Eine Zensur findet **** statt

Über groß- und bundesdeutsche Zensurpraktiken

Die Geschichte des Films wird - wie jede Kunstgeschichte - seit ihren Anfängen begleitet von der Repression. Filmzensur ist schon immer ärgerlicher Kommentar filmästhetischen Ausdrucks. Im Namen des Gesundheitsschutzes, des Jugendschutzes und der öffentlichen Sicherheit werden in Deutschland von jeher Filme verboten, indiziert und geschnitten. Jenseits jeder »Freiheit der Kunst« maßt sich die deutsche Filmzensur kontinuiertlich seit einhundert Jahren an, zu bestimmen, was gesehen werden darf und was nicht. Betroffen von ihren Maßnahmen sind alle Genres - vor allem abgesehen haben es die Zensoren jedoch auf Pornografie, Horror- und Actionfilme. Diese stellten von der Weimarer Republik über die Hitlerdiktatur, dem Realsozialismus bis hin zur Demokratie bundesdeutscher Prägung nachgerade subversive Taten dar, vor denen der mehr oder weniger mündige Bürger geschützt werden müsse. Dabei ging und geht die Zensur immer politisch vor.
Heute scheinen uns Schnittauflagen und komplette Vorführverbote von Filmen wie James Whales Frankenstein (USA 1930) mit der Begründung der "Ordnungsgefährdung" und der Befürchtung, "dass der Bildstreifen Entsetzen errege und die Gesundheit der Zuschauer zu schädigen geeignet sei" (Zitate aus dem Protokoll der Film-Oberprüfstelle von 1932 in Berlin, Nr. 5819 "Frankenstein") absurd. Schaut man sich das gute Dutzend der vom Schnitt betroffenen Szenen des Films an, so lässt sich daraus kaum ableiten, wie man zu den o. g. Vermutungen über die Wirkung dieser Szenen gelangen konnte. Doch gerade weil der Film das populärste Laufbildmedium des 20. Jahrhunderts war, ein Medium, das ständig in Anspruch genommen wurde, das mehr oder weniger subtil politische Inhalte zu transportieren vermochte und von nahezu jedermann ohne jegliche "Vorkenntnisse" rezipiert werden konnte - gerade deshalb war der Film den Mächtigen schon immer unheimlich. Daran hat sich auch heute nicht viel geändert.
Zur NS-Zeit wurden bekanntlich ganz offen Filme mit politischen Begründungen zensiert und verboten; Filme, die eine sog. "entartete Kunst" darstellten. Und längst sind Filme wie Im Westen nichts Neues (USA 1930, R: Lewis Milestone/George Cukor) oder Panzerkreuzer Potemkin (UdSSR 1925, R: S. M. Eisenstein) von damals rehabilitiert und zählen nun zum Kanon der Filmkunst. Ja: Die Wiederaufführung der in den vergangenen deutschen Diktaturen verbotenen Filme feiert die liberale Bundesrepublik geradezu als Sieg der Freiheit (nicht etwa der freien Kunst) über die Unterdrückung und macht daraus ein Politikum. Dass eine ideologisch willkürliche Zensur von Kunst nicht mehr stattfinden darf, schreibt sich seither der deutsche Staat im Artikel 5 des Grundgesetzes vor: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt." Zu Recht eine der Grundsäulen einer freien Demokratie.
Dennoch findet auch dieser Grundgesetzartikel heute seine "wenns und abers", nämlich genau "dort, wo andere gleich wichtige Rechte verletzt werden könnten." (so ein Papier der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften kurz: BPjS) Und genau dort arbeitet die heutige Filmzensur mit wohlanständigen Begründungen: Es gehe darum, Kinder und Jugendliche "vor solchen Medien zu schützen, die ihren sozialethischen Reifungsprozeß negativ beeinflussen könnten." (BPjS-Papier). Mit anderen Worten: Viele Filme sind "gewaltverherrlichend" (nach StGB § 131), bzw. pornografisch und zusätzlich gewalttätig (nach StGB § 184 III). Vergegenwärtigt man sich dann allerdings das System, nach dem heute Filmkunst zensiert wird, stellt man schnell fest, dass die staatlichen und staatlich beeinflussten Organisationen ihren liberalen Vorsätzen kaum gerecht werden. Ich will deren Instanzen kurz vorstellen:
1. Die sog. »Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft« (FSK) besteht aus Vertretern der Filmwirtschaft, Kirchenvertretern (!) und einzelnen (staatlichen) Jugendbehörden. Dort wird vor der Veröffentlichung des Films die für den Verleih bestimmte Altersfreigabe erstellt. Nicht selten werden dort auch Schnittauflagen »empfohlen«, die der Verleiher einhalten muss, um für seinen Film ein »jugendfrei« zu bekommen (also "ohne Altersbeschränkung", "ab 6 Jahren", "ab 12 Jahren" und "ab 16 Jahre"). Nach diesem Schnitt tritt das Gremium erneut zusammen und prüft das so entstandene Filmfragment. Wird immer noch keine Einigung erzielt, so tritt ein neues Gremium zusammen, das diesmal um die Vertreter von Filmverleihen reduziert und um einige Kirchenvertreter erweitert wird. Dann gibt es meistens keine weitere Probleme mit der Freigabe.
