Die Kamera als Federhalter

über den Kameramann Michael Ballhaus

 

Michael Ballhaus ist einer der produktivsten Kameramänner, nicht nur Deutschlands, sondern weltweit. Seit nunmehr 30 Jahren hat er sein Können in rund 80 Filmen unter Beweis gestellt. Dabei setzte er sowohl mit großen deutschen Filmautoren, wie Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff und Margarete von Trotta, als auch internationalen Regisseuren, wie Francis Ford Coppola, Martin Scorsese und Mike Nichols deren Geschichten in Bilder um.
Der Stil, den der 1935 geborene Berliner dabei an den Tag legte, differierte von Regisseur zu Regisseur und von Film zu Film. Und trotz der Arbeit in den verschiedensten Genres tritt sein visueller Ausdruck bei den Produktionen deutlich hervor. Die Kamera erzählt die Geschichte des Filmes auf ihre Art. Sie verdoppelt den Plot auf der Bildebene, strukturiert die Erzählung und versinnbildlicht die Beziehungen der Protagonisten zueinander.
Ballhaus‘ Kameraarbeit ist dabei zwar vor-, nicht aber aufdringlich: Wo sie bei den Filmen Fassbinders, deren Erzählung bisweilen ironisch untermalt (Die Ehe der Maria Braun) oder die Figuren in ihrer Weltsicht und Abhängigkeit entlarvt (Die Bitteren Tränen der Petra von Kant oder Martha), kann sie sich jedoch ebenso dezent im Hintergrund halten um so den Protagonisten Unterstützung zu liefern und die kleinen Helden (z. B. in Mutter Küsters Fahrt zum Himmel) groß werden zu lassen.
Werfen wir einen Blick auf Fassbinders Film Die bitteren Tränen der Petra von Kant von 1972. In der Filmfassung eines seiner Theater-Kammerspiele erzählt der Regisseur die Geschichte einer Dreiecksbeziehung. Petra von Kant (Margit Carstensen) ist eine erfolgreiche Modeschöpferin, die, von den Männern enttäuscht, ihr Unglück an der in sie verliebten Marlene (Irm Herrmann) auslässt. Als die junge und attraktive Karin (Hannah Schygulla) in Petras Leben tritt, entfacht sie in ihr neue Liebe. Noch mehr als zuvor leidet Marlene darunter: Sie muss nun beide bedienen und es gleichzeitig über sich ergehen lassen, wie eine Sklavin behandelt zu werden. Als Petra jedoch herausfindet, dass Karin sie mit einem Mann betrügt und sie hinauswirft, wendet sich das Blatt auch für Marlene.
Ballhaus schafft es, indem er das Filmbild immer wieder aufteilt - sei es durch Fachwerkbalken, spanische Wände oder die Stellung der Protagonistinnen zueinander - die Klaustrophobie der Figuren zu visualisieren und auf den Rezipienten zu übertragen. Die emotionale Stellung der Frauen zueinander findet ihre Entsprechung in deren Plazierung im Filmbild: Die changierende Hierarchie “Petra - Karin - Marlene” wird doppelt verwirklicht: In der Schichtung des Bildes, in der die Figuren immer wieder um den (räumlichen) Vordergrund kämpfen und dessen horizontaler Segmentierung, in der Petra zunächst über Marlene triumphiert, die fast immer im Hinter
grund und unterhalb Petras gezeigt wird (oft noch durch eine Bildtrennung mittels Balken verstärkt). Zum Ende hin ist es Petra selbst, die “am Boden” zerstört ist. Sie liegt krank und schwach zunächst auf dem Teppich, dann im Bett. Marlene emanzipiert sich endlich von ihr und verlässt sie.
Ballhaus arbeitete an zwölf Filmen in Fassbinders Team mit. Nach dessen Tod 1982 begann er eine intensivere Zusammenarbeit mit amerikanischen Regisseuren. Zu den hier kontinuierlichsten Beziehungen gehört die mit Martin Scorsese. Seit Zeit nach Mitternacht (1985) hat Ballhaus fünf Mal für den New Yorker Independent-Regisseur hinter der Kamera gestanden. Allerdings sind die Produkte dieser Zusammenarbeit eher durch ihre Unauffälligkeit geprägt. Die Bewegung in den Bildern von The last temptaion of Christ (1988) ist fließend. Nichts ist hektisch. Es scheint eher so, als begleite die Kamera (und damit der Betrachter des Films) die Jesusfigur, als dass er mit distanziertem Blick auf sie schaute. Und gerade in den Augenblicken, wo die Erzählung am gewagtesten ist, in der Wüsten-Szene, als Jesus seine Jünger auf den neuen Weg “des Schwertes” einschwört, oder nachdem er von seinem Engel befreit, vom Kreuz herabsteigt, ist die Empathie, die die Bilder evozieren, am stärksten. Hier scheint es eher die Diskrepanz zwischen der Erzählung und Beschreibung zu sein, die den Film auszeichnet und die die Arbeit Ballhaus‘ zu etwas besonderem macht.
Unerwähnt bleiben dürfen auch nicht die zahlreichen Mainstream-Produktionen, an denen Ballhaus seit den 80er Jahren beteiligt war. Denn gerade seine Kameraarbeit ist es, die Filmen wie Dirty rotten scoundrels (1988), What about Bob? (1991) sowie den Fehltritten Wolfgang Petersens Outbreak (1995) und Air Force One (1997) oft noch zur Ehrenrettung verhilft. Outbreak lebt geradezu von den rasanten Einstellungen aus den Helikoptern, der Steadycam im Kino (wo die ersten Infektionen stattfinden) und im Klimasystem des Krankenhauses.
Wie bei so vielen Kreativen mit hohem Output besteht eine eigenartige Diskrepanz zwischen der Qualität ihrer Arbeit und Anerkennung in Form von Auszeichnungen dafür. 1989 bekam er für seine Arbeit an Steve Kloves‘ The fabulous Baker Boys den Oscar. Und Michael Ballhaus ist nach wie vor gefragt. Nur noch selten allerdings hält er sich in Deutschland auf. Zu seinen “Auftritten” hier zählte z. B. die Seminarleitung an der Münchner Filmhochschule im letzten Jahr.

[Stefan Höltgen]