Weder Fisch noch Fleisch … sondern Käse

Wie man es macht, macht man es offenbar falsch, wenn man versucht, den Kannibalenfall von Rotenburg filmisch zu adaptieren. Die Strafsache „Armin Meiwes“, die derzeit erneut vor Gericht verhandelt wird, ist vielleicht noch zu „heiß“, um sie zu fiktionalisieren. In der Vergangenheit hat es ja schon öfter Filme gegeben, die Probleme bekamen, weil sie sich in juristische Diskurse eingemischt haben (Fritz Langs „M“, Robert Siodmaks „Nachts, wenn der Teufel kam“ oder Richard Fleischers „The Boston Strangler). Und auch im Fall Meiwes hatten die bisherigen Adaptionsversuche derartige Hürden zu überwinden. Marian Doras „Cannibal“ war dem Verleiher wegen möglicher Verletzung der Persönlichkeitsrechte zu gefährlich und ist nicht erschienen. Rosa von Praunheims „Mein Herz in deinem Hirn“ war schon im Vorfeld heiß umstritten, hat aber – wohl auch aufgrund seiner starken Verfremdungseffekte – noch keinen Verleiher gefunden. „Rohtenburg“ geht nun genau den Mittelweg zwischen diesen beiden Werken – das scheint aber leider auch der Holzweg gewesen zu sein.

Die junge Kriminalpsychologie-Studentin Katie (Keri Russell) hört in einer Vorlesung zum ersten Mal von einem deutschen Kannibalenfall, der sich jüngst ereignet hat. Sie beschließt, diesen zum Thema ihrer Dissertation zu machen und reist nach Deutschland, um sich auf die Spuren des Kannibalen Oliver (Thomas Kretschmann) und seines Opfers Simon (Thomas Huber) zu begeben. Ihr Forschungsinteresse gilt vor allem der Ätiologie des Täters und der Frage, was für Menschen Oliver und Simon gewesen sind. Bald schon findet sie Olivers Haus und bricht dort ein. Das Grauen, das sich dort abgespielt hat, scheint ihr spürbar – dennoch hält sie an ihrem Vorhaben fest und nimmt sich nun vor, den Film, den Oliver von seiner Tat gedreht hat, zu beschaffen. Sie treibt sich in einschlägigen Internetforen herum und wird schon bald fündig.

Dies ist nur die Rahmenhandlung von „Rohtenburg“, die im Gegensatz zum „Kern“ des Films, der Olivers und Simons Lebenswege beschreibt, den fiktiven Part der Erzählung ausmacht. Getragen wird dieser Rahmen durch die Hauptdarstellerin Keri Russell, die hier – gelinde gesagt – zeigt, wie man es keinesfalls machen sollte. Schon in ihrer ersten Einstellung wird sie uns als ständig sinistre Weisheiten vor sich hinmurmelndes Gothic-Chick präsentiert, das sich mehr für das Spektakel und ihre eigenen Fantasien davon zu begeistern scheint, als für die psychologische Spurensuche. Das wissenschaftliche Interesse am Kannibalismus – das ja auch unabhängig von der Authentizität des Falles „Meiwes“ besteht – wird in dieser Rahmenhandlung bereits vollständig der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Klischees in der Darstellung (der Studentin, des Tatumfeldes, …) jagen einander und als Katie am Ende des Films, als sie das Corpus Delicti schließlich zu sehen bekommt, in Tränen ausbricht, ist klar, dass dieser Film allenfalls spekulative Interessen verfolgt.

Deutlich wird dies auch in der Nacherzählung der Biografien von Oliver und Simon: Beiden wird vom Film ein analoger Lebensweg angedichtet: Scheidungskinder, die bei der dominanten Mutter aufwachsen, Hänseleien in der Schule, unterdrückte Homosexualität, frühe Entdeckung der eigenen sexuellen Depravation usw. Das alles nimmt sich aus wie einem Handbuch für das Drehen von Serienmörderfilmen entnommen; kolportiert wird hier jene Binsenweisheit, nach der die Ursachen für das Verhalten von Täter und Opfer in der Kindheit und nirgends anders zu suchen sind. Fast! Denn ein Bösewicht – und darin steht „Rohtenburg“ seinen beiden Vorgängerfilmen in nichts nach – ist das Internet. Es ist der „Ort“, an dem sich die Perversen treffen, der Ort, ohne den das Verbrechen niemals geschehen wäre. Katie findet die Kannibalen-Chatrooms und natürlich auch Leute, die ihr das Snuff-Video schenken, durch eine einfache Suchmaschinenanfrage. Kein Zweifel: Im Internet blüht das Verbrechen ungehindert.

„Rohtenburg“ – schon allein der deutsche Titel des Film, der im Original noch „Butterfly – A Grimm Love Story“ hieß, scheint die spekulativen Absichten der Verleiher zu enthüllen – wirkt also auf den ersten Blick wie ein billiger Vorwand, den Hype um ein authentisches Verbrechen auszuschlachten. Wären da nicht die Darstellungen Kretschmanns und Hubers, die die Vorstellung retten. Allein aus ihrem Spiel schöpft der Film dann doch noch so etwas wie künstlerisches Potenzial. Ihre Verzweiflung, Sehnsüchte und Suche (nacheinander) sind absolut glaubwürdig dargestellt. Selbst in Situationen psychischen und physischen Schmerzes dominiert ihr Spiel über den Effekt – das schafft nicht einmal das mangelhafte Talent Keri Russells zu relativieren, deren Katie-Figur durch die in den Film eingefügten Rückblenden mehr und mehr an den Rand gedrückt wird.

Bild- und Tonästhetik der Rückblenden lassen – neben dem Spiel der beiden männlichen Hauptdarsteller – ahnen, was aus „Rohtenburg“ hätte werden können. In schmutzigen Sepiabildern werden Kindheitsbilder dargestellt, die – trotz ihrer Klischeeüberfrachtetheit – eine intensive Wirkung auf den Zuschauer entfalten. Erzähltempo und Chronologie werden in diesen Rückblenden geschickt variiert und vor allem die Szenen, in denen beide Hauptdarsteller zusammen zu sehen sind, bestechen durch ihre extrem deprimierende Atmosphäre. Martin Weisz’ Film hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Während seine Binnenerzählung ahnen lässt, wie engagiert das Projekt eigentlich gewesen ist, desavouiert die Rahmenhandlung dieses Engagement vollständig. Fast wirkt es so, als hätten die Hollywood-Konventionen sich über einen künstlerisch einigermaßen ansprechenden Film hergemacht und diesen kannibalisiert.

Rohtenburg
(Butterfly – A Grimm Love Story, USA 2005)
Regie: Martin Weisz, Buch: T. S. Faull, Kamera: Jonathan Sela, Schnitt: Sue Blainey
Darsteller: Keri Russel, Thomas Kretschmann, Thomas Huber, Rainer Meissner, Angelika Bartsch, Marcus Lucas u. a.
Länge: 90 Minuten
Verleih: Senator

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