2. Die BPjS. Ihre Aufgabe ist es als "Bundesbehörde mit gerichtsähnlichen Funktionen" von Jugendämtern eingereichte Indizierungsanträge zu prüfen und die Filme dann gegebenenfalls zu indizieren. Die Indizierung bedeutet faktisch das Aus für den Film: Er darf nicht mehr an öffentlich zugänglichen Orten ausgestellt, gezeigt oder beworben werden. Nur in Videotheken und Kinos, die Jugendlichen keinen Zutritt gewähren, darf der Film gezeigt oder angeboten werden. Diese Indizierung trifft für alle Pornofilme und die meisten Horror-, Action- und Easternfilme zu. Darüber hinaus ist jeder Film "automatisch indiziert", der nicht der FSK vorgelegt wurde und daher keine Altersfreigabe hat. Dies hat auch nicht selten dazu geführt, dass ganz offensichtliche Kinderfilme, deren Verleiher geglaubt hatten, keine FSK beantragen zu müssen, aus dem Verleih genommen werden mussten: So geschehen bei zwei Clever & Smart Zeichentrickfilmen Mitte der 80er Jahre.
3. Die Amts- und Landesgerichte. Sie stellen die rigoroseste und - was die Filmzensur angeht - ärgerlichste Behörde dar. Etliche Titel verstoßen nach Meinung der Gerichte gegen geltendes Gesetz (Paragraphen s. o.) und gehören ganz aus dem Verkehr gezogen. In diesem Fall wird eine "bundesweite Beschlagnahme" gegen den Titel ausgesprochen. Konsequenzen: Alle Kopien müssen eingezogen und vernichtet werden. Der Besitz solcher Filme stellt fürderhin eine Straftat dar. Von dieser Maßnahme sind bislang 170 Filme wegen angeblichen Verstoßes gegen den § 131 (StGB) und 169 Filme wegen angeblichen Verstoßes gegen den § 184 Abs. 3 (StGB) betroffen. Worin nun allerdings die Straftat besteht, bleibt einzig dem Ermessen der Staatsanwälte und Richter, die sich mit der Beschlagnahme befassen, überlassen. Und weil nun Richter nicht unbedingt Sachverständige in Fragen der Filmästhetik sind, kann es da schon einmal zu etwas eigenartigen Begründungen kommen. So äußerste sich die Staatsanwaltschaft Pforzheim anlässlich einer Anfrage, warum Halloween II (USA 1981, R: Rick Rosenthal) beschlagnahmt worden sei, wie folgt: "es ist halt so in diesem Land, ob es ihnen nun passt oder nicht".
Die offizielle Begründung des Verbots nahm sich dann allerdings etwas umfangreicher aus: "Die vom AG Pforzheim angeordnete Beschlagnahme des Videofilms Halloween II beruhte im wesentlichen darauf, dass dessen Inhalt als eine zusammenhanglose Aneinanderreihung bestialischer Gewalthandlungen gegen Menschen bewertet wurde, wobei die einschlägigen Szenen nach ihrem gesamten Darstellungszusammenhang zudem eine Verharmlosung derartiger Gewalttätigkeiten darstellen, die auch nicht dem Bereich der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte zuzuordnen seien und auch keinerlei Kunstwerk darstellen." (Hervorhebungen durch den Autor) Hier offenbart sich der politische Hintergrund der bundesdeutschen Filmzensur recht deutlich: Denn Halloween II wurde verboten, weil
a) der Zensor nicht in der Lage war, die (doch recht einfache) Erzählung des Films zu erkennen und den Film daher für eine Art von »Gewalt-Clip« hielt.
b) der Zensor monokausal von der dargestellten Gewalt auf real existierende Gewalt rückschloss. Eine These, die jedem Medienpsychologen und -soziologen die Nackenhaare sträubt.
c) der Zensor den Inhalt (den er ja lt. a nicht erkannt haben wollte) zudem nicht in der zeitgenössischen oder historischen Wirklichkeit zuordnen konnte; es sich bei Halloween II also frecherweise um Fiktion und nicht um Dokumentation handelte.
