Das dunkle Leuchten der Berge

Mit der Verbindung von Bildern und Sprache ist das so eine Sache: Das eine lässt sich nicht ins andere Übersetzen, ohne, dass etwas wegfällt oder hinzukommt. So muss jeder gelungene Versuch, für die eigenen oder fremden Worte Bilder zu finden auch notwendigerweise in Vieldeutigkeiten münden. Jemand, der „gute Bilder“ findet, schafft es dann vielleicht, diese Vieldeutigkeiten wenigstens zu lenken.


In Werner Herzogs Dokumentarfilmen taucht dieses Problem immer wieder auf. Da finden mehrfache Übersetzungsprozesse statt: Ein vergangenes Erlebnis wird erzählt, dann bebildert und schließlich wieder mit einem Sprachkommentar versehen. Herzog macht aus der Polysemie, die dabei entsteht, ein Programm: Die vergangenen Erlebnisse seiner Protagonisten sind oftmals ein Schlüssel, mit dem er seine eigene Weltsicht kodiert. Da wird ein wochenlanger Marsch durch den Dschungel („Little Dieter needs to Fly“, „Julianes Sturz in den Dschungel“) zu einer Beschreibung von „Extrem-Wandern als/ans Lebensziel“ oder die Fassungslosigkeit von Sprachfindung („How much wood would a woodchuck chuck“, „Land des Schweigens und der Dunkelheit“) zu einer Bankrotterklärung von Sprache überhaupt … „Die Menschheit braucht zum Überleben Bilder“, sagt Herzog.

In Gasherbrum begleitet er den Bergsteiger Reinhold Messner, der hintereinander zwei Achttausender besteigen will. Herzog, sonst für jedes Abenteuer zu haben, folgt ihm nicht, sondern bleibt in der Basisstation. Und so handeln die 45 Minuten des Films dann auch weniger von den artistischen/akrobatischen Bemühungen Messners als von dessen verzweifelter Suche nach Worten, seine unsinnige Passion „Bergsteigen“ verstehbar zu machen. Herzog versucht es zunächst mit Analogie („Eine Art Wahnsinn?“, „Todessehnsucht?“) um dann schließlich auf den existenziellen Kern der Sache zu stoßen: Messner hat vor ein paar Jahren bei einer Expedition den eigenen Bruder verloren. Auf die Frage Herzogs, wie er es nach der Rückkehr der Mutter erklärt habe, bricht Messner in Tränen aus. Über die Sezene ist viel gesagt und geschrieben worden und Herzog selbst hat immer wieder erklärt, wie wichtig er und Messner es gefunden haben, dass diese ca. 3 Minuten schweigendes Schluchzen mit bewegungsloser Kamera eingefangen in den Film hinein mussten.

Der Grund scheint mir jedoch ein anderer als allein der der Authentizität zu sein: Es gibt keine Worte, welche existenzielle Extremsituationen zu beschreiben vermögen. Zu diesen gehört nicht nur, den Berg hinaufzusteigen (was Messner ganz folgerichtig damit vergleicht, dass er unsichtbare Schriftzeichen „an der Wand“ zeichnet, die er besteigt), sondern auch, was man jedes Mal oben lässt und was nicht mehr da ist, wenn man den Berg wieder hinabsteigt. Anfangs sind dies nur fehlende Zehen (Messner hat nach all seinen Expeditionen nur noch insg. 4 Zehen), dann ist es die Vernunft (es wird immer wieder von wahnsinnig gewordenen berichtet) und schließlich ist es das Leben selbst, dass sich im Prozess des Bergsteigens verausgabt und verbraucht.

Die Erklärungsversuche Messners (und auch die Fragen Herzogs) werden angesichts der Herausforderung immer hilfloser – die Bilder des Films jedoch immer bedeutungsschwerer: Wortlose, mit der Musik Popol Vuhs unterlegte Panorama-Aufnahmen, in der sich Messner und sein Begleiter verlieren, zeitgeraffte Schneestürme und Wolkenjagden, die seltsam „unkitischig“ über die Berge hinwegfegen – das sind die Bilder, die nach und nach die Sprache ersetzen. Und schließlich verwundert es nicht, als sich Messner und Herzog am Ende des Films einig sind, dass sie beide das selbe „Lebensziel“ haben: Einfach gehen, immer weiter gehen, ohne Umkehr. In diesem Bild kulminiert der sisyphonische Wunsch des Bergsteigers Messner, für den jeder Aufstieg auch der erste Schritt in Richtung des Absteigs ist und der Herzogs, für den jede begonnene Erzählung/Dokumentierung auch schon der Anfang ihrer letzten Worte ist.

Gasherbrum – Der Leuchtende Berg
(D 1984)
Regie: Werner Herzog
Kamera: Rainer Klausmann, Schnitt: Maximiliane Mainka, Musik: Popol Vuh
Darsteller: Reinhold Messner, Hans Kammerlander
Länge: 45 Minuten
verleih: Kinowelt


Die DVD von Kinowelt

Ein weiterer, großer Schritt mehr der Firma Kinowelt endlich das Gesamtwerk Herzogs für die breite Masse zugänglich zu machen. Die DVDs der Reihe enthalten dabei nicht nur die populäreren Spielfilme, sondern auch die selten ausgestrahlten Dokumentarfilme Herzogs als Bonus-Material. Im Fall der DVD zu „Herz aus Glas“ (D 1976) stellt dieser Bonus schon gleich die Hauptattraktion der Veröffentlichung dar, weswegen wir uns entschieden haben, die Kritik zum Dokumentarfilm „Gasherbrum – Der leuchtende Berg“ zu veröffentlichen und nicht zum „main feature“, der Zusammenarbeit zwischen Herzog und Herbert Achternbusch.

Die DVD ist, wie bislang alle aus der Herzog-Reihe, makellos in Bild und Ton. Davon zehrt ein dunkler, naturbeladener Film wie „Herz aus Glas“ besonders. Zum Film dazu gibt es als Zusatzmaterial einen filmbegleitenden Audiokommentar von Werner Herzog und oben besprochenen Dokumentarfilm. Darüber hinaus enthält die DVD auch noch den kurzen Dokumentarfilm „Werner Herzog eats his Shoe“ (USA 1980) von Les Blank, bei dem es um die Wette Herzogs mit dem amerikanischen Dokumentarfilmer Errol Morris geht. Herzog versprach vor der Veröffentlichung dessen ersten Films „Gates of Heaven“ (USA 1978): „Wenn du für den Film einen Verleiher findest, komme ich nach Amerika zurück und esse meinen Schuh.“ Der Film hat einen Verleiher gefunden und Herzog sein Versprechen gehalten. Die Schuh-Esserei ist dabei aber weniger Gaudi als ein Beleg für Herzogs „verbissenen“ Wunsch, Film möge endlich in seiner Bedeutung für die Gesellschaft erkannt werde.

Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:

# Bild: 1,66:1 (16:9 anamorph)
# Sprachen/Ton: Deutsch Mono (Dolby Digital)
# Extras: Dokumentationen: „Werner Herzog Eats His Shoe“ und „Gasherbrum – Der leuchtende Berg“, Fotogalerie, Trailer, Biografie Werner Herzog, Audiokommentar von Werner Herzog und Laurens Straub

Preis: 14,99 Euro

Diesen Film bei Amazon kaufen.

Stefan Höltgen

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.