Das Kino der Grausamkeit

Montag the Magnificent (Ray Sager) ist ein Illusionist besonderen Schlages. Seine Kunststücke drehen sich immer um die Zerstörung des menschlichen Körpers. Er ruft Freiwillige aus dem Publikum zu sich und tötet sie vor den Augen seiner Zuschauer: Er zersägt sie mit einer Kettensäge in der Körpermitte, treibt ihnen einen Stahldorn durch das Ohr ins Gehirn, Zerquetscht sie unter einer hydraulischen Presse oder stößt ihnen ein Schwert in den Rachen. Das Ergebnis ist jeweils das selbe: Blut, Schreie, Eingeweide und der Magier, der mitten im Massaker diabolisch von der Bühne auf seine Zuschauer herab grinst. Und dann, plötzlich, ist die Illusion vorüber und die Helferinnen kehren unversehrt ins Publikum zurück.


Antonin Artaud fordert in seiner Schrift „Das Theater der Grausamkeit“ (1938) die klassischen Regeln des Theaters aufzuheben – vor allem die Zweckgebundenheit der Stoffe, die seit Aristoteles dem eleos und phobos folgt und die Zuverläsigkeit mit der die katharsis einzutreten hat. An ihrer Stelle sollen Unsicherheit, Metaphysik und Schmerz das Handeln auf der Bühne dominieren und die Zuschauer affizieren. Seiner Forderung, die eng am Kunstkonzept der Surrealisten liegt, ist bereits im Vorfeld entsprochen worden. Nämlich als 1897 das Pariser „Théâtre du Grand Guignol“ eröffnete. Dort bekamen die verblüffeten Zuschauer Horror, Gewalt, Blut und Schreie en masse zu sehen – oft nur sehr vage durch Handlungsfäden verbunden.

The Wizard of Gore steht in der Tradition des Grand Guignol – das ist sehr offensichtlich. Aber Lewis’ Film thematisiert etwas, was im Pariser Theater sicherlich nicht angesprochen wurde: die Reflexion über den Realitätseffekt der Gewaltdarstellung in seiner medialen Präsentation. Der Zauberer Montag tritt jeden Abend mit derselben Vorrrede auf die Bühne: „Was ist real? Sind Sie sicher, dass sie es wissen? Woher wissen Sie es denn? Vielleicht träumen Sie ja nur, hier im Theater zu sitzen. Aber das hier scheint Ihnen zu real für einen Traum zu sein. Aber hatten Sie noch nie einen Traum, der zu real schien?“ Das ist die klassische Konfusion, die seit Platon den menschlichen Verstand umtreibt.

Erstaunlicherweise ist Montags Show, nachdem sie zu Ende ist, für die Helferinnen aus dem Publikum noch nicht ausgestanden. Denn sie sterben, kurz nachdem sie das Theater verlassen haben, auf just jene Weise, die der Zauberer kurz zuvor vorgeführt hat. Die TV-Journalistin Sherry Carson (Judy Cler) will der Sache auf den Grund gehen und lädt den Zauberer zu sich ins Fernsehstudio ein. Dort will er sich zwar keinem Interview stellen, aber er verspricht, eine bislang nie dagewesene Illusion vor laufender Kamera zu inszenieren. Auch die Polizei interessiert sich für den Zauberer, denn sie hat immer noch keine Erklärung für die seltsamen Todesfälle.

Auf der Bühne belässt es Montag aber nicht bei der vorbereitenden Verwirrung seiner Zuschauer über den Wachzustand. Er referiert direkt auf ihre Alltagserfahrung und ihre Sehgewohnheiten, wenn er sagt: „Folter und Terror haben die Menschen schon immer fasziniert. Mit dieser Faszination begaffen Sie blutige Unfälle auf der Autobahn. Heute kann man im Fernsehen und im Film die fürchterlichsten Dinge bestaunen, ohne dass tatsächlich jemand verletzt würde. Aber haben Sie jemals einer wirklichen Menschenschlachtung beigewohnt?“

Hiermit erhält The Wizard of Gore einen Angelpunkt, von dem aus er seine eigenen Zuschauer in die Erzählung der Gewalt envolviert. Lewis selbst ist ja angetreten, durch hyperrealistische Splattereffekte Menschenschlachtungen in nie gekannter Detailliertheit vorzuführen. Seine Bilder selbst sind es, die durch Schocks die Membran des Medialen und der Inszeniertheit zu durchbrechen versuchen. Lewis ist der Zauberer auf der Bühne, der seinen Protagonisten Montag von „Fernsehen und Filmen“ sprechen lässt, als wären dies überkommene Medien in Hinblick auf die Evokation von Realität.

Doch The Wizard of Gore ist zu intelligent und gleichzeitig zu konservativ, als dass er es bei der reinen Überschreitung der medialen Grenze belassen würde: Als Montag in der TV-Show auftritt (Lewis inszeniert dies als mise-en-abyme) und tatsächlich all seine Zuschauer hypnotisiert, um sie während der Hypnose umzubringen, misslingt sein Zauber. Denn, anders als auf der Bühne, kann er vor der Kamera nicht kontrollieren, ob ihm auch wirklich alle zusehen. Und Sherrys Freund Jack (Wayne Ratay), der ihm nicht zuschaut und deshalb nicht hypnotisiert wird, beendet den Spuk noch rechtzeitig.

Lewis votiert für die Zentralperspektive des rahmenlosen Bildes, die eben nur die Realität, das Theater und das Kino bieten. Nur dort sind Blickrichtung und Illusion garantierbar. Und deshalb kann er es sich auch erlauben, The Wizard of Gore nicht mit der „Auflösung“ des Falles im Tod des Magiers enden zu lassen: Auch Lewis’ Zuschauer nehmen etliche Fragen und Zweifel mit aus der Vorführung hinaus.

The Wizard of Gore
(USA 1970)
Regie: Herschell Gordon Lewis
Buch: Allen Kahn; Kamera: Alex Ameri & Daniel Krogh; Musik: Larry Wellington; Schnitt: Alex Ameri
Darsteller: Ray Sager, Judy Cler, Wayne Ratay, Phil Laurenson, Jim Rau u. a.
Länge: 95 Minuten
Verleih: cmv


Die DVD von cmv

Bild und Ton dieser DVD aus der Lewis-Reihe liegen weit über dem Durchschnitt, was wohl mehr am Fortschritt der Aufnahmetechnik 1970 als an der Qualität der Master gelegen haben dürfte. Man sieht dem Film nicht nur in seinem Inhalt, sondern auch in der technischen Realisation an, dass er zum „Spätwerk“ Lewis‘ gehört. Das Zusatzmaterial der DVD ist hier etwas spartanischer als in den anderen Veröffentlichungen der Reihe ausgefallen. Als zweiten Film bietet cmv den „Aufklärungsfilm“ [Beat Girl an. Ansonsten „nur“ den Audiokommentar und die bereits bekannten Bildergalerien und Trailer.

Die Ausstattung im Einzelnen:

Bild: 1:1,33 (PAL)
Ton: Englisch (DD .20), Audiokommentar
Untertitel: deutsch, holländisch
Zusatzmaterial: Bildergalerie, Trailershow, Film „Beat Girl“
Länge: 95 Min. (Zusatzfilm: 79 Min.)

Stefan Höltgen

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