d) der Zensor in Halloween II keinerlei Kunstwerk erkannt haben wollte. Und genau in diesem letzten Punkt eröffnet sich der Bereich der eigentlich verfassungsfeindlichen Kunstzensur, wie sie Art. 5 GG verbietet. Man muss kein Jurist sein, um zu erkennen, dass der betreffende Staatsanwalt (und auch der Richter, denn Halloween II wurde ja »erfolgreich« beschlagnahmt) sich hier nicht nur anmaßt (ex negativo) Kunst zu definieren, sondern für den Autor von Halloween II die freie Meinungsäußerung nicht mehr gelten lässt, weil es sich nicht um Kunst handelte. Der Film darf verboten werden, weil er offensichtlich keinerlei Meinung (sei es eine im künstlerischen oder sonstigem Diskurs) darstellt. Der Film stellt daher etwas, was man als »Unmeinung, verkleidet als Meinung, um Gewalttätigkeiten zu verharmlosen« betiteln könnte, dar, ist also so etwas wie eine »entartete Meinung«.
Das Beispiel Halloween II ist nur eines von hunderten. Oftmals sind Filme vom Verbot betroffen, die tatsächlich reine Exploitation von Gewalt darstellen: Etwa die italienischen Kannibalenfilme der 70er und 80er Jahre. Andere Werke jedoch lassen die Kriterien, nach denen sie verboten werden, besonders paradox erscheinen: So wurden etwa jüngst (zum wiederholten Male) George A. Romeros Dawn of the Dead (USA 1978) und Day of the Dead (USA 1985) beschlagnahmt, Peter Jacksons Braindead (Nz 1992), The Texas Chainsaw Massacre I & II (USA 1974 & 1986, R: Tobe Hooper) und The Evil Dead (USA 1982,R: Sam Raimi) stehen ebenfalls auf dem Index. Man muss bei diesen Filmen eigentlich gar nicht anführen, dass es sich um Kunstwerke handelt (sonst bediente man damit das Argument der Zensoren: "Was nicht Kunst ist, darf verboten werden."). Diese Filme stellen jedoch preisgekrönte und von Kritikern und Filmwissenschaftlern weltweit geachtete Genrebeiträge dar.
Das jedoch interessiert den deutschen Filmzensor nicht. Im Zeichen des »Jugendschutzes« indiziert, verstümmelt und verbietet er auch weiterhin Filmkunst. Nicht dass Jugendschutz nicht sinnvoll wäre (auch wenn erst einmal nachgewiesen werden müsste, welche Auswirkungen Film tatsächlich auf den Zuschauer hat); aber was hier betrieben wird, ist nichts Geringeres als Bevormundung erwachsener Bürger (die keinen Zugriff auf die verbotenen Kunstwerke mehr haben), staatlich und kirchlich verordnete Kunstschändung (seitens der Schnittvorgaben der FSK) und nicht zuletzt die Kriminalisierung jedes liberal eingestellten Filmkunstliebhabers - und das angeblich alles im Einklang mit dem Grundgesetz.
Die Filmzensur ist einer der letzten antiliberalen Dinosaurier des modernen Staates, der nicht wahrhaben will, dass die Auffassungen darüber, was Kunst ist, heterogen sind. Sie schreibt ihre Geschichte parallel zur Filmgeschichte und verhilft ihren Opfern (den Filmen) oftmals zu weit größerer Popularität, als sie diese ohne die Repression hätten: Ein verbotener Film ist ein begehrter Film, was das immense Angebot auf internationalen Filmbörsen (www.ebay.com) schnell veranschaulicht. Die Filmzensur schafft damit die Grundlage dafür, dass ein verbotener Film sehr schnell ein sehr bekannter Film wird: Allein der vierteljährlich erscheinende BPjS-Report, der sämtliche indizierten und beschlagnahmten Titel (neuerdings auch verbotene Internetseiten!?!) samt Quellen listet, verhilft jedem Filmkunstliebhaber zu den nötigen Informationen. Die Liste ist damit derartig brisant, dass bereits der Antrag auf Indizierung des BPjS-Reportes bei der BPjS eingeraicht wurde. Man entscheidet derzeit über ein Verbot ...

[Stefan Höltgen]

Quellen und weitere Informationen:
BPjS-Homepage: http://www.bpjs.bmfsfj.de/
Medien-Versand-Homepage: http://www.medien-versand.de/zensur.html
Frankenstein-Verbot: Dokument vom Deutschen Filminstitut Frankfurt
BPjS-Report: (Bezug: Forum Verlag Godesberg GmbH, Ferdinandstr. 16, 41061 Mönchengladbach, Fax-Bestellung: 02161-209183)