildet einen einzigartigen Paratext zu einem filmischen Meisterwerk, dessen sprichwörtliche Sagenhaftigkeit noch nach 25 Jahren nicht verebbt ist.

Werner Herzog: Eroberung des Nutzlosen. München/Wien: Hanser 2005, 335 Seiten (gebunden), 21,50 Euro.

Kriminalfilm

Mit „Kriminalfilm“ ist im Stuttgarter Reclam-Verlag der mittlerweile 6. Teil der „Filmgenres“-Reihe erschienen. Herausgegeben und eingeleitet wurde der 70 Filme in Einzeldarstellungen präsentierende Band dieses Mal vom Hamburger Medienwissenschaftler Knut Hickethier. Die dem Überblick über das Genre voll genügende Auswahl der Filme versammelt Klassiker und stilbildende Filme und wird durch ein konzises und sehr interessantes Einleitungskapitel ergänzt. Darin stellt der Herausgeber Motive und Strukturen des Kriminalfilms vor und betont vor allem dessen Bezüge zur außerfilmischen Realität – sowoh die Vorlagen betreffend als auch die beim Krimi auffälligen Einfluss- und Rückfluss-Phänomene: „Der Kriminalfilm ist Metapher für die Befindlichkeit der Gesellschaft.“ (28) Die Texte der 26 Autoren des Bandes sind von recht unterschiedlichem Stil, Umfang und theoretischer Tiefe – damit aber sehr abwechslungsreich, was „das Buch als ganzes“ sehr lesbar geraten lässt. Das 370 Seiten umfassende Buch wird durch ein Autoren- und Filmtitelregister abgerundet.

Knut Hickethier (Hg.): Kriminalfilm. Stuttgart: Reclam 2005 (Reihe: Filmgenres). 370 Seiten (Taschenbuch), 9,00 Euro.

Philosophie des Films

Im Paderborner Mentis-Verlag ist eine Anthologie zur „Philosophie des Films“ erschienen, die zehn Texte von neun Autoren – entstanden zwischen 1915 und 1995 – vorstellt: Hugo Münsterberg, Gilbert Coen-Séat, Roman Ingarden, Maurice Merleau-Ponty, Jean-François Lyotard, Stanley Cavell, Arthur C. Dento, Gilles Deleuze und Noël Carroll. In der Einleitung des Bandes stellt der Herausgeber Dimitri Liebsch die Facetten der Filmphilosophie vor und der Theorie des Films gegenüber. Nach einer Unterscheidung von genitivus objectivus (Philosophie als Verfahren und Film als Gegenstand) und genitivus subjectivus (Philosophie, die der Film selbst vertritt) ordnet Liebsch die Texte des Bandes zweiterem zu und stellt sie als Versuche, das Wesen des Films zu bestimmen, heraus. Die Zusammenstellung der Texte verfolgt dabei weder theoretische (ideologische) noch geografische Ziele: Vertreter amerikanischer postanalytischer Richtungen sind ebenso vertreten, wie französischen Strukturalisten und Poststrukturalisten. Drei der Texte (Cavell, Dante, Noël) sind dabei erstmals auf Deutsch übersetzt, alle anderen entweder durchgesehene oder Neuübersetzungen. Zusammen mit dem ausführlichen Apparat (Nachweis der Erstdrucke, Begriffsglossar, Film-, Autoren- und Personenregister) ist „Philosophie des Films“ eine bislang auf dem deutschen Buchmarkt einzigartige Zusammenstellung.

Dimitri Liebsch (Hg.): Philosophie des Films. Grundlagentexte. Paderborn: mentis 2005. 192 Seiten (Taschenbuch), 19,80 Euro.

