Kurze Filme - Lange Weile

Über Steven Spielberg als Kurzfilmregisseur

Der Hollywood-Kurzfilm, so könnte man vergleichen, ist für das Kino (das Fernsehen) das, was das Märchen für die Literatur ist. Stellt letztere (nach Wilpert) eine "kürzere, volksläufig-unterhaltende Prosaerzählung von phantastisch-wunderbaren Begebenheiten und Zuständen aus freier Erfindung" dar, so ergibt sich für den Kurzfilm oft ein eben solcher Charakter. Zur Darstellung der phantastisch-wunderbaren Begebenheit kann der Kurzfilm sowohl die Erzählung als auch seine technischen Möglichkeiten (vor allem Spezialeffekte usw.) nutzen. Wie die vieler Regisseure, begann auch Steven Spielbergs Karriere mit dem Herstellen von Kurzfilmen und Serienbeiträgen (letztere finden in dieser Betrachtung allerdings keinen Eingang). Bis zu seinem filmischen "Durchbruch" 1975 mit Jaws zählte seine Filmografie nicht weniger als zwölf Kurzfilme und Serienfolgen. Darunter Teile schon damals profilierter Serien wie Columbo und Marcus Welby, M.D. Der "eigentliche" Filmstart begann für Spielberg 1968 mit seinem Kurzfilm Amblin'. Und schon damals manifestierte sich bei Spielberg eine bestimmte Erzählhaltung, die er erst in jüngerer Zeit mit seinen pseudo-historischen Monumentalepen wieder aufgeben sollte. Als "Entwicklungsdrama" ließe sich dieser Erzähltopos am ehesten umschreiben. Dabei geht es um Erlebnisse, die einen Markstein im Erwachsenwerden der jeweiligen (nicht immer kindlichen) Protagonisten bilden. Die typischen Probleme psychischer, oder gesellschaftlicher Natur bilden dabei den Kern der Filme, an denen sich der Charakter entwickelt und die er schließlich bewältigt. Das ganze wird abgeschlossen durch eine "Moral" - wie im Märchen. In Spielbergs Kurzfilmen präsentiert sich dieses "Motiv" genauso deutlich wie in den Langfilmen, jedoch in konzentrierterer Form. Breiten Spielbergs Filme etwa die Probleme über den Umgang mit dem Anderen (E.T.), das Problem des Vertrauens (Jaws) oder den Glauben an persönliche Ziele (Close Encounters of the 3rd Kind) in epischer Breite aus, so lässt er sich in seinen Kurzfilmen meist weniger als 20 Minuten Zeit, um dem Betrachter eine solche Moral zu unterbreiten. Das führt dann zu einer oft fast parabelhaft verdichteten Erzählweise mit nicht selten fragwürdiger Aussage. Im folgenden werde ich drei dieser Arbeiten exemplarisch unter die Lupe nehmen. Twilight Zone - The Movie: "Kick the can" (1982) In einem Altersheim, irgendeinem Altersheim - das suggeriert schon der austauschbare Name "Sunnyvale" - zieht ein neuer Bewohner ein: Mr. Bloom (Scatman Crothers). Dieser ist kein gewöhnlicher Senior, sondern einer mit einer Blechdose, welche wiederum magische Fähigkeiten besitzt. Eines Nachts erfüllt Bloom seinen greisen Mitbewohnern einen geheimen Wunsch: Sie werden wieder jung. Er wirft eine Dose auf den Boden, um mit ihnen ein Spiel zu spielen ("Kick the can") und plötzlich stehen die ehemals alten Leute als kleine Kinder in viel zu großen Klamotten vor ihm und beginnen auch sofort wie verrückt umherzutollen. Das Spiel ist jedoch von nicht allzu langer Dauer. Bald schon wollen die Kinder wieder Greise sein: Zu beschwerlich war vielen ihr Leben, als dass sie es noch einmal durchleben wollen oder sie wollen ihr Leben nicht ohne den bereits verstorbenen Partner noch einmal leben müssen oder sie wissen nicht, wer sich um sie kümmern wird usw. Scheinargumente, so könnte man meinen. Und schließlich lassen sich die Kinder - bis auf einen (den Peter-Pan-Typen unter ihnen), der später als Beleg für das Wunder herhalten muss - wieder zu alten Leuten zurück verwandeln. Bloom buttert dem Ganzen die Moral unter. Auf die Frage, warum er nicht auch wieder jung sein wolle, antwortet er (greis-weise): "Vor langer Zeit habe ich einmal herausgefunden, dass ich am liebsten so alt sein möchte, wie