Sexualität und Wa(h)rheit

Ein Interview mit Lilo Wanders

frame25: Wie sind Sie zu “Wa(h)re Liebe“ gekommen?
Lilo Wanders: Ich hatte knapp vier Jahre lang sehr erfolgreich mit Marlene Jaschke und "Herrn Schmidt" zusammen die "Schmidt-Mitternachts-Show" auf N3 moderiert, eine Show, die in allen dritten Programmen (außer in Bayern) gesendet wurde. Wir beschlossen aufzuhören, weil uns nichts Neues mehr einfiel - ein Novum in der Fernsehlandschaft - und ich war in den Endproben für ein Theaterstück, als mich ein Redakteur anrief und mir die Moderation einer Sendung zur Sexualität anbot. Ohne meinen Regisseur davon zu unterrichten, sagte ich nach einigem Zögern zu. Am nächsten Tag fuhr ich ins Studio. Ich wurde unter Champagner gesetzt, man brachte mich mit Dolly Buster, die mir nicht mal dem Namen nach bekannt war, in ein Studio, die Türen wurden verriegelt und ich hatte einen neuen Beruf.

frame25: Wir konsultieren Sie als Fachfrau für Sexualität. Sehen Sie “Wa(h)re Liebe“ als eine Art ”Dr. Sommer-Team” für erwachsene Fernsehzuschauer?
Lilo Wanders: Nö, die Sendung soll unterhalten, amüsieren und kurzweilig sein. Wenn dabei allerdings dafür gesorgt wird, dass der Zuschauer / die Zuschauerin ein Stückchen Toleranz lernt und akzeptiert, dass es eine Vielfalt von Facetten der menschlichen Sexualität gibt und das auch in Ordnung ist, solange niemand zu etwas gezwungen wird, was er oder sie nicht tun möchte - ist doch Klasse!

frame25: (Warum) Denken Sie, dass Sendungen, wie “Wa(h)re Liebe“ aufklärerische Funktion haben?
Lilo Wanders: Ich meine schon, dass unsere Sendung aufklärerisch wirken kann. Wir bemühen uns, nicht pharisäerhaft vorzuführen und ich glaube, dass ich quasi als Garant dafür stehe, dass kein Gast in die Pfanne gehauen wird.

frame25: Wo würden Sie ihre Sendung im Verhältnis zu ähnlichen Programmen (”Peep”, ”liebe sünde”, ...) verorten? Liegen die Ansprüche dieser Sendungen in unterschiedlichen Bereichen?
Lilo Wanders: Wie gesagt, "Wa(h)re Liebe" ist eine Unterhaltungssendung. "liebe sünde" hat in meinen Augen eher einen aufklärerischen Anspruch, "Peep" liegt vielleicht irgendwo dazwischen ... ach, ich kann die Sendungen der Kollegen gar nicht richtig einschätzen, weil ich so selten reinschaue.

frame25: Wie schätzen Sie den Umgang mit Sexualität im öffentlichen Dirskurs ein?
Lilo Wanders: Ich denke, der Umgang mit Sexualität ist ständig in Bewegung; scheinbar nach vorne, in Richtung immer größerer Liberalität. Dabei wird die ganze Geschichte immer kommerzieller. Ich finde es wichtig, darauf hinzuweisen, dass dieser scheinbar lockere Umgang mit Sex oft verdeckt, dass die Sehnsucht der Menschen eigentlich auf Liebe zielt, gekoppelt mit einer erfüllten Sexualität. Natürlich kann man körperliche Befriedigung kaufen, locker mit dem Thema umgehen und versuchen, den seelischen Anteil zu vergessen. Aber es bleibt eben oft eine Leere. Ich kann meinen Hunger an einer Imbissbude stillen, aber ich kann auch ein Dinner zelebrieren. So ähnlich ist es eben in meinen Augen auch mit der Erotik und Sexualität. Nach dem schnellen "Hamburger" bleibt - jedenfalls für mich - eigentlich immer etwas Unbefriedigendes.

