Wie das Auge des Conquistador vermisst die Kamera den Amazonasdschungel
im Vorbeifahren. Sie belichtet ihr Material mit den Bildern des Urwalds, wie
die Eroberer die weißen Flecken auf ihren Landkarten mit ihrem neuen Besitz
belichteten und füllten. Unser Land ist jetzt schon gut
sechsmal größer als Spanien und jeder Tag unterwegs macht es gewaltiger,
sagt Fernando de Guzman in Werner Herzogs Aguirre, der Zorn Gottes, während
die Kamera unentwegt die Bilder von Guzmans zukünftigem grünen Grab
abfilmt.
Thomas Mauch heißt der Kameramann, der für Herzog die Bilder des
Dschungels eingefangen hat. Mauch, der am 4. April 1937 in Heidenheim (am Brenz
in der Nähe von Ulm) geboren wurde, arbeitet seit dem Film Auch Zwerge
haben klein angefangen (1968) mit Herzog zusammen. Immer wieder sind es Stoffe,
bei denen Herzog Abenteuer und einen dokumentarischen Blick benötigt, zu
denen er Thomas Mauch verpflichtet.
So auch Stroszek von 1977. Der Film erzählt die Geschichte dreier gescheiterten
Biografien, die sich zusammentun, um in Amerika noch einmal ganz von vorn anzufangen.
Detailliert wird das Unglück geschildert und bebildert, dass der entlassene
Sträfling Bruno Stroszek (Bruno S.), die Prostituierte Eva (Eva Mattes)
und der verwirrte Rentner Herr Scheitz (Clemes Scheitz) erleben. Dass Herzog
versucht, reale Elemente mit fiktionalen zu verbinden, deutet schon die Namenswahl
der Charaktere an. In den USA sucht er sich als Schauplatz den Ort Plainfield
(in Wisconsin), den er kurzerhand in Railroad Flats umbenennt. Auch
dieses 600-Seelen-Kaff hat Herzog nicht aufs Geratewohl gewählt. Es ist
die Heimat des Serienmörders und Nekrophilen Ed Gein, der in den 50er Jahren
Amerika mit seinen Möbeln aus Leichenteilen, Anzügen aus Frauenhaut
und fachmännisch tranchierten Menschenkörpern geschockt hat. (Filme
wie TCM, Psycho und Das Schweigen der Lämmer beruhen auf diesem Fall).
Herzog nutzt die Atmosphäre des Ortes, um seine drei Helden abermals scheitern
zu lassen, jedoch diesmal vollends. Während Eva, die als einzige der drei
Englisch spricht, sich wieder prostituiert und mit einem Trucker durchbrennt,
Bruno und Scheitz einen Friseurladen überfallen, Scheitz daraufhin verhaftet
wird und Bruno sich mit einer Flinte in den Kopf schießt, erzählt
die Kamera uns diese Geschichte wie einen Dokumentarfilm. Erst dieser Abstand
zum Geschehen, der auf einer Seite Authentizität suggeriert, sich auf der
anderen Seite jedoch weigert, in die übliche filmische Erzählstrategie
einzureihen und so den Spielfilm an den Dokumentarfilm verrät;
erst dieser Abstand verdeutlicht das Scheitern von Herzogs Titanen.
Den Höhepunkt der Zusammenarbeit von Herzog und Mauch bezeichnet sicherlich
der 1982 nach viereinhalbjähriger Drehzeit entstandene Fitzcarraldo. Herzog
entschied sich für Mauch als Kameramann, denn der hat irgendwo etwas
Vitaleres und Lebendigeres bei dieser Art von Filmen. Und obwohl die lange
Drehzeit und die Gefahren durchaus bekannt waren, ließ Mauch sich auf
das Abenteuer ein. Waren Mauch und Herzog schon bei Aguirre, ihrem ersten Dschungelfilm,
in heikle Situationen geraten, so verzeichnete der Dreh diesmal Tote und Verletzte.
