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Zeichentrickpornografie

Milan Kundera hat einmal behauptet: ”Bevor wir eine Sache vergessen, verarbeiten wir sie zu Kitsch.” Wenn diese Einschätzung für das Kulturgut ”Film” Richtigkeit hat, ist dessen Verkitschungsresultat sicherlich der Zeichentrickfilm. Police Academy, Beetlejuice, Alf und Die Ghostbusters sind nur einige der Spielfilme, von denen es mittlerweile Zeichentrickadaptionen gibt, welche die Vorlage ausbeuten, um eindimensionale Plots zu entwickeln, die die jüngste Generation vom Mitdenken abhält.
Mit der Pornografie und allen anderen Sex-Genres sieht es da schon etwas anders aus. Hier ist für die Verkitschung eher das Fernsehen (mit seinen Sexfilm-Endlossequels) zuständig. Die Zeichentrickumsetzungen nehmen eine andere Rolle ein: Sie enttarnen die Ideologie der Bilder, indem sie sie persiflierend nachahmen und überbieten.
So dienen ”echte” Zeichentrickpornos, wie Don Pichote, Die Fickinger oder Schwanz der Vampire keineswegs der Lustentfachung im Zuschauer. Sie wirken vielmehr äußerst komisch und nicht selten albern. Die Albernheit ist dabei in einem solch überreizten Stadium, dass man sich fragt, welches geistige Entwicklungsstadium ihre Produzenten wohl durchlaufen haben mögen, als sie die Bilder zeichneten, die Plots entwarfen und die Kommentare dichteten.
Andererseits zeigen bereits die Titel den persiflierenden Charakter dieser Filme: Dornmöschen, Reinstecke Fuchs und Schwänzel & Gretel bedienen sich in ihren Sujets aus dem reichhaltigen Märchenfundus. Sie versexen dabei die Originalstoffe. Dabei wird natürlich immer mit einem Auge auf den Wiedererkennungswert der Geschichten geschielt, deren ”Pornografisierung” den erwachsenen Betrachter davon abhalten soll, zu denken, Zeichentrick sei nur etwas für Kinder. Obwohl die Ergebnisse dieser Bemühungen auf der Oberfläche dann oft unter die intellektuellen Ansprüche von Kleinstkindern sinken.
Die Bildsprache o. g. Filme ist viel eindeutiger als die realer Pornografie. Die Geschlechtsorgane, die im Pornofilm zum totalen Ersatz für deren Träger erwachsen, mutieren im Zeichentrickporno ins Groteske: Penisse, die nicht selten doppelt so groß wie deren Träger sind, Vaginas und Brüste, die mehr als zwei Drittel des weiblichen Körpers ausmachen. Und hierin liegt auch die o. g. Potenz ideologischer Dechiffrierung. In Schwanz der Vampire beispielsweise geistern blutsaugende Penisse durch ein Schloss - immer auf der Suche nach der Vagina. Einer der Protagonisten streitet sich mit seinem Phallus, dessen Träger ein ”Sexmuffel” ist und der sich deshalb von ihm ”trennen” will. Spätestens hier zeigt sich das Kalkül der Produzenten: Pornografie ist entgeistigte Sexualität und eine Schar trägerloser Geschlechtsorgane die Einwohnerschaft von Pornotopia.