frame25: Auch wir sehen eine starke Diskrepanz zwischen dem sexuellen Verhalten und der vorgeblichen Offenheit, die angesichts des Themas ”Sexualität” auch durch Sendungen wie “Wa(h)re Liebe“ evoziert wird. Glauben Sie auch, dass ein antiproportionales Verhältnis zwischen ”darüber Reden” und ”Handeln” besteht?
Lilo Wanders: Ich glaube, dass zu einer liebevollen Sexualität auch Scheu und Scham gehören. Erst mit Vertrauen, der Gewissheit, dass mehr als sexueller Hunger befriedigt wird, können viele Menschen "schamlos" miteinander umgehen. Und wie wundervoll kann dann die Liebe sein. Nackt voreinander zu stehen, den ganzen Dreck an sich und dem anderen zu erkennen und sich trotzdem zu lieben ist das Größte! Aber so was muss man lernen, das fliegt nicht zu. Mancher Maulheld, der lockere Reden schwingt, kann hinreißend verlegen werden wenn man die richtigen Gefühlspunkte berührt.

frame25: Wie gehen Sie mit der Tatsache um, dass Sendungen wie “Wa(h)re Liebe“ hauptsächlich als ”Onaniervorlagen” angesehen werden und sich daher für die Programmgestalter der Sender rezipientenorientiert kaum von den Sexfilmen, die danach gesandt werden, unterscheiden?
Lilo Wanders: Ich glaube gar nicht, dass "solche Sendungen" unbedingt als Wichsvorlagen dienen. Natürlich ist die Vorstellung, dass vielleicht hunderttausend Männer wegen meiner Beine oder irgendwelcher Filmbeiträge masturbieren, ziemlich kurios, aber der Zuschauerpost entnehme ich auch, dass wir Anregung für Paare liefern, miteinander zu sprechen und ihre Bedürfnisse voreinander zu artikulieren. Und das ist doch nicht das Schlechteste, oder?

frame25: In ihrer Sendung “Wa(h)re Liebe“ berichten Sie häufig von Sex-Messen und Pornofestivals. Wie schätzen Sie die Entwicklung dieser Phänomene ein und zeigen diese Ihrer Ansicht nach den Weg in ein ”Pornotopia”?
Lilo Wanders: Natürlich scheinen die allüberall stattfindenden Messen und Festivals einen Weg zu weisen, der in eine übersexte Zukunft weist. Aber dort wie eigentlich überall geht es um Angebot und Nachfrage. Wenn es kein Interesse gäbe, würden diese knallhart kalkulierten Events auch nicht mehr stattfinden. Offensichtlich gibt es eben tatsächlich nebeneinander oder übereinander liegende Kulturen in unserer Gesellschaft. Und Sexualität offen und lustvoll zu leben, bietet eine Möglichkeit, den Ängsten und Zwängen zu entkommen. Kinder verlieren sich im Lego-Spiel, Erwachsene haben Sex. So what? Es gibt immer ein Interesse der Mächtigen, Sexualität zu unterdrücken, denn in diesem Bereich hat Macht nichts verloren.

frame25: Wie würden Sie Pornografie definieren und wie Erotik?
Lilo Wanders: Pornografie dient der Anregung und dem Kitzel, Erotik ist Sinnlichkeit und muss nicht unbedingt mit Sexualität zu tun haben.

frame25: Halten Sie Pornografie und Erotik für einen Widerspruch?
Lilo Wanders: Nein. Obwohl es kaum erotische Pornografie zu geben scheint.

frame25: Die pikanten Details, die in “Wa(h)re Liebe“ zu sehen sind, werden immer ”riskanter”. Oft scheint es, als geriete durch Zufall eine pornografische Szene in allen Einzelheiten ins Bild. Gibt es häufig Probleme mit der Zensur?
Lilo Wanders: Absurderweise hatten wir nur ein einziges Mal ein Problem. Absurd, weil ein Zuschauer ausgerechnet Anstoß nahm an einer Szene, wo im Bildvorder-grund jemand zum Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember interviewt wurde, während im Hintergrund mikroskopisch klein auf einem Bildschirm an einem echten Penis demonstriert wurde, wie man ein Kondom richtig überzieht. Ansonsten schwingt in der Frage eine Unterstellung mit, die ich zurückweise. Wir halten uns an das, was der Gesetzgeber vorgibt.

