Müde und abgekämpft von den Strapazen der Ermittlung kehrt Special Agent Dale Cooper spät Nachts zurück in sein beschauliches Hotelzimmer. Er bereitet sich auf eine kurze Nacht vor, denn bereits um acht Uhr früh hat er wieder im Büro von Sheriff Harry S. Truman zu sein, um seine Untersuchungen im Mordfall Laura Palmer fortzusetzen. Das Telefon klingelt; als er abhebt, klopft es plötzlich an die Tür. Wer kann das sein? Es muss schon etwas Dringendes vorliegen, wenn man ihn so spät noch stört. Cooper geht zur Tür, öffnet und im selben Augenblick gibt die Kamera die Großaufnahme eines Revolvers frei. Drei Schüsse. Cooper strauchelt rückwärts, fällt zu Boden. Sofort sieht man die stark blutende Bauchwunde. Cooper versucht sich zu bewegen, vielleicht zu schreien, aber der Schmerz lähmt ihn. Der Täter ist längst unerkannt geflüchtet. Das einzige, was sich in der Nähe Coopers befindet, ist sein Diktiergerät, das er so eingestellt hat, dass die Aufnahme beginnt, wenn er spricht. Die Kamera fährt auf seinen Körper zu und zeigt abermals die schwere Verwundung. Die bedrohliche Musik schwillt in dunklen Akkorden an Executive Producers David Lynch, Mark Frost ist das nächste und gleichzeitig letzte, was wir zu sehen bekommen. Diese Folge von Twin Peaks und damit die erste Staffel, ist zu Ende.
Pech für den RTL-Zuschauer, der dieses Drama am 18. Oktober 1991 miterleben
musste. Wer hat auf den FBI-Agenten geschossen? Wird der definitive Held der
Serie dieses Attentat überleben? Das ist angesichts des Humors der Drehbuchau-toren
Lynch und Frost nicht hundertprozentig zu erwarten. Was aber zu erwarten war:
dass es eine Fortsetzung geben wird. Denn so unkonventionell sind Lynch/Frost
dann doch nicht.
Das, was diese letzte Szene jener Folge 7 von Twin Peaks beschreibt, nennt man
einen Cliffhanger. Eine Handlung, deren dramatischer Teil am Ende einer Episode
gezeigt wird und deren Auflösung, so hofft man produzentenseits, von jedem
Zuschauer in Erfahrung gebracht