Medien-Bilder

In seinem zweiten Buch über das Verhältnis der Medien zur Wirklichkeit stellt der Karlruher Philologe Götz Großklaus die mediale Inszenierung von Sichtbarkeit ins Zentrum seiner Überlegungen. In den acht Kapiteln von „Medien-Bilder“ (die sich, wie im Vorgängerbuch „Medien-Zeit – Medien-Raum“ auch jedes für sich separat lesen lassen) wirft er folgende Fragestellungen auf: Wie erscheinen Körper in den Bildern von Film und Fernsehen? (I) Welchen Einfluss auf das indivuelle und kollektive Erinnern nehmen die Archive der elektronischen Massenmedien, (II) zum Beispiel beim von Alexander Kluge beschriebenen „Luftangriff auf Halberstadt“? (III) Welches Verhältnis nehmen mediale Bilder und Sprache zueinander ein – etwa in den Katastrophen-Berichterstattungen? (IV) Wie ist das Verhältnis von Zeit, Medien und Bewusstsein (V) und auf welche Weise verursacht die mediale Beschleunigung der Bilder ein Veschwinden des Intervalls? (eine Frage, die Großklaus aus dem Vorgängerbuch weiterführt, VI) Wie wird Natur in den Bildmedien präsentiert? (eine Historie von der Erfindung der Daguerrotypie bis zur Computersimulation, VII) Und aus den vorangegangenen Überlegungen umreißt Großklaus schließlich, wie eine Medienwissenschaft beschaffen sein muss, die historisch und trans-/interkulturell verfährt. Etliche Themen des Vorgängerbuches werden in „Medien-Bilder“ wieder aufgegriffen und weitergeführt. Großklaus’ Text steht damitals einer der komplexesten Versuche über das Verhältnis von Medium und Wirklichkeit in der Forschungslandschaft.

Götz Großklaus. Medien-Bilder. Franfkurt am Main: Suhrkamp 2004. 249 Seiten (Taschenbuch), 10,00 Euro.

Science and a Sense of Hope

Die Star-Trek-Serien gehören zu den interessantesten Phänomenen der TV-Seriengeschichte, nicht nur, weil sie ein extrem langlebiges Phänomen darstellen, sondern auch, weil sich eine bis dahin nicht dagewesene und seit her nicht mehr wiederholte Form der Rezeption entwickelt hat: Star-Trek-Fans sind weit mehr als nur Zuschauer ihrer Serie. Sie schreiben über sie, entwickeln neue Konzepte und versuchen den wissenschafts-fiktionalen Kosmos mit Paratexten zu erklären und zu strukturieren. Diese vertiefte Form der Rezeption hat im Verbund mit den bei den Star-Trek-Serien aspektierten Wissenschaftsutopien auch die natur- und kulturwissenschaftliche Forschung auf den Plan gerufen. Kolja Steinrötter widmet sich in seiner Monografie über die Serie „Deep Space Nine“ nun den Aspekten von Wissenschaft und Theologie, wie sie die Serie aspektiert. Im Vordergrund seiner Untersuchung steht dabei der kultur-projektive Moment der Serie, die eine Zukunft wissenschaftlicher und religiöser sichtweisen der amerikanischen Gesellschaft entwirft. Leider geht der Autor dabei sehr „fan-orientiert“ vor: kulturwissenschaftliche Analyse, die bestimmte Merkmale der Serie kritisieren, lehnt er weitgehend ab, kann aber in seiner oftmals deskriptiven Herangehensweise kaum Alternativdeutungen bieten. Der etwa auf dem Niveau einer Magisterarbeit angesiedelte Band bringt einige editorische Schwächen vor allem im Umgang mit der ohnehin sehr spärlich ausgewählten Literatur mit sich. Interessant dürfte das Buch so weniger für die akademische Auseinandersetzung als für an der Serien interessierte Zuschauer sein. Diesen Eindruck belegt vor allem der ausführliche Apparat des Bandes.

Kolja Steinrötter. Science and a Sense of Hope. Zum Verhältnis von Wissenschaft und Religion in der Fernsehserie „Star Trek: Deep Space Nine“. Münster: Telos 2004. 195 Seiten (Taschenbuch), 16,00 Euro.

Was muss rein?

