Nicht alle E.T.s sind freundlich!

Einen Film zu verbieten ist nur eine Möglichkeit, ihn verschwinden zu lassen. Eine andere und viel effektivere ist, ihn einfach in das unterste Regal des letzten Raumes in der Videothek zu stellen und ihn dann irgendwann auszumustern. Solch ein Schicksal erlitten unzählige Filme; vor allem jene aus der Riege, die niemals in irgendeinem deutschen Kino liefen: Die B-Pictures aller Genres. Seit aber die Firma "Astro-Video" ihre Vorliebe für die kleinen Videojuwelen aus dem Action- und Horrorbereich entdeckte, erlebt das eine oder andere verloren geglaubte Video aus den 70er und 80er Jahren seine Renaissance. Eine neue Reihe startete nun die Firma "Nightmare Cinema" mit rund zehn Titeln, die laut Cover alle "ungeschnittene Kinofassungen" präsentieren. X-Tro - Angriff der Körperfresser ist ein Alien-Ripoff von Harry Bromley Davenportes aus dem Jahre 1982 (1983 erstmals in Deutschland veröffentlicht unter dem Titel X-Tro - Nicht alle Außerirdischen sind freundlich), jedoch mit weitaus größerem Charme als ähnliche Filme, die auf der Alienwelle mitritten. Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der von Außerirdischen entführt wurde und nun, drei Jahre später, zur Erde zurückkommt, um seine Familie abzuholen. Er gibt vor, sich an nichts erinnern zu können, was in den vergangenen Jahren seiner Abwesenheit geschehen ist. Hinterrücks infiziert er jedoch seine Familie und deren Freunde mit einer "Krankheit", die diese nach und nach auch in Aliens verwandelt. Das ist ja alles noch gar nicht so spektakulär. X-Tro bietet jedoch eine Reihe außergewöhnlicher Einfälle - nicht zuletzt in seinen Splattereffekten. So erleben wir zum Beispiel, wie eine Frau - von dem Alien geschwängert(?) - einen erwachsenen Mann zur Welt bringt. Dass das nicht besonders glimpflich für sie ausgeht, wird man sich denken können - und ausführlich zu sehen bekommen. Beeindruckend an X-Tro sind vor allem die logischen Brüche und Rätsel, die der Film aufgibt. Vom Anfang bis zum Ende wird dem Zuschauer nichts erklärt. Der Film gewinnt dadurch eine nicht unerhebliche intellektuelle Distanz zu allen weiteren Produktionen des Alien-Subgenres, weil er nicht mit seinen Deutungspotenzen hausieren geht. Leider ist X-Tro nicht das einzige Werk des Briten H. B. Davenportes geblieben. Sieben Jahre später drehte er X-Tro - Die zweite Begegnung (Can 1990) und darauf XTRO-3 (USA 1995); beides unsäglich einfallslose Metzelfilme, die nicht nur nichts mit dem ersten Teil zu tun haben, sondern es auch fraglich erscheinen lassen, ob dessen kryptische Originalität nicht doch nur ein geistiger Wackelkontakt des Regisseurs gewesen sein könnte. Entgegen der Ankündigung von "Nightmare Cinema" ist X-Tro keinesweg eine "ungekürzte Kinofassung". Der Film ist keine einzige Szene länger als die Polygram-Version aus dem Jahre 1983. Vor allem das Ende des Films, das die britische Fassung liefert, hätte man ohne Zensurbefürchtungen an den Film anfügen können. Aber dann hätte man den Film wohl auch komplett neu synchronisieren müssen - und das kann sich bislang wohl nur "Astro-Video" leisten; ebenso wie vernünftige Videocover, denn die gesamte "Nightmare Cinema"-Serie verzichtet auf auch nur eine einzige Produktionsangabe auf ihren Verleihcovers. Fazit: Der nicht zu vernachlässigende Dienst, den "Nightmare Cinema" leistet, liegt mehr in der Wiederaufführung verschollen geglaubter Titel als in deren Präsentation als ungekürzte kleine Meisterwerke.

X-Tro - Angriff der Körperfresser 
 (X-Tro, GB 1982) 
 Regie, Drehbuch & Musik: Harry Bromley Davenportes, 
 Kamera: John Metcalf 
 Darst.: Bernice Stegers, Philip Sayers, Simon Nash, Maryam D'Abo u. a. 
 Länge: 81 Min.; Verleih: Nightmare Cinema

[Stefan Höltgen]


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