Urban Feel
Ein Beitrag von der Berlinale 1998
Israelischer Film auf der Berlinale: Urban Feel wurde schon auf dem Hifa Film Festival in Israel 1998 in 12 Kategorien nominiert und ist einfach ein schonungsloser Film. Er stellt offen die Unzulänglichkeit eines tychischen Weltgeschehens und vor allen Dingen die Verwirrung der in ihm agierenden Menschen zur Schau und schält behutsam die dünne Patina, mit deren Falschgold sich die friedvoll bürgerliche Existenz den Feierabend tapeziert. Dieser Film von Jonathan Sagall ist poetisch; darüber können auch die vielen derben bis obszönen Worte, von denen im Verlauf der Handlung häufiger Gebrauch gemacht wird, nicht hinwegtäuschen. Sie drücken einfach starke Emotionen aus; Liebe, Hass, Eifersucht, Angst, ein Fünkchen Wahnsinn. Bisweilen geraten die Szenen rabiat, werden aber nie banal. Selbst in dem Bild von einer heimlichen Massenorgie, die ausführlich gezeichnet wird und einigen Zuschauern Anlass gab, den Saal zu verlassen, wird nicht einfach bloße Schaulust bedient (das kann man schließlich als selbstverständlich voraussetzen), denn es ergibt sich ein subtiler Kontext vor dem Hintergrund einer chaotischen aber nicht entseelten Welt, was die Sache noch schlimmer macht. Enttäuschte Liebe, unerfüllte Erwartungen, die Angst vor Einsamkeit und Tod sind in dieser Szene in traumatischer Weise auf den Punkt gebracht. "Wer dir heute nahe steht und wer heute dein Freund ist, kann morgen dein Feind sein.", sagt ein Polizist, den Eva (Dafna Rechter) in besagtem Ambiente flüchtig kennengelernt hatte, zu ihr, als sie verhaftet werden sollÊ... Mehrmals fällt das Wort von den Genen und Hormonen, die ihr Recht scheinbar einholen ohne die Zustimmung der Protagonisten. Es klingt auch etwas nach Dawkins ("Das egoistische Gen"), als Eva ihrem Mann im Zorn sagt: "Ihr Schwänze seid doch alle gleich [...] auch du bist nur ein Stück Statistik [...] das ist die Wahrheit der Wissenschaft." Alles läuft aus dem Ruder. Erst noch harmlos: die Chefin will Eva keinen Lohn zahlen. Ein früherer Geliebter taucht auf, der Ehemann verschwindet zu einer ebenfalls verheirateten Nymphomanin, ein vernachlässigtes Kind, Katastrophenbilder im Fernsehen, aber nur ganz am Rand; Trunksucht, der Geliebte geht, komplizierte Zwischenmenschlichkeit, die Polizei ist die Unmoral, das Leben geht weiter, leicht und schwermütig zugleich. Wer kann da noch an ein "happy" oder gar ein "end" glauben?
Urban Feel (Israel 1998) Regie: Jonathan Sagall. Kamera: Dror Moreh. Darsteller: Dafna Rechter, Scharonn Alexander, Asi Levi, Jonatan Sagall, Ziv Baruch, Shmil Ben-Air, Tchiya Danon, Alon Dahan, Zahi Dichner. 103 Min. Verleih: Urban Feel Productions
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