Mauch erwischte es selbst: Der Mauch wurde ziemlich verletzt bei dieser
Geschichte, wo wir mit dem Schiff durch die Stromschnellen gefahren sind. Als
wir den fürchterlichen Aufprall auf den Felsen hatten, da ist tatsächlich
die Optik wie ein Geschoß erstmal davongeflogen und wir hinterher, so
sechs, sieben Meter durch die Luft, und die 23/24 kg schwere Kamera, mit der
hier aus der Hand gefilmt wurde. Die Kamera ist mit Mauchs Hand auf Deck aufgeschlagen,
und er hatte die Hand auseinandergespalten, zwischen dem letzten und dem vorletzten
Finger. [...] Es gab also keine Anästhesie mehr, und der Mauch mußte
zweieinhalb Stunden operiert und zusammengenäht werden. Wir operierten
ihn an der Hand ganz ohne Anästhesie.
Die Szene von Bord aus zu filmen, wurde allerdings von Mauch selbst vorgeschlagen.
So sagt Herzog: Thomas Mauch übrigens hat mich damals sehr gedrängt,
Machen wir das!. Angesichts der Bilder kann man sich kaum
zurückhalten zu sagen, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Handeln
Herzogs Filme allesamt vom Scheitern seiner oft genug größenwahnsinnigen
Helden, so bildet Fitzcarraldo einen Höhepunkt. Und dieses Scheitern dokumentieren
die Bilder mehr noch als der Plot. Der bewusste Einsatz von Handkamera, kaum
Schwenks, lange Szenen, die nichts als Agonie bebildern: Das alles verbündet
den Zuschauer mit den Protagonisten und lässt ihn deren Untergang hautnah
miterleben.
Mauch, der an fast 70 Filmen mitgearbeitet hat, begann seine Zusammenarbeit
mit Alexander Kluge. Dessen Realitätsfunktion, die den Filmen
ihren Charakter gibt, wäre ohne Mauchs Kamera kaum denkbar. In Abschied
von Gestern z. B. gehen der Ton (der oft fast unverständlicher O-Ton ist),
der Schnitt (von Beate Mainka, die später ebenfalls zu Herzog übergelaufen
ist) und die Bilder samt ihrer Bewegung eine Symbiose ein, die die Wirkung des
Films ausmacht. Auch hier ist es die Geschichte eines Scheiterns. Aber noch
mehr als bei Herzog wird das Fiktionale in den Hintergrund gedrängt. Kluge
benötigt nicht den Dschungel, das fremde Land oder den unbezwingbaren Berg,
um seine Protagonistin zu zerstören. Er lässt sie einfach aus der
DDR fliehen und konfrontiert sie mit der westdeutschen Moral der 60er Jahre.
So fassen die Gespräche zwischen dem Richter und Anita G. deren Situation
immer wieder zusammen. Diese Szenen sind dann die dokumentarischsten des Films:
Die Kamera ist völlig passiv, der (Gespächs-)Ton kaum noch zu verstehen.
Das Bild fast immer over-shoulder.
Mauch machte als Kameramann eine Entwicklung durch wie viele seiner Kollegen.
Er wechselte auf den Regiestuhl (Maria von den Sternen, 1989), versuchte sich
an Spezialeffekten (Es ist nicht leicht ein Gott zu sein, 1989) und gründete
1990 die Filmproduktion Thomas Mauch. Seine Arbeit beim Neuen
Deutschen Film von 1965 bis in die 80er Jahre hinein hat sicherlich ein
Wesentliches zu dessen Ausdrucksformen und Vielfalt beigetragen. Mauchs bislang
letzte Arbeit an Sweet Barrett (1998) belegt die Analogie zur Entwicklung deutscher
Kameramänner aus der Zeit des Neuen Deutschen Films: Auch Mauch hat mittlerweile
Deutschland verlassen und ist filmisch in die USA ausgewandert.
[Stefan Höltgen]
(Zitate: Werner Herzog in Bamberg. Protokoll einer Diskussion. Bamberg 1986.)