ich bin, aber meinen Verstand dabei jung halte." Ein solches Motto macht sich gut in jedem Poesiealbum und Spielberg garniert es dadurch, dass er die Rückverwandlung noch melodramatischer gestaltet, als vormals die Kindwerdung: John Williams' Streichorchester schwingt zur Hochstimmung an und Freude macht sich auf allen Gesichtern breit: endlich wieder Rheuma, aber mit "jungem frischen Geist", so ist man sich einig. Wahrhaft ein treffliches Lehrstück. Und weil es noch andere alte Menschen von den Vorzügen des Alterns im Altersheim zu überzeugen gilt, zieht Mr. Bloom am nächsten Morgen aus "Sunnyvale" aus und in "Driftwood" ein. Das Dosenspiel kann von neuem anheben. Die Frage nach dem Sinn solcher Einrichtungen wird zwar nicht gestellt, jedoch "wunderbar" beantwortet. Amazing Stories: "The Mission" (1985) In der zwei Jahre lang gesendeten TV-Serie Amazing Stories (die zwischen 1989 und 1992 in Deutschland auf Video als "Unglaubliche Geschichten" veröffentlicht wurde) findet Spielbergs Kurzfilmschaffen seinen vorläufigen Höhepunkt. Die allermeisten der 30 Folgen stammen aus seiner Feder und für etliche konnte er populäre Regisseure wie Martin Scorsese, Robert Zemeckis oder Peter Hayms verpflichten, die sich jedoch mit ihren Arbeiten nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben. Bei zwei Episoden nahm Spielberg selbst auf dem Regiestuhl Platz. Dreiundzwanzig Bombenangriffe hat die Crew bereits mit ihrem Glücksbringer-Bordschützen Johnathan (Casey Siemanonsco) geflogen. Weil der Captain (Kevin Costner) aus irgendeinem Grund etwas dagegen hat, dass irgendjemand 24 Einsätze fliegt, soll Jonathan nun nicht mit dabei sein. Die Mannschaft überredet den Captain schließlich doch und der todbringede Glücksbringer nimmt Position in der Gefechtskanzel unterhalb des Fluchzeugbauchs ein. Es kommt, wie es kommen muss: Beim Einsatz wird das Flugzeug getroffen. Ein deutscher Jagdbomber wird zerschossen (aha, wir befinden uns im zweiten Weltkrieg!) und dessen Motorblock bohrt sich in das Flugzeug unserer wackeren Helden. Dabei geht das Fahrgestell zu Bruch und Jonathans Ausgang aus der Gefechtskanzel verklemmt sich. Das heißt, dass das Flugzeug eine Bauchlandung machen muss, während der Schütze noch in der Kanzel sitzt, was dieser selbstverständlich nicht überleben kann. Man beratschlagt eine Weile was zu tun sei und einige Rettungsversuche schlagen fehl (ein Fallschirm, der in die Kuppel gereicht wird, zerreißt). Schließlich weiß niemand an Bord mehr weiter und man entschließt sich, den armen Teufel zu erschießen, um ihm den qualvollen Tod zu ersparen. Hier nun setzt das Spielberg'sche Wunder ein: Jonathan, der als begnadeter Comic-Zeichner schon das eine oder andere Mal seine Mitsoldaten durch lustige Bilder erheitert hat, malt ein Flugzeug mit neuem Fahrgestell und konzentriert sich ganz heftig - und zack: fährt das neue, gemalte Räderwerk aus dem Bauch des Flugzeugs heraus. Damit lässt sich's landen. Und wieder wird das Wunder begleitet von Williams' schmachtenden Orchestralhymnen. Eine phantastische, ja, unglaubliche Geschichte, die den Auftakt zur Serie bildet. Zwar stilsicher inszeniert, inklusive Gänsehaut-Effekt, zudem hervorragend gespielt vor allem von Kevin Costner und Kiefer Sutherland (dem Bordfunker, der schließlich Jonathans Henker werden soll), doch abermals mit fragwürdig fraglosem Inhalt. Der Kurzfilm ist wiederum Spielbergs Thema verpflichtet, apelliert er doch daran, dass die Feder häufiger mächtiger sein kann als die automatische Handfeuerwaffe. Getreu seiner kindlich-fantastischen Erzählungen lässt Spielberg auch hier das Gute gewinnen: Man soll die Hoffnung nie aufgeben, dann wird auch Jonathan (der Kind gebliebene Maschinengewehrschütze - welcher Junge träumte nicht davon?) gerettet. Dass der Krieg und das Soldatentum dabei ganz unkritisch