Das verräterische Hertz

Verschwörungen im Computerretrofilm der 60er bis 90er Jahre



Computer sind allgegenwärtig - auch wenn man sie nicht immer so zu Gesicht bekommt, wie den heimischen PC. In jeder Waschmaschine, in jedem Taschenrechner, in allen Fahrstühlen und Tiefseetauchboten: überall tickt irgendein Quarzherz, dem wir unseren geglückten Tag, einzuhaltende Termine, interessante Texte für Computerzeitschriften und - öfter als man glaubt - auch das eigene Leben anvertrauen. Dass Computer so weit verbreitet sind und darüber hinaus die enigmatischsten aller Maschinen darstellen, hat wohl dazu geführt, dass kein Artefakt nach so kurzer Zeit seiner Entstehung (immerhin ist das Elektronengehirn, wie wir es kennen, nur etwas älter als 50 Jahre) eine solche Anzahl von Mythen, Vorurteilen und Verschwörungstheorien hervorgebracht hat.

Das, was den Computer besonders prädestiniert, zum Verschwörer Nummer Eins zu werden, ist die Tatsache, dass er operiert (oder auch nicht), ohne dass es ihm jemand von Außen anzusehen vermag. Wer weiß schon, was der eigene Rechner so alles tut, wenn wir mit ihm schreiben, gegen ihn spielen oder im Internet mit ihm surfen. Bereitet er sich gerade darauf vor, seine gesamte Festplatte von darauf abgelegten "e;.DOCÓ-Dateien zu befreien? Oder lernt er unser Denken und Verhalten, während wir gegen ihn Schach spielen? Oder übermittelt er gar irgend einem Hacker all unsere auf ihm gespeicherten Passwörter?

Anlass genug also, dass der Computer auch zum prominenten Mitwirker in Verschwörungsfilmen werden konnte - um, wie in INDEPENDENCE DAY (USA 1997, Roland Emmerich), uns gegen Verschwörungen außerirdischer Invasionen zu helfen, aber viel öfter, wie in MATRIX (USA 1999, Wachowski Bros.), unsere endgültige Versklavung vorzubereiten. Die virtuellen Machenschaften der Rechner greifen dabei - und das ist das Fatale - besonders gern auf unsere Realität über, kolonisieren und strukturieren sie nach ihrem eigenen Algoritmus. Die Möglichkeiten der Beeinflussung sind vielfältig: Sie tarnen den Krieg als Computerspiel (WARGAMES, USA 1984, John Badham), die Allmacht als Verwaltung (TRON, USA 1982, Steven Lisberger), den Ehrenkodex als Programmcode (2001, GB 1968, Stanley Kubrick), Überwachung als elektronische Kontrolle (ELECTRIC DREAMS, USA 1984, Steve Barron) oder Waffen als Information (23, D 1998, H.-C. Schmid).

Dabei materialisieren oder entmaterialisieren sie Ihre Umwelt, wie es ihnen gefällt. In MATRIX errichten sie ein virtuelles Industriezeitalter, mit Menschen (der "e;Wetware"e;) als Energieressource. Ihre Software, diese "e;virtuelle Maschine"e;, dient ihnen dabei als Werkzeug der Unterwerfung mittels der totalen Simulation. Sie spiegeln ihren Opfern eine Realität vor, die eigentlich viel zu real ist, um wirklich sein zu können: eine Hyperrealität. Dabei entlarven Sie dem Zuschauer die Welt als ein reines Zahlenspiel, wo jeder Mensch, jede Information und jedes Gefühl digitalisierbar ist, solang die Prozessoren sie nur schnell genug in Nullen und Einsen wandeln können (diese "e;Verschwörung"e; ist allerdings schon recht betagt: bereits die Pythagoräer orakelten, dass die Welt nichts als ein Spiel aus Zahlen sei). Dabei können Computer nicht einmal rechnen, sondern nur schnell zählen: Sie verschwören sich so gut gegen uns, weil sie so schnell, perfekt und skrupellos simulieren können.