Der schulische Filmkanon steht: 43 Werke der Filmgeschichte wurden ausgewählt, um in der Schule als Beispiele für eine Kunstgeschichte und –phänomenologie des Films zu dienen. Dass bei einem solchen Kanon immer Filme „fehlen“, die „auch wichtig“ sind, bringt die Sache mit sich. Der im Münchner kopaed-Verlag herausgegebene Band „Kononbildung bei audiovisuellen Medien im Deutschunterricht?“ untersucht nun sowohl Sinn und Zweck des Filmkanons als er auch Unterrichtsbeispiele sowie didaktische Konzepte vorstellt und Grenzphänomene untersucht, die nicht direkt mit dem Filmkanon zu tun haben, aber den Einsatz audiovisueller Medien im Unterricht überhaupt betreffen. In zehn Aufsätzen kommen dabei auf der von den beiden Herausgebern veranstalteten „Sektikon 1“ des „Symposiums Deutschdidaktik“ (September 2002, an der FSU Jena) Autoren zu Wort: Die Spannbreite der Beiträge reicht von Forschungsberichten zum Medieneinsatz im Deutschunterricht über die Frage, wie Daily Soaps in den Deutschunterricht integriert werden können bis hin zu beispielhaften Einzelanalyse von Filmen wie „Eyes wide Shut“ oder „Der Blaue Engel“. Die teilweise ohne Berührungspunkte zu den kulturwissenschaftlich und ästhetsch verfahrenden Filmwissenschaften (also der nicht-quantitativen Forschung) stattfindende Auseinandersetzung bringt einige Probleme mit sich. Wenn etwa Anja Saupe konstatiert, der nicht-traumatisierende Zugang zu gewaltdarstellenden Filmen sei „über die Darstellung extremer Formen von Gewalt in anderen literarisschen und medialen Genres“ (158) möglich, ist dies mehr eine dem praktischen Unterrichtskonzept als eine dem Kunstwerk „Film“ zuträgliche Sichtweise. Dennoch enthält der Band etliche vor allem für (Deutsch-)Lehrer wertvolle Anregungen und Hinweise. Publikationen dieser Art werden in Kürze vermehrt den Buchmarkt erreichen. Der kopaed-Band stellt da einen guten Start dar.

Hans Dieter Erlinger/Bodo Lecke (Hgg.) Kanonbildung bei audiovisuellen Medien im Deutschunterricht? München: kopaed 2004. 254 Seiten (Paperback). 19,80 Euro.

27 Jahre später

1978 ist Thomas Kuchenbuchs „Filmanalyse“ zuerst erschienen und hat unverändert lange Zeit weit oben in der Liste filmanalytischer Basisliteratur rangiert. Seither ist nicht nur in der Disziplin vieles an neuen Konzepten, Umorientierungen und Debatten präsentiert worden, sondern auch die Zahl der Einführungswerke hat – vor allem in den letzten Jahren – dramatisch zugenommen. Kuchenbuchs ehedem recht solitäres Werk sieht sich nun einer beachtlichen Anzahl ähnlich motivierter Bände gegenüber und muss sich behaupten. Und das kann es. Wie in der ersten Ausgabe ist der Zugang zum Film sowohl analytisch (theoretisch) als auch praktisch geleitet. Neben einer – vollständig überarbeiteten und durch neue Forschungsperspektiven ergänzte – Methoden-Sektion (Teil 1) finden sich Beispiel-Analysen zu Filmen: Spielfilme (Teil 2), Dokumentarfilme (Teil 4), Werbespots (Teil 4) und Avantgarde-Filme (Teil 5) werden unter Vorstellung und Verwendung filmanalytischen Handwerks untersucht. Ein Exkurs zu dem in letzter Zeit stark angestiegenen Angebot an Drehbuch-Literatur (Teil 3) ist ebenfalls neu aufgenommen worden. Der Band kann dabei auch kapitelweise gelesen werden – etwa, um eine bestimmte Analysemethode einer Filmgattung durchzuexerzieren. Die methodische Diskussion ist keine Voraussetzung für das Verständnis. Kuchenbuchs äußerst umfangreiches Werk (mit fast 500 Seiten in seinem Genre nur von Monacco übertroffen) ist didaktisch hervorragend aufbereitet: Zahlreiche Filmkader, Sequenzüberischten und Grafiken dienen sowohl als Illustration als auch als Arbeitsbeispiel. Für den in der UTB-Reihe üblich günstigen Preis bietet das Buch mehr als man erwarten kann und ist eine unbedingte Emfpehlung vor allem für Studierende der Filmwissenschaften.

Thomas Kuchenbuch. Filmanalyse – Theorien. Methoden. Kritik. Wien/Köln/Weimar: Böhlaus 2005 (UTB). 472 Seiten (Paperback), 24,90 Euro.

Stefan Höltgen

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