unreflektiert bleiben, tritt vorerst (bis Saving Private Ryan) in den Hintergrund. Amazing Stories: "Ghost Train" (1985) Die kindliche Perspektive wird auch in der zweiten Regiearbeit Spielbergs für Amazing Stories (deutscher Videotitel dieser Folge: Weitere unglaubliche Geschichten) bewahrt. Wie in Kick the can berührt er den Aspekt des Altwerdens, hier jedoch in letzter Konsequenz: Um nichts geringeres als das Annehmen der eigenen Sterblichkeit dreht sich die Handlung von Ghost Train. Der Großvater (Robert Blossoms) besucht seinen Enkel Brian (Lukas Haas) und dessen Eltern. Sie wohnen in einem Haus, das jüngst in der Nähe der Stelle gebaut wurde, an welcher der Großvater vor 75 Jahren nur knapp einem Zugunglück entkommen ist. Nun ist dieser davon überzeugt, dass der Zug zurückkehren wird, um ihn endlich mitzunehmen, was er für seine Bestimmung hält. Die Eltern von Brian halten das für greis-verwirrtes Geschwätz und wollen nichts davon wissen. Sie befürchten, dass der alte Mann ihrem Sohn mit seinen Geschichten Angst einjagt. Und tatsächlich schenkt Brian dem Großvater Glauben und gerät in helle Panik, als er erfährt, dass der angekündigte Geisterzug direkt durch das neu gebaute Haus fahren wird - und das schon in der kommenden Nacht. Die notwendige Konsequenz daraus ist, dass Brians Eltern einen Arzt rufen, der dem alten Mann gegen seinen Willen ein Beruhigungsmittel spritzt, was jedoch dazu führt - so befürchtet nun Brian -, dass er den Zug verpasst. Des Nachts rauscht dann auch tatsächlich der angekündigte Geisterzug durch das Haus - oder besser mitten hinein. Die Eltern sind fassungslos und trauen ihren Augen nicht, Opa ist glücklich, weil er nun mitfahren darf und der Junge zunächst traurig: Sein Großvater hat ihm schon verraten, dass er nie wiederkehren wird, wenn der Zug ihn mitnimmt. Zum Abschied nimmt er Brian in den Arm und verspricht ihm: "Wir sehen uns in hundert Jahren wieder." Damit kann der Junge leben. Der Zug fährt ab, das Haus ist kaputt und der Kurzfilm zu Ende. Hatte Spielberg das Thema "Altern" in Kick the can ja bereits von seiner unschönsten Seite beleuchtet, stellt er nun mit Ghost Train den Tod - in gutchristlicher "Am-jüngsten-Tage-aber"-Manier - endgültig als Erlösung hin und bietet der kindlichen Perspektive einen Verarbeitungsmechanismus an, der das Problem des Sterbens gesellschaftlich konform verdrängen hilft. Über das reaktionäre Gedankengut hinaus, das sich in beiden Kurzfilmen ausbreitet, entwirft Spielberg hier eine Parabel über den Generationskonflikt: Die Erwachsenen (das hat sich schon in E.T. gezeigt) verstehen überhaupt nichts und eine heilige Allianz wird zwischen den ganz Alten und den ganz Jungen gebildet: Schließlich sind sie diejenigen, die an Wunder glauben dürfen und müssen. Die Betrachtung über solcherlei motivliche Metanarrationen ließe sich - wie gesagt - auf die übrigen Lang- und Kurzfilme ausdehnen und am Ende die erzählerische Haltung Steven Spielbergs recht klar umreißen. Aber Film besteht ja bekanntlich nicht nur aus erzählten Geschichten, sondern auch aus der Inszenierung derselben und deshalb lohnt es sich durchaus festzustellen, dass Spielberg als versierter Filmhandwerker seine Erzählungen in standardisierte Bilder gießt und sie damit jeder Altersgruppe und jeder Bildungsschicht schmackhaft macht. So fügen sich die Kurzfilme Spielbergs nahtlos in das Projekt Hollywoods ein, Aufklärung auf der Leinwand zu betreiben. Sei's nun die "Wahrheit über die Geschichte" (das hatte mit dem frühen Western begonnen und wird von Spielberg nun seit Schindler's List weitergeführt) oder die "Probleme der Adoleszenz", die sich in Spielbergs Filmen zwischen Jaws und Hook (1991) als erzählerisches Motiv entfalteten und seine Filme trotz der oberflächlich unterschiedlichsten Genres selbstähnlich werden ließen.

[Stefan Höltgen]