frame 25: Frau Scherer, was machen Sie im Augenblick beruflich?
Brigitte Scherer: Ich bin bei RTL Redakteurin in der strategischen Programmentwicklung.
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Nebenbei arbeiten sie auch als Dozentin?
B. S.: Seit ich angefangen habe an meiner Doktorarbeit zu schreiben, gebe ich
auch Seminare, meist über Frauen- und Männerbilder in amerikanischen Serien.
Regelmäßig unterrichte ich derzeit an der Hochschule für Film und Fernsehen
in München.
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Besonders intensiv haben Sie sich mit der amerikanischen Fernsehserie "Magnum"
beschäftigt. Warum wählten Sie diese Serie für ihre Studien aus?
B. S.: Bei "Magnum" sah ich den Pilotfilm, und fand ihn ganz schrecklich. Ich
konnte den Typen nicht ausstehen, habe die Geschichte nicht verstanden und die
Serie nicht weiter verfolgt, bis eine Freundin mir sagte, dass "Magnum" wirklich
witzig und dieser Typ gar nicht so ein Macho wäre. Ich stieg daraufhin wieder
in die Serie ein und bemerkte die Qualitäten von "Magnum".
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Ein exotischer Schauplatz (Hawaii, Anm. d. R.) und eine attraktive Hauptfigur,
Thomas Magnum wird von Tom Selleck gespielt, garantieren aber noch keinen Erfolg.
B. S.: Das wichtigste, was einen Publikumserfolg ausmacht, ist die Beziehung,
die der Zuschauer zu dem Serienhelden aufbaut. Genauso wie bei guten Freunden,
treffe ich meinen Serienhelden jede Woche. Er hat vielleicht nicht die neuesten
Geschichten zu erzählen und auch nicht die witzigsten, aber es ist ungeheuer
angenehm, mit ihm zusammen zu sein, und deswegen will ich ihn auch jede Woche
wiedersehen.
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"Magnum" ist kein klassisches Whodunnit. Wie ist die Serie aufgebaut?
B. S.: Nicht die Lösung des Krimi-Rätsels steht bei "Magnum" im Vordergrund,
sondern die Beziehung des Privatdetektivs zu seinem Klienten. Es taucht zwar
jemand bei Thomas Magnum auf, der ihn mit einem Fall beauftragt, aber das eigentliche
Problem ist nicht den Bösen zu finden, sondern mit dem Klienten umzugehen, der
ihm immer irgendetwas verschweigt. Und außer der Beziehung zum Klienten, gibt
es die Beziehung der vier Hauptfiguren untereinander, die zum Erfolg der Serie
maßgeblich beitrugen. Neben Thomas Magnum agieren Sergeant Major Higgins und
Magnums Freunde Rick und T.C.
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Gibt es auch Folgen, die völlig auf das Krimi-Rätsel verzichten?
B. S.: Hier genannt sei die Episode, "Home from the Sea", die uns, dem Zuschauer
eigentlich nur erzählt, dass Magnum am 4. Juli mit seinem Surfbrett hinaus aufs
Meer geht, herunterfällt und um sein Leben schwimmen muss. Dabei erinnert er
sich an seinen Vater und seine große Liebe. Dazwischen geschnitten sieht man,
wie Magnums Freunde auf seltsame Weise, quasi übersinnlich, erfahren, dass er
in Gefahr ist. Diese Folge behandelt vergangene und gegenwärtige Beziehungen
des Privatdetektivs. Vom Krimi fehlt jegliche Spur.
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Sie führten verschiedene Interviews mit dem "Magnum"-Produzenten,
Donald P. Bellisario. Was sagte
er denn zur Ausgangsidee der Serie?