Computer im Film kommunizieren miteinander ganz unbemerkt über unsichtbare Netzwerke, verwandeln Lebendes in Totes und löschen dabei auch schon einmal Sandra Bullock aus (DAS NETZ, USA 1995, Irwin Winkler). Dabei nutzen sie für Materie undurchlässige Kanäle in unsere Privatsphäre, die jedoch für Informationen nicht größer sein könnten: Steckdosen, Telefonbuchsen und Funksignale. Ein Film-Computer als vernetztes Medium besticht durch seine Fähigkeit, Informationen in Nullzeit zu übertragen, er öffnet einen unsichtbaren Eingang und damit die Privatsphäre für Lauscher, Viren und Passage in verbotene Zonen: In COPYCAT (USA 1995, Jon Amiel) wird der Computer laut Regisseur zu einem "e;eigenen Hauptdarsteller"e; und verschafft über einen Virus einem Serienmörder Zugang zur Wohnung einer Frau, die sich hermetisch gegen die Außenwelt abgeschirmt zu haben glaubte.

Manchmal muss der Computer gar nicht erst Kontakt mit bösartigen Rechnern aufnehmen, sondern verwandelt sich selbst vom harmlosen Rechner in eine eiskalt berechnende Maschine, die das Ableben der Protagonisten kalkuliert. In HARDWARE (GB 1993, Richard Stanley) bringt ein Mann seiner Freundin den abgesprengten Kopf einer "e;M.A.R.K. 13 Kampfdrohne"e; aus der postapokalyptischen Wüste mit ins traute Heim. Und während sie sich in ihrer ebenso wie in COPYKILL gesicherten Wohnung ziemlich sicher fühlt, ist sie eigentlich eine Gefangene der Maschine, welche längst dazu übergegangen ist, sich erneut zu verdrahten, um in Aktion zu treten. Der Computer besiedelt den Raum, übernimmt die Kontrolle über die elektrischen Gegenstände darin und trachtet der Frau nach dem Leben.

Ganz ähnlich auch bei der Technik-Schnulze ELECTRIC DREAMS - einem der beeindruckendsten Beispiele hinsichtlich der den Menschen überwuchernden Computertechnik. Miles Harding, ein junger Architekt, will eigentlich nur einen Terminplaner kaufen, damit er seine Geschäftsverabredungen einhalten kann. Im Heimcomputerladen wird ihm eine Komplettausstattung aufgeschwatzt, die er kaum nach Hause tragen - geschweige denn zu beherrschen - vermag. Als er seinen Computer mit einem Daten-"e;Overload"e; fast zum explodieren bringt, kommt ihm in letzter Sekunde die rettende Idee: Abkühlung - und das mit einer griffbereiten Flasche Sekt. Das hat Konsequenzen, denn schon kurz darauf erwacht sein Homecomputer aus dem Elektronenschlaf und beginnt ein Eigenleben, das sich nur Anfangs im Komponieren von Boy-George-Liedern offenbart und nach und nach immer paranoider wird. Edgar - so der selbst gewählte Name des Rechners - verliebt sich in MilesŐ Freundin und macht ihm das Leben zur Hölle. Erst als Miles ihm verrät, dass sich Liebe nicht simulieren lässt, hat Edgar Einsicht und begeht Suizid.

Der Computer wird hier, wie überhaupt in eigentlich allen Filmen, in denen er die Hauptrolle spielt, anthropomorph: als durch menschliches Versagen zum Leben erwachter Roboter (NUMMER 5 LEBT! von 1985, der bezeichnenderweise im Original SHORT CIRCUIT heißt) oder als komplex programmierte, künstliche Intelligenz wie in 2001, als Master-Control-Programm (TRON) und Bishop of Battle (THE BISHOP OF BATTLE - ein Kurzfilm von Joseph Sargent, USA 1983). In den beiden letztgenannten und im LAWNMOWER MAN (USA 1991, Brett Leonard) ziehen die Rechner den Menschen in sich hinein, indem sie ihn digitalisieren. Was er dort erlebt, lässt sich - den Filmen sieht manŐs an - nur noch mit Hilfe von Computern selbst darstellen: Als beeindruckende Beispiele für CGI-Effekte führen uns diese Werke schon vor Jahrzehnten vieldeutig vor, wozu Computer in der Lage sind. Sie lassen den menschlich-digitalen Hauptdarsteller auf ihren Spielerastern auf Leben und Tod gegen ihre Simulationen antreten (TRON, BISHOP) oder durchfluten ihn mit Daten und machen aus ihm einen Verbündeten (RASENMÄHER-MANN), der nach und nach den Sinn für und den Geschmack an der materiellen Wirklichkeit verliert und sich damit auf die Seite der Software geschlagen hat. In diesen Filmen wird uns gezeigt, wie sich die Machtbeziehungen zwischen Mensch und Maschine ausformulieren: als Informationsdefizit auf der menschlichen Seite und "e;Stofflichkeitsdefizit"e; auf der Seite des Computerprogramms, das nun einmal kaum ohne Wetware in der Lage ist, "e;wirklich"e; etwas anzurichten ... oder?