Picha


Einer der Produzenten von Sex-Zeichentrick ist der französische Karikaturist Picha (alias J. P. Walravens). Obwohl eigentlich alle seine Filme auch pornografische Szenen enthalten, zeigen sie doch wesentliche Unterschiede zu den typischen Vertretern der Zeichentrickpornografie.
Mit ein wenig Glück findet man seine drei Produktionen Tarzoon - Schande des Dschungels (Tarzoon - Honte de la Jungle, 1977), O - Das fehlende Glied (La chainon maquant, 1979) und Der große Knall (The big bang, 1984-87) noch in den Videotheken. Pichas Filme zeichnen sich durch wesentlich subtilere Persiflierung verschiedenster Filmgenres und Filme aus: So finden die Tarzanfilme in Tarzoon und die Doomsdayfilme in Der große Knall die konsequente Veralberung ihrer Klischees. Das gelungenste Werk stellt jedoch O - Das fehlende Glied dar. Ein ”Steinzeit-Film” á la Als die Frauen noch Schwänze hatten, der sich reichlich in der Schatzkiste der Filmgeschichte bedient und dabei von 2001 bis DeMills Zehn Gebote allerhand durch den Kakao zu ziehen weiß.
Pichas Sexzeichentrick verfügt dabei immer über genug Souveränität, eine eigenständige Geschichte zu erzählen und erst auf einer zweiten Ebene (quasi ganz nebenher wie bei den Simpsons) dem Cineasten Anspielungen zu liefern. Das Groteske entfaltet sich jedoch bei Picha wie bei üblichen Zeichentrickpornos in der Quantität. So wird der Dschungel in Tarzoon etwa von einer zwölfbrüstigen Diktatorin beherrscht und im großen Knall ”hunderd-tausende Liter von Hitlersperma mit japanischen Kleinwagen gekreuzt” (Zitat: Big Bang), um eine Armee “Sieg heil”-rufender Kampfroboter herzustellen. Die Penisse in Tarzoon ähneln ebenso nicht ohne Zufall deutschen Wehrmachtssoldaten des zweiten Weltkriegs ... französischer Humor eben.


Mangas


Eine sehr populäre Gruppe von ”Zeichentrickfilmen für große Kinder” stellen die japanischen Mangas dar. Mittlerweile besitzt jede Videothek eine Phalanx solcher Filme, die von Kultklassikern wie Akira oder Ghost in the shell bis hin zu mittlerweile indizierter Hardcore wie Cool Devices reichen.
Typisch für das Manga-Genre ist vor allem seine typische Grafik. Sie kennen wir noch alle aus Zeichentrickfilmen wie Heidi und die Die Biene Maja: Große Augen, kleine Münder, betont ”europäische Züge” (wie man sie nirgends in Europa findet, die Zeichner sie aber vermuten).
In den Mangas ist besonders die Mischung aus Sexualität und Gewalt virulent. Nicht wenige der Streifen standen bereits im staatsanwaltlichen Kreuzfeuer (§ 184, StGB). Und so sind die Fantasien der Cool-Devices-Serie eigentlich kaum zu ertragen. Da reiht sich Vergewaltigung an Vergewaltigung, Mord und Qual für die Zeichentrick-Frauen, gelebter Sadismus und Verhöhnung bei den gezeichneten Männern. Die Typisierung der männlichen Figuren betont deren ”Heldencharakter”, sich die Frau gewalttätig Untertan gemacht zu haben. Jene wiederum vereint kindliche Gesichtszüge mit überbordend weiblicher Körperlichkeit. Die Pädophilie, die den Mangas innewohnt, ist sicherlich nicht latent und stellt - will man den Sexdokus über das Land der aufgehenden Sonne glauben - eine Art Volkssport dar.
Mangas wie Akira heben sich von diesen Produktionen allenfalls insofern ab, als gewalttätige Szenen Sexszenen qualitativ und quantitativ übertreffen. Der Versuch, Action-Erotik für Erwachsene zu schaffen, mag hinter diesen Produktionen stehen; deren Ästhetik spricht jedoch eine andere Sprache.


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Mangas, Zeichentricksex– und pornofilme sind ein besonders kleines aber auch besonders interessantes Subgenre innerhalb des Porno- und Sexfilms. Durch ihre Ästhetik der Vergrößerung und Vergröberung verdeutlichen sie Tendenzen des Genres (dies sollte man jedoch nicht überbewerten: Die Primitivität dieser Streifen ist oft akut). Genremixes sind aber auch immer dazu geeignet, Reflexionen in beide Richtungen zu betreiben: Hier das Zeichentrickhafte der Pornografie, dort das Pornografische (oder zumindest: das Sexuelle) der Märchen und Zeichentricksujets.
Das Studentenkino im Wintersemester 1999 widmet sich zu einem Teil den hier besprochenen Filmen und versucht, sie in die Geschichte und Diskurse des Zeichentrickfilms einzubetten.


[Stefan Höltgen]