B. S.: Zunächst gab es eine abgesetzte Serie namens "Hawaii 5-O". Der Fernsehsender
CBS hatte einen freien Sendeplatz und suchte eine neue Serie. Die Verantwortlichen
fragten den damals bekanntesten Serien-Erfinder Glen A. Larson, ob ihm denn
eine Serie einfällt, wenn möglich auf Tom Selleck zugeschnitten, mit dem CBS
sowieso einen Vertrag hatte. Larson fiel auch etwas ein, nur erinnerte sein
Konzept leider sehr an die James-Bond-Filme: Ein Macho mit mehreren Frauen in
jeder Episode, ausgestattet mit High-Tech-Waffen, die er zur Lösung seiner Fälle
einsetzt. Weder CBS noch Selleck zeigten sich mit dieser Variante einverstanden,
und man fragte Bellisario, ob er nicht etwas ändern könnte. Er hat den Helden
dann mehr nach Tom Sellecks Persönlichkeit modelliert, ihm einen jungenhaften
Charakter gegeben und einen eher verspielten Zugang zum Leben.
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Hat sich denn nach Bellisarios Ausstieg 1984 an der Serie etwas geändert?
B. S.: Man merkt, dass Tom Sellecks Persönlichkeit und seine politischen Einstellungen
immer mehr in die Serie integriert wurden. Selleck gilt als sehr konservativ
und wollte damals auch vom Magnum-Image wegkommen und nicht mehr der verspielte
Charakter sein. Magnum bekam eine Tochter, seine totgeglaubte Frau kehrte zurück,
zwei sehr ernste Liebesgeschichten wurden eingebaut und es gab einige Veränderungen,
die die Inszenierung betrafen. Das Voice-Over, Magnums innere Stimme, gab es
am Ende der Serie nicht mehr.
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Horace Newcomb bezeichnete "Magnum" als eine anhäufende Erzählung,
eine Mischform aus dem Serial und der Episoden-Form. Können Sie das genauer
erklären?
B. S.: Man erfährt in einzelnen Episoden immer mehr Kleinigkeiten über den Helden,
die ihm im Verlauf der Serie eine Vergangenheit geben. Wenn Magnum in den späteren
Staffeln einer Frau begegnet, reicht ein bestimmter Blick aus, und der Zuschauer
weiß, dass er an seine Frau Michelle denkt. Aus früheren Folgen hat er diesen
geschichtlichen Hintergrund erfahren. Magnum ist also kein klassischer Serien-Held,
der in jeder Episode aus dem Nichts aufersteht, und sich völlig neu präsentiert.
Und man hat nur wirklich Vergnügen an der Serie, wenn die Vergangenheit des
Helden bekannt ist.
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Aufgrund falscher Synchronisation, nicht chronologischer Ausstrahlung und wechselnden
Sendeplätzen hat die ARD den Erfolg von "Magnum" hierzulande
etwas gebremst.
B. S.: Zu Zeiten, als die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten noch das Monopol
hatten, war es üblich, amerikanische Fernsehserien nicht vollständig auszustrahlen.
Man hat bestimmte Episoden weggelassen, die z. B. zu amerikanische Themen beinhalteten.
Bei "Magnum" wurden Folgen, die sich mit dem Vietnamkrieg auseinandersetzten,
mit der Begründung nicht gezeigt, dass ein so ernstes Thema wie Vietnam in einer
Unterhaltungsserie nichts zu suchen habe.
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"Magnum" ist eine Serie der 80-er Jahre. Was zeichnet sie denn als
solche aus?
B. S.: Typisch 80-er Jahre ist das Genre Action/Adventure. Krimis in den 90-er
Jahren sind wesentlich ernster, eher an das Drama angelehnt. Auch das Thema
Vietnam und das Helden-Team sind Merkmale der 80-er-Jahre-Serien.
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Der Trend ging in den letzten Jahren immer mehr zu deutschen Eigenproduktionen.
Inwieweit dienen amerikanische Serien als Vorbild?
B. S.: Vorbild ist übertrieben. Ich würde sagen, man schaut sich den erfolgreichsten
Fernsehmarkt der Welt an und versucht aus den Erfahrungen von dort zu lernen,
d.h. man analysiert, welche Serie in den USA gut läuft, wie man das auf den
deutschen Markt übertragen kann, ob das Serienformat überhaupt übertragbar ist.
