»Pain ist the only truth«

In den Psycho-Thriller ist in den letzten Jahren Bewegung gekommen: Reale Angst- und Spannungssituationen werden – hier ist Alexandre Axas „High Tension“ aus dem Jahr 2003 das mustergültige Beispiel – zu „sinnbildlichen “ Psychogrammen. Dabei geraten Handlungselemente oder sogar komplette Erzählungen zu Introspektionen, die dem Zuschauer die teilweise psychotischen Weltzugänge und Realitätsauffassungen der betreffenden Protagonisten vor Augen führen sollen. Dass dies zumeist mit einem finalen Plot-Twist verbunden ist, in welchem das zuvor gezeigt als Traum oder Imagination entlarvt wird, darf dabei nicht als erzählerische Ausrede verstanden werden, sondern als ein Hinweis an uns, dass wir stets distanzlos in die Geschichten – und seien sie noch so irreal – eintauchen. In diese Reihe stellt sich auch der neue Film „The Dark Hours“ des kanadischen Regisseurs Paul Fox.

Er erzählt die Geschichte der Psychiaterin Samantha Goodman, die an einem schnell wachsenden Hirntumor erkrankt ist. Es experimentelles Serum, das das Wachstum der Geschwulst verhindern soll, hat sie illegal an einem Insassen der Psychiatrie, in der sie arbeitet, getestet. Dieser Insasse ist ein verurteilter Mörder, der einen jungen Mann vergewaltigt und mit einem Ziegelstein das Gesicht und schließlich den Schädel eingeschlagen hat. Von dem Medikament ist er schließlich ins Koma gefallen. Anlässlich eines Wochenendausflugs will sie nun ihrem Verlobten und ihrer Schwester von ihrer Krankheit berichten. Als sie auf der gemeinsam gemieteten Waldhütte ankommt, findet sie die beiden beim Sex vor. Samantha zieht sich ins Bad zurück, setzt sich eine Injektion mit dem experimentellen Medikament und verliert das Bewusstsein.

Den Plot von „The Dark Hours“ auf diese Weise nachzuerzählen ist bereits das Ergebnis einer ersten Interpretation. Denn so, wie die Geschehnisse hier zusammen gefasst sind (linear, kohärent), präsentiert sie der Film zu keiner Zeit. Er führt nach der Ankunft Samanthas vor, wie sich diese mit ihrem Verlobten und ihrer Schwester unterhält, zwischendrin ins Bad geht und dort einen Schwächeanfall erleidet. Kurz darauf überfallen zwei Männer die Waldhütte; einer der beiden der (eigentlich komatöse) Patient Samanthas, der „Rache“ will. Es folgen Szenen, in denen die Gefangenen zu perversen Spielen gezwungen werden, in denen sie der Folter ausgesetzt sind und sich gegenseitig voreinander blosstellen müssen. Die Ankunft des rachsüchtigen Patienten ist mit einer Phase der moralischen Reflexion für Samantha verbunden. Sie wird sich während der Litanei ihrer eigenen Verfehlungen, ihrer Ängste und ihres Selbsthasses gewiss.

In dem Maß, wie die Folter der gefangenen Protagonisten an Intensität und psychischer Gewalt zunimmt, verliert auch Samantha den Bezug zu den Geschehnissen. Zusammen mit ihr durchleben wir nun, die sich die Ereignisse „wirklich“ zugetragen haben könnten. Der oben beschriebene Plot stellt das rationale Sublimat, quasi den dokumentarischen Gehalt der Erzählung dar – die Episode mit dem Überfall, den Folterungen und dem Zerfall der familiären Struktur entbirgt sich nach und nach als Samanthas Verarbeitung verdrängter Ereignisse. Wir werden Zeuge, wie diese Ereignisse durch traumhafte Verdichtung und Verschiebung in veränderter Form zu einem realen Drama werden. Eine Lösung für die Probleme bietet „The Dark Hours“ jedoch nicht.

Fox’ Film besticht durch die überdeutliche Klischeehaftigkeit, mit der sich die in vielen Momenten an Filme wie Hanekes „Funny Games“ erinnernden Ereignisse abspielen. Die Auswegslosigkeit der Gefangenen, die sich unter dem gewalttätigen Druck ihres Peinigers mehr und mehr gegeneinander wenden ist bereits ein deutlicher Hinweis, dass etwas nicht stimmt mit der Logik dieser Narration. Dazu ist zu Beginn zu viel Mühe auf die lückenlose Charakterisierung Samanthas gelegt worden, um diese nun einfach zu einer Figur in einer Eifersuchts-Dreiecksgeschichte zu reduzieren. Konsequenterweise bricht der Film auch in dieser Situation seine Introspektion ab – entlarvt das Ges(ch)ehene als Versuch Samanthas Sinn in ihre Biografie zu bringen, moralische Konsequenzen zu ziehen.

Die Neudefinition des Thrillers als Genre der Introspektion ist im Fall von „The Dark Hours“ ein willkommener Anlass, das Innenleben der Protagonistin den Zuschauern bildhaft vor Augen zu führen. Die Gewalt und Brutalität der Ereignisse, die sich zum Ende hin vielleicht doch nur auf eine einzige Szene der Selbstverstümmelung reduziert, affiziert den Zuschauer und lässt ihn körperlich nachvollziehen, was sich in der Psyche der Hauptdarstellin abspielen mag. Die Optik, vor allem die eindringlichen Nahaufnahmen der Gesichter, die Abbildung der emotionalen „Oberflächen“, unterstützten dieses Prinzip.

Im Falle von „High Tension“ hat es – man konnte das den Kritiken zum Film entnehmen – etliche Missverständnisse gegeben, die dem Drehbuch einen billigen und unmotivierten Plot-Twist zur Auffrischung der hinlänglich bekannten Serienmörder-Geschichte unterstellt haben. Bei „The Dark Hours“ könnte dies wieder passieren, wäre jedoch noch schwerer nachzuvollziehen. Denn hier sind die sich entwickelnden Klischees ein starker Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt mit der Geschichte, wie uns erzählt wird. Die Aufgabe einer Kritik zu „The Dark Hours“ sollte es also sein, die Zugänge zum Film im Vorfeld zu erörtern um die Aufmerksamkeit für die Detailes und schließlich für die psychologische Metaphorik der Handlung zu schärfen. Der Vorwurf des „Geheimnisverrates“ würde dem Kritiker und vor allem dem Film Unrecht antun, weil er letzteren rein auf seine Erzählung hin reduzieren würde, die sowieo in jeder Hinsicht Illusion ist.

The Dark Hours
(Kanada 2005)
Regie: Paul Fox
Länge: 87 Minuten
Verleih: Fabication Films

Stefan Höltgen

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