"Ach ja, ab Donnerstag läuft der Film Oi! Warning
bei uns, und am Freitag sind auch die beiden Regisseure da, die ihren Film vorstellen
wollen", erwähnte der Angestellte des Jenaer Capitol-Kinos beiläufig,
als man ihn nach dem Kinoprogramm für die folgende Woche fragte. Die Werbung
für dieses Ereignis hätte nicht minimalistischer und unauffälliger
ausfallen können. Nirgendwo in der Stadt und nicht einmal am Kino selbst
gab es Aushänge, die den Besuch der Filmemacher ankündigten. Dass
die Veranstaltung nicht um 22 Uhr, sondern bereits um 20 Uhr beginnen würde,
erfuhren die Capitol-Betreiber selbst aus der Zeitung. Nur gut, dass der Film
im Szenemilieu der Linksalternativen und Oi-Skins angesiedelt ist, und bei beiden
Subkulturen und potentiellen Zielgruppen des Films die Mundpropaganda bestens
funktioniert. Sonst wäre Oi! Warning vielleicht in einem leeren Kinosaal
gelaufen und die Regisseure, Ben und Dominik Reding, hätten mit den desinteressierten
Angestellten über Oi-Skins diskutieren können.
So aber
fanden sich am Abend des 10. November vergangenen Jahres Punks, Oi-Skins und
szenefremde Leute zu einem gemeinsamen Kinobesuch ein. Statt Dominik Reding
kam die Hauptdarstellerin des Films, Sandra Borgmann. Zu Beginn wies Regisseur
Ben Reding, bekennender Linker, die Zuschauer noch einmal darauf hin, das Oi!
Warning keineswegs vorhabe, für die Oi-Skin-Bewegung zu werben, sondern
kritisch Stellung zu dieser Szene beziehen möchte. Die anschließende
Vorführung von Oi! Warning verlief ohne nennenswerte Störungen, einzig
die homosexuelle Kussszene zwischen dem Punk Zottel und dem Skin Janosch sorgte
für Unmut und Zwischenrufe der Skins. Diskutiert wurde erst nach dem Film.
Die Diskussion erstarrte aber sehr schnell, da die Skins mit ihren oft sehr
einfach und polemisch formulierten Aussagen es nicht schafften, ihre Szene in
ein positiveres Licht zu setzen. Dabei war die Argumentation Ben Redings keineswegs
unantastbar und hätte leicht widerlegt werden können. Zu offensichtlich
zeigte sich seine Intoleranz gegenüber Gruppierungen, die nicht seine Ideologie
vertraten. Bereits dem Film merkte man auf Grund einiger stereotyper Charaktere
Vorurteile der Filmemacher an. Der Lehrer aus der Mittelschicht glich einem
perversen Sadisten, der streng gescheitelte Schüler, ein Dauermelder im
Unterricht, flog bei einer Party schnell in den Swimming-Pool. Eine Bestrafung
für seine Spießigkeit? Ben Reding bekannte, dass er während
seiner Schulzeit keine guten Erfahrungen mit Lehrern gemacht hat und Streber
nicht ausstehen kann. Die Diskussion endete, ohne wirklich begonnen zu haben.
Sicherlich wäre die Veranstaltung im Capitol-Kino in Vergessenheit geraten,
wenn es nicht die letzte der Oi! Warning-Promotion-Tour gewesen wäre. Ursprünglich
hatten die beiden Regisseure noch weitere Auftritte in Erfurt, Chemnitz, Neubrandenburg
und Greifswald geplant, die dann aber abgesagt wurden. Laut Zeitungsmeldungen
begründeten die Regisseure ihre Entscheidung damit, dass es in Jena zum
Eklat kam:
Rund 30 Skinheads störten im Anschluß an die Oi! Warning-Vorführung
und bedrohten die Macher, so dass die Diskussion unmöglich wurde. Gehören
jetzt auch Kinos zu den national befreiten Zonen...? (Spiegel
48/2000)
Wer an jenem Abend im Capitol war, wird diesen Spiegel-Artikel nicht bestätigen
können. Für all diejenigen stellt sich die Frage, woher der Bericht
seine Informationen bezieht, und warum nicht gründlich genug über
den angeblichen Vorfall recherchiert wurde. Wahrscheinlich ist die Nachricht
zu eindeutig, als dass sie angezweifelt werden müsste.
[RH]