Fünf Grad kälter

Der Zombiefilm – zumal nach seiner jüngsten Renaissance – hat sich zu einem der interessantesten Subgenres des zeitgenössischen Horrorfilms entwickelt. Maßgeblich in den 1970er und 1980er Jahren als Inbegriff des Splatterfilms mit äußerst reduzierter Handlung und Akzent auf Spezialeffekte entwickelt, ist das Konzept jüngst zu einem kritischen Statthalter im Horrorkino avanciert – fast könnte man sagen: Zombiefilme sind das intellektuelle Sediment im Genre, das sich derzeit vor allem auf die Wiederholung und Neuadaption von Geistererzählungen kapriziert. Dabei sind die Wurzeln des Zombiefilms tief im Boden des sozialkritischen Kinos verwachsen: George A. Romeros „Night of the living Dead“ (der später dann mit zwei plakativeren Fortsetzungen in den Splatterfilm überführt wurde, ohne dass diesen der kritische Gestus abging) und vielleicht solche Filme wie Jean Rollins „Pesticide“ sind frühe(re) Vertreter eines Untotenfilms, der sich vorrangig als Reflexion über Sozial- und Körperpolitik präsentiert hat. Mit Robin Campillos „They came back“ ist jetzt ein französischer Untoten-Film entstanden, der diese Haltung bis ins Extreme radikalisiert.

Zwei Stunden lang sind an irgend einem Tag alle Toten der vergangenen zehn Jahre ihren Gräbern entstiegen. Die erste Einstellung des Films zeigt uns in helle Creme-Farben gekleidete, zumeist alte Menschen, die gemächlichen Schrittes vom Friedhof fort die Straße einer Kleinstadt entlang gehen. Sie haben nichts Bedrohliches an sich und Spuren des Todes und der Verwesung sind nicht an ihnen zu finden. Auf einen Schlag ist die Bevölkerung Frankreichs um 70 Millionen Menschen gewachsen – alles ehedem Lebende, die nun untergebracht, psychologisch und sozial betreut und eventuell in ihre Familien und ihr Arbeitsleben re-integriert werden müssen.

Die Ausgangssituation von „They came back“ allein ist beunruhigend genug. Eine zwar utopische in ihrer Metaphorik aber sehr aktuelle Problematik (das hat schon 1962 Philip K. Dicks sehr ähnlicher Roman „Time out of Joint“ vorgeführt) wird uns hier präsentiert. Wir sehen die Bemühungen der Stadtverwaltung, die logistischen Probleme der Menschenschwemme in den Griff zu bekommen und werden bald mit drei individuellen Geschichten konfrontiert, die alle auf ihre eigene Weise mit den untoten Verwandten umgehen müssen, die nun wieder zu ihren Angehörigen zurück gekehrt sind. Die existenzialistischen Fragen, die das Zusammentreffen von Toten auf Lebenden mit sich bringen – die Fragen, was „danach“ kommt, was aus uns wird – werden dabei nur ganz am Rande erörtert und von den Protagonisten stets wie Tabus behandelt. Zentral ist hier vielmehr das Sentiment: Wie kann ich einen Toten lieben, zumal, wenn ich mich bereits emotional von ihm getrennt habe. Hat er ein Recht – wie der zu seiner Frau Rachel (Géraldine Pailhas) zurück gekehrte Mathieu (Jonathan Zaccaï) – auf Liebe, auf neuerliche Zweisamkeit? Hat sie das Recht, ihn von sich zu weisen?