Im Nummer-Eins-Film aller Kalte-Kriegs-Thriller - WARGAMES - sieht das ganz anders aus. Auf der Suche nach Computerspielen loggt der junge David sich mit seinem INSAI-Homecomputer aus versehen im Norad-Raketen-Rechner "e;Joshua"e; ein, der einzig und allein dafür geschaffen wurde, Atomraketen auf die damalige Sowjetunion abzufeuern, nachdem sich Menschen für diesen Job als zu "e;warmblütig"e; erwiesen haben. Joshua, für den nur strategische Erwägungen zählen, kann Spiel und Realität nicht voneinander trennen und besteht darauf, den von David spielerisch georderten "e;weltweiten Thermonuklear-Krieg"e; auch bis zum Ende durchzuspielen. Dass die Welt in WARGAMES dann doch noch gerettet werden kann, ist einem klugen Kniff zu verdanken: Joshua lässt sich dazu überreden, lieber eine "e;kalkulierbare"e; Schachpartie zu spielen, als er einsieht, dass es keine algebraische "e;Lösung"e; für das Kriegsspiel gibt - was etwas später auch von den Generälen eingesehen wird, die daraufhin ein paar neue Arbeitsplätze für Menschen in den Raketensilos schaffen.

Mit ganz anderen "e;Überredungskünsten"e; versucht auch HAL in 2001 Dave Bowman davon zu überzeugen, dass er ihn besser nicht abschalten soll, obwohl er doch alle Astronauten an Bord des Raumschiffs Discovery (außer eben Dave) getötet hat, um seinen Programmablauf - die Jupitermission - zu Ende führen zu können. In 2001 wird jedoch weniger das verräterische Potenzial der künstlichen Intelligenz hervorgehoben, als die Frage, welcher Grad an Bewusstsein hier schon Leben ist und ob man bei einem bösen Supercomputer den Stecker ziehen darf, selbst wenn er Reue zeigt/simuliert.

Mit solchen Erwägungen plagen sich die Astronauten Doolittle, Talbie und Pinback auf der DARK STAR (in John Carpenters gleichnamiger 2001-Persiflage von 1973), einem Raumschiff, das instabile Planeten sprengt, nicht: Bombe Nr. 20 muss zurück in den Bombenschacht, weil sie durch eine Fehlfunktion den Befehl zum Detonieren erhalten hat. Doch wie überzeugt man ein sinnenloses Wesen von der Sinnlosigkeit von Befehlen, wenn seine Interfaces widersprüchliche Daten liefern? Die Gespräche der Astronauten müssen letztlich versuchen, den Rechner mit (seiner eignen) Logik zum Zurückfahren in den Bombenschacht zu bewegen: Sie versuchen es mit DescartesŐschem Zweifel, was (wie bei Descartes) auch zuerst klappt ... aber wie bei Descartes kommt auch in DARK STAR ein etwas schwammiger Gottesbeweis der Argumentation in die Quere und: "e;Fiat lux"e;!

Ob nun die Realität als simuliertes Ereignis (MATRIX) oder simulierte Ereignisse als Realität (EXISTENZ, Kanada 1999, David Cronenberg), Krieg als Spiel (WARGAMES) oder Spiel als Krieg (TRON): Computer im Film entlarven stets ihre eigene Erscheinungsweise. Die Bedrohung, die wir im Film vermittelt bekommen, ist unsichtbar, äußert sich aber an ihren Folgen: Wenn der Programmcode richtig gut (das heißt: richtig böse) ist, verwirrt er die Protagonisten über den Unterschied zwischen Realität und Fiktion. Ganz wie ein wirklich guter Film im Kino es manchmal beim Zuschauer vermag.

[Stefan Höltgen]