Mein
Videorecorder will das nicht. Mein geborgter Videorecorder bestreikt den geborgten
Film. Diesen fremden Film an diesem Samstag irgendwann zwischen nachlassender
Hitze und identitätslos-spätem Nachmittag. Statt der erwarteten saftig-fleischigen
Bilder visuelle Trümmer von flackernden Menschenakten und darüber
ein hektischer Schleier weißen Rauschens im Duell mit avantgardistischer
Ton-Unruhe. Gelegentlich verzerrte, schnarrend eindringende Geräusche.
Entstöhntes Stöhnen und Stimmen wie im Heliumrausch.
Also kein fetter Film, keine Pornografie in Reinkultur, keine authentische Übersetzung
um Lust bemühter Koitusdarsteller. Also Porno in Spurenelementen, und die
Bildfolgen am Monitor wie die ersten Versuche eines Videokünstlers mit
moralischer Ambition: Die Wirklichkeit von Filtern zerfressen, Dissoziation,
Inkompatibilität der Systeme Mensch und Restwelt.
Doch zum Film zurück, der jetzt läuft und Anonyme Nymphomaninnen heißt
und wo, wie ein Untertitel bedeutungsvoll verkündet, der Vorname
genügt. Die erste Reduzierung, wie erwartet. Um die erwartbar kurzen bekleideten
Szenen nicht zu langweilig werden zu lassen (die forward-Taste in weiter Ferne),
vaginiert appetizend ein strammer Schaft senkrecht in meinen Fernseher hinein.
Das Ding im Pornokontext sagt man das Ding hat auf der Portable-Mattscheibe
normale Proportionen, das beruhigt dann doch schon mal. Das Ziel des rhythmischen
Stoßens ist eindeutig: Weiblich, weich, unten. Mehr ist nicht zu erkennen.
Und keine Assoziationen.
Die Handlung
ist zu erahnen: In anonymer Therapierunde erzählen Frauen unterschiedlicher
Busengröße ihre vorgeblich belastenden Hard-core-Amourösen.
Und am Ende wird es nach scheinbarer Heilung einen fatalen Sturm auf den Therapeuten
geben.
Jetzt kommen sie einzeln zur Sündenbeichte, die Vornamen, die genügen
sollen. Zu den drei Nadines, die ich flüchtig kenne, gesellt sich eine
weitere. (Zwischenschub: Analer Handschub). Eine Manila erinnert an Nachrichten
von den Philippinen. Sechs Namen schließlich für Sex-Szenen
was für eine billige Zahlenmystik.
Nicht viel wertvoller die Idee für den ersten Clip. Ein Günther-Wallraff-alias-Ali-Klempner
stampft sich im Badezimmer mit einer der Gattung Lolita. Ziemlich schnell zeigen
sie ziemlich viel von dem, was unterleibig machbar ist. Dazwischen wohldosierte
Exkurse in den Bereich des Mundes. In all dieser forcierten Nähe nicht
ein Moment der Annäherung. Zur Versuchsanordnung fehlt eigentlich nur noch
jemand, der nachschmiert.
Die koitalen Komplexe enden am Grund der Duschwanne, mit dem Finger der Frau
zwischen ihren eigenen Beinen. Keine Pointe. Vielleicht ist es ja das.
Nicht
die Spur von Ungewöhnlichkeit auch in der nächsten Sequenz. Ein lustsuchendes
Mollchen (Daniela?) im Fitnessstudio. Ich gehe dahin, um mich in Form zu halten,
sagt sie, bevor sie sich an den Ablauf dieser Nymphomanie erinnert. Im Kontext
ihres Körpers, der mich an die Ananasmelone von heute vormittag erinnert,
ein relativer Sarkasmus. Vielleicht mag sie ja Monty Python.
Ihre Beine hat sie schon mal breit auf der Hantelbank nicht breit genug,
wie sich herausstellt. ER kommt und packt sie aus und zeigt ihr die richtigen
Bewegungen. Mütterlich wärmt sie SEINEN dafür an ihrem Busen,
welcher bei diverser Akrobatik in doch beachtliche Wallungen gerät. Dass
die Wirklichkeit ausgeblendet wird, weil der Exzess am hellen Tag an einem stark
frequentierten Ort geschieht und niemand kommt (außer einer vom Studiosex
profitierenden Masturbantin), ist sogar in Ordnung. ER kommt richtig in Fahrt
und vor ihrem Gesicht zum Orgasmus und echtes Sperma also; keine Eiweißpampe
aus dem Off. Ich freue mich für ihn.
Trotzdem spule ich weiter und esse meine letzte Knusperreisscheibe. Alles hier
ist einleitungslos, nur Verlauf, und der Orgasmus die Peripetie zu keiner Handlung.
Manchmal ergeben die Großaufnahmen recht schöne Geometrien.
Exkurs: Pornografie. Das klingt griechisch. Doch griechisch klingt in diesem
Kontext schon wieder gar nicht griechisch. Und ein Kamasutra blättert sich
auf, und zwei Körper schmiegen sich unorthodox aneinander und Ariadne wird
zu einer kleinen miesen Sadistin, die ihren Theseus auf ein Männerspiel
in die Dunkelkammer des Minotaurus schickt.
Pornografie.
Es geht um die Nacktheit: Pornografische Körper begegnen einander in medizinischer
Distanz. Der Mensch ist, was die Gefühle betrifft, außer sich. Das
Lustzentrum, das sich vielleicht regt, wird betäubt. Am Set denkt sicher
immer irgend jemand an einen Kühlschrank. Oder, vielleicht gibt es das
ja, an die nächste Pirouette, einen Hüftumschwung oder den perfekten
Spagat. Das Mechanistische der Pornografie ist bekannt. Die Ausüben-den
der observierten Geschlechts-akte sind Maschinen des Sports, festgelegt auf
einige herausragende Techniken. Der Mensch ein wandelnder Unterleib.
Jeder Porno reduziert den Menschen auf periphere Körperteile, gruppiert
Zwischenmenschlichkeit um einige Körper-öffnungen. Im Nahkampf der
Kamera(s) wird die Vagina zum Nabel der Welt. Und nur der Vollzug des überhaupt
Möglichen zählt.
Ja, das Reich des Expliziten. Rasterbilder. Die Fitnessstudiofolgeszene hat
das selbe Finale wie der Fick zuvor, die danach widmet sich wenigstens ein wenig
ausführlicher dem Französischen. Eingeschoben ein fast groteskes Selbsbefriedigungstriple
auf der Therapeutentoilette. Folgend eine abgedroschen-plumpe Doktorszene, an
der eben nur der Kontext neu ist. Nicht ein bisschen Illusion, nur ekliges Draufhalten,
Vergrößern, bis der Konsument mit seinen lokalen Befriedigungen zu
Hause ist. Scheiße.
Aus der
Küche unter mir stinkt es herauf. Die Vermieterin scheint wieder Pansen
zu kochen. Passt ja.
Die WG sieht nebenan fern und hält mich trotz der rosig-feuchten Hektik
vor mir für normal. Auf dem Küchenboden wälzt sich der Kater
(schwarz-weiß). Er, Kastrat, schaut mich fast fragend an.
[Marian Dierksen]
(anonymer Nymphomane)