Die Untoten leben aber nicht bei den Menschen, sondern „unter“ ihnen. Sie fallen auf, denn ihre Körperfunktionen sind sehr verlangsamt, ihre Temperatur fünf Grad unter der Normaltemparatur, sie bewegen sich langsamer, denken langsamer und wirken oft somnabul und abwesend. Zu Emotionen und Gefühlsregungen (selbst auf Schmerz) scheinen sie gar nicht fähig zu sein. Schon bald wird klar, dass es sich nur um die Hüllen von Menschen handelt. Die Entfremdung zwischen Ehepartnern, Kindern und Eltern wächst zusehends und Misstrauen macht sich breit. Die Untoten, die unter chronischen Schlafstörungen leiden, verlassen nachts die Häuser, treffen sich an geheimen Orten und reden miteinander über Dinge, die weder die Protagonisten noch die Zuschauer genau in Erfahrung bringen. Und so entsteht nach und nach eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der die Lebenden über die Toten zu dominieren versuchen, um ihr Misstrauen, ihre Angst oder ihr Unbehagen zu überspielen. Der Architekt Mathieu verliert – eben weil er zu langsam „funktioniert“ – seine Stellung und wird in die Produktion seines Unternehmens verfrachtet. Dass ihm dies nichts ausmacht, beunruhigt niemanden. Die Untoten scheinen sich nach und nach darüber klar zu werden, dass sie nicht in diese Welt gehören und zetteln einen (finguierten) Aufstand an, um den lebenden schließlich einen Grund zu geben, sie zurückzuschicken, die fortschreitende Anomie umzukehren.

„They came back“ als einen ruhigen, unaufgeregten Film zu bezeichnen, kommt schon fast einer Untertreibung gleich. Die Apathie, die die untoten Protagonisten bestimmt, überträgt sich vollständig auf das soziale Miteinander in der Kleinstadt. Die ständig untätig und bewegungslos herumstehenden oder langsam einher schreitenden „Zombies“ sind die Katalysatoren dieser Lähmung. Sie beherrschen jedes Bild – entweder im Überblick der Totalen oder in Nah- und Groß-Aufnahmen mit sehr kurzen Brennweiten, in denen sie verschwommen im Hintergrund herum stehen. Vor diesem „Hintergrund“ erzählt Regisseur Campillo seine Beziehungsgeschichten. Die emotionale Tiefe – vor allem der Darsteller von Rachel und Mathieu – ist perfekt herübergebracht. Hier herrscht kein Klischee, keine „einfache“ Emotion (Angst, Hass, Liebe, ..) gerät in die Mimik – sondern stets eine Mischung dieser Seelezustände mit Verzweiflung und Hoffnung (Rachel) oder Gleichgültigkeit (Mathieu). Und auch in den anderen Hauptfiguren des Films dominiert die Indifferenz. Aus dieser Ambivalenz heraus wird der Plot verstehbar: Die „große Erzählung“ des Films oszilliert ebenso wie die einzelnen Figuren zwischen Apathie und Handlungszwang. Es muss erst zu einem Emotionsausbruch kommen, damit eine Entscheidung getroffen werden kann.

Was hat „They came back“ zum Zombiefilm beizutragen, was macht ihn überhaupt zu einem Vertreter dieses Sub-Gernes? Es sind nicht so sehr die urplötzlich auftauchenden lebenden Toten, sondern das, wofür sie stehen, was sie auslösen: Die soziale Katastrophe, die die Lebenden in moralische Dilemmata stürzt. Sollen sie sich dem Zynismus hingeben und – wie in Romeros „Dawn of the Dead“ – die Differenz zwischen Leben und Tod mit Gewalt reetabieren oder insistieren sie auf humanistische Werte, auf Mitgefühl – wie es in Rollins oben erwähnten Film erahnbar ist und von Romeros jüngstem Werk „Land of the Dead“ radikal eingefordert wird? „They came back“ verhält sich zum Sub-Gerne des Zombiefilms wie sich Soderberghs „Solaris“ zum Science Fiction oder Malicks „Thin Red Line“ zum Kriegsfilm verhält: Er ist emotionale Reduktion und moralische Explikation gleichzeitig. Er führt die ideologischen Regeln des Genres vor, ohne dabei vor lauter Didaktik die individuelle Geschichte von Leben und Tod zu vernachlässigen. „They came back“ ist in all seiner Stille und aufgeräumten Bildsprache einer der intensivsten Filme, die im Genrekino der vergangenen Jahre erlebt werden konnten.

They came back
(Les Revenants, F 2005)
Regie: Robin Campillo, Buch: Robin Campillo & Brigitte Tijou, Musik: Jocelyn Pook & Martin Wheeler, Kamera: Jeanne Lapoirie, Schnitt: Robin Campillo & Stephanie Leger
Darsteller: Géraldine Pailhas, Jonathan Zaccaï, Frédéric Pierrot, Victor Garrivier, Catherine Samie u.a.
Länge: 102 Minuten
Verleih: Haut et Court

Stefan Höltgen

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