frame25: Es war doch in der Geschichte der Pornografie ein ständiges Grenzen erweitern: Man zeigt etwas und wenn die Zensur es nicht schneidet, kann man beim nächsten Film wieder ein bisschen mehr zeigen, usw. Wiederholt sich diese Tradition in Sendungen wie “Wa(h)re Liebe“ und findet die Pornografie jetzt in der Fernsehvermarktung ihren konsequenten Endpunkt?
Lilo Wanders: Sie können mir glauben, dass kein Fernsehmacher riskieren wird, mit dem Staatsanwalt in Konflikt zu geraten. Nichtsdestotrotz wird es sicherlich bald Pay-TV-Kanäle geben, wo Hardcorefilme laufen.

frame25: Nicht erst seit Alice Schwarzers ”PorNo-Kampagne” steht Pornografie im ”feministischen Kreuzfeuer”. In welcher Weise glauben Sie, trägt das Phänomen ”Porno” (positiv oder negativ) zum Geschlechterkonflikt bei und ist die Tatsache, dass in Sendungen wie “Wa(h)re Liebe“ auch zu einem gewissen Teil auf Wünsche von Frauen eingegangen wird (Berichte über Frauen Sex-Shops, u. ä.) als Versuch einer Schlichtung des o. g. Konflikts zu werten?
Lilo Wanders: Natürlich geht man oft davon aus, dass willenlose unbe-darfte Frauen und Mädchen in Pornos verheizt werden, ohne eigentlich zu wissen, was sie da tun. Und natürlich sind die Männer immer diejenigen, die ihren Spaß haben als Darsteller wie als Konsumenten. Das ist allerdings ein Trugschluss. Porno-grafie ist für die Darsteller und Darstellerinnen Arbeit, die respektiert gehört, und einige der erfolgreichsten Pornoproduzenten sind Frauen. Selbstverständlich setze ich mich dafür ein, dass jeder Mensch selbstbestimmt handelt! Und es gibt Huren, die sowas von selbstsicher und bewusst sind! Natürlich gibt es wie überall naive und dumme Menschen, die in etwas reinschliddern, dessen Folgen sie nicht absehen können. Das gilt für Männer wie für Frauen. Aber es steht niemandem zu, Bevormundung auszuüben, das ist die Fürsorgepflicht des 19. Jahrhunderts. Auch die Ansicht, Frauen hätten keinen Spaß an anregenden Artikeln oder erotischen Filmen, ist sicher nicht richtig. Heutzutage stellt sich heraus, dass manche Behauptungen, die einfach nicht zutreffen, aus einer Zeit stammen, als tatsächlich noch eine Unterdrückung stattfand. Früher wurde z.B. gerne behauptet, dass die Penisgröße für Frauen nicht relevant sei - heute stellt sich so eine Aussage als manchmal schonende Schutzbehauptung heraus, um den Mann nicht zu verletzen. Es gibt durchaus Frauen, die ein großes Kaliber bevorzugen - ebenso wie es welche gibt, für die die Größe tatsächlich keine Rolle spielt. Ich glaube an das Individuum und ein "Geschlechterkampf" findet meiner Meinung nach meist nur zwischen zwei Individuen statt.

frame25: Eine letzte Frage: Welchen Einfluss hätten Sie gern (durch Ihre Sendung) auf das Sexual- und Fernsehverhalten der Deutschen?
Lilo Wanders: Wenn wir mit unserer Sendung für mehr Toleranz ohne moralischen Zeigefinger sorgen - und ich bin davon überzeugt, dass wir das tun - dann ist das Hauptziel erreicht. Und ich selber möchte dafür sorgen, dass nicht alles bierernst genommen wird, was da in der Glotze läuft. Es gibt ein Leben (und Lieben) ohne Fernsehen!

frame25: Wir bedanken uns für das Interview, Frau Wanders.


[Stefan Höltgen]