Aus meiner Erfahrung bei RTL kann ich sagen, dass bei einer Serienentwicklung
versucht wird, wesentlich mehr Wert auf die Charaktere zu legen, die der eigentlichen
Geschichte übergeordnet werden.
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Sie konzipieren im Moment eine eigene Serie. Schufen Sie auch zuerst die Charaktere?
B. S.: Bei mir war es wirklich ein Zufallsprodukt, weil ich einmal bei der Serie
"Der Clown" im Story-Development gearbeitet und mir für eine Folge eine Geschichte
überlegt habe. Für eine Weiterbildung, die ich gerade mache, wollte ich ein
TV-Movie konzipieren, und griff auf die alte Geschichte zurück. Dazu brauchte
ich zwei Helden, die das Problem lösen. Und irgendwie erinnerten mich diese
beiden Helden an "Jack", ebenfalls eine Bellisario-Serie, "Das Modell und der
Schnüffler" oder "Remington Steele". Aber das kam mehr oder weniger unbewusst,
weil meine beiden Charaktere auf real existierenden Menschen basieren.
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Es wird also unbewusst kopiert, weil diejenigen, die für ein neues Konzept
verantwortlich sind, selbst Serienfans sind und einen eigenen Geschmack haben?
B. S.: Es ist nicht Kopieren im eigentlichen Sinn, ich würde es Evolution nennen.
Es entsteht nie etwas aus dem Nichts, sondern irgendetwas ist da, es wird verändert,
es verändert sich immer weiter, und schließlich ist aus der Mücke ein Elefant
geworden.
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Wie stellen Sie denn fest, was die Leute mögen?
B. S.: Soweit ich das bei RTL kennengelernt habe, werden Entscheidungen häufig
aus dem Bauch gefällt, welche aus Erfahrungen resultieren. Man fragt sich: Was
haben wir? Was läuft gut? Was würde ich selbst gern sehen?
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Müssen Serien denn nicht immer mehr durch extreme Inhalte auffallen, um
gute Quoten zu erzielen?
B. S.: Das läuft sich irgendwann tot. Man kann nicht Sensation auf Sensation
folgen lassen, um die Leute zu binden. Die Zuschauer können mit einer Sensation
einmalig angelockt, aber nicht gehalten werden.
frame 25: Im Mai erscheint ihre Dissertation "Thomas Magnum und die Frauen".
Was untersuchen Sie?
B. S.: Mein Ansatz war, dass bei "Magnum" in den USA anfangs sehr viele weibliche
Zuschauer zuschalteten, was für eine Action-Serie sehr überraschend ist. Gegen
Ende war "Magnum" eine Serie mit ausschließlich männlichem Publikum. Ich fragte
mich, welche Ursachen es dafür geben könnte und bin zu dem Schluss gekommen,
dass es nicht daran liegt, dass am Anfang vielleicht mehr Frauen für "Magnum"
Geschichten schrieben oder mehr Frauen in der Handlung auftraten. Der Grund
liegt tatsächlich in der Beziehung, die der Held zum Publikum aufbaut. In den
ersten Staffeln gibt es mittels der Voice-Over wirklich einen Protagonisten,
der mit den Zuschauern spricht. Am Ende der Serie entfielen diese Voice-Over
bzw. gab es Passagen, in welchen das Voice-Over aus Briefen an Magnums Tochter
bestand. Der Held wendete sich hier von den Zuschauern ab, um nur noch mit Seriencharakteren
zu sprechen. Und gerade die Bindung zum Helden, das Gefühl zu haben, eine Beziehung
zu ihm aufbauen zu können, ist für Frauen besonders wichtig. In diesem Punkt
unterscheiden sie sich von Männern, die eher auf den reinen Plot achten.
frame 25: Frau Scherer, ich bedanke mich für dieses Gespräch.
[RH]