No ordinary Killer

Von Beginn an schon nutzt der Serienmörderfilm sein zentrales Sujet, den scheinbar motivlosen Mord an Menschen, dazu, an ihm soziale, psychologische und politische Themen zu spiegeln. Zusammen mit dem „Werdegang“ des Killer oder der Detektion seiner Taten stehen daher immer auch andere Diskurse auf dem Programm, die mal mit dem Serienmord homologisiert werden, mal als seine Gründe angeführt werden, immer aber als zentrale Diskussionsangeboten an den Zuschuer formuliert werden. Im koreanischen Film „Bystanders“ ist einmal mehr das Thema „Schule“ der Hauptaspekt. Bereits aus dem japanischen Genrekino („Suicide Club“, „Battle Royale“, …) ist es als Problemthema bekannt. „Bystanders“ nimmt sich hier nun aktuellerer Schulschwierigkeiten an.

Es geht um die Phänomene Mobbing, räuberische Erpressung („Abziehen“) und das jüngst in die Diskussion geratene „Happy Slapping“, bei dem Gewaltakte gegen Mitschüler für Videohandys inszeniert werden. Der Junge In-woo, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt, scheint mit einer mysteriösen Todesserie in Verbindung zu stehen, denn in den Mägen der Opfer finden sich Schnipsel aus seinem Tagebuch. Darin wird der genaue Todestag und die Todesart angekündigt. Verstörend dabei ist zunächst, dass die Einträge vordatiert sind und sich allesamt auf Zeiten beziehen, an denen der Junge bereits verstorben ist. Es muss also jemand anderes die „Ankündigungen“ in die Tat umsetzen. Die Polizisten Chu (Shin Eun-kyung) und Kim (Eric Moon) ermitteln in der Mordsache und verhören zunächst die Mitschüler der Opfer, die auch die auch für die Folterungen an dem verstorbenen In-woo verantwortlich sind. Dabei decken sie immer mehr Geheimnisse auf und stoßen schließlich auf den Täter. Nebenher entfaltet sich ein Konflickt zwischen Chu und ihrem verwaisten Neffen, der ebenfalls in der Klasse der Opfer und an den Geschehnissen nicht unbeteiligt ist.

„Bystanders“ führt gleich mehrere Problemfelder in seinem Plot zusammen. Auf der einen Seite markiert der Film das extrem harte Schulsystem Südkoreas als einen der Gründe für die Entstehung von Gewalt. Auf der anderen Seite sind es zerstörte Kleinfamilienstrukturen – häufig duch allein erziehende Frauen bestimmt –, die die Probleme und die daraus resultierende Gewalt nicht mehr zu kompensieren in der Lage sind. In „Bystanders“ gibt es gleich zwei allein erziehende Frauen, denen die Probleme ihrer Kinder über den Kopf wachsen, die jedoch auf unterschiedliche Weise damit umgehen. Es ist damit schon bald weniger der Serienmord selbst, der die Handlung des Films vorantreibt, als diese Fragestellungen und die Arbeit der Ermittler verlagert sich zusehend von den – ohnehin als unbrauchbar markierten – klassischen Detektionsmethoden zu einer Art Sozialarbeiterpraxis, die die Geschehnisse an den Schulen aufdeckt und die Verantwortlichen benennt.

Dass sich „Bystanders“ dabei eines hochaktuellen und international akuten Themas (die Ereignisse an der Berliner Rütli-Schule belegen, dass die Fragestellung auch hierzulande relevant ist) annimmt, verhilft dem Serienmord-Sujet dabei zu einer weiteren Aktualisierung. Der Film versucht über diesen Aktualitätsbezug hinaus seine Geschichte auch variantenreich, spannend und interessant zu erzählen. So finden sich Elemente des Polizeifilms ebenso wie des Buddymovies, melodramatische Motive und furiose Verfolgungsjagden und Kampfszenen. Am bemerkenswertesten ist die Montagearbeit: Oft ist nicht gleich klar, auf welcher Zeitebene sich der Plot gerade befindet, weil Rückblenden ohne jede narrative oder optische Ankündigung an gegenwärtige Sequenzen angefügt werden. Damit unterläuft der Film jede gefällige Ästhetik, die eine versinkende Rezeption ermöglicht zugunsten einer stets wachen und reflektierten Auseinandersetzung mit dem Thema. Hervorragend sind auch die schauspielerischen Leistungen, gerade des Polizistenpaares. Den Wechsel von erfrischendem Humor zu tragischer Tiefe meistert vor allem Shin Eun-kyung bravourös. „Bystanders“ ist damit ein gleichermaßen origineller wie sehenswerter Beitrag des koreanischen Kinos und des Serienmörderfilms.

Bystanders
(Yu-wol-ui il-gi, Süd Korea 2005)
Regie & Buch: Kyung-Soo Im; Kamera: Chul-Joo Kim; Schnitt: Min-ho Kyong; Musik: Taro Iwasiro
Darsteller: Yunjin Kim, Eric Moon, Eun-Kyung Shin, Ju-sang Yun u. a.
Länge: 107 Minuten
Verleih: MFA +

Die DVD von MFA +

Wieviel Sorgfalt man dem Letterbox-Bild entgegen gebracht und wie wenig man sich für den Ton interessiert hat! Zwei deutschsprachige Tonspuren (DD 5.1 und DD 2.0), aber kein Originalton und deshalb auch keine Untertitel. Angesichts der hohen Popularität des koreanischen Kinos hierzulande muss man sich frage, was das soll. Sicherlich: Des Koreanischen sind wohl nur die wenigsten der deutschen Zuschauer mächtig, dennoch gibt es gute Gründe sich einen Film auch im Originalton (mit Untertiteln) ansehen zu wollen – wenn man nämlich Wert auf größtmögliche Authentizität des künstlerischen Ausdrucks legt. Leider war das bei MFA+ nicht der Fall.

Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:

  • Bild: 16:9 (2,35:1)
  • Ton: deutsch (DD 5.1 und DD 2.0)
  • Untertitel: keine
  • Extras: Trailershow
  • FSK: ab 16 Jahren
  • Preis: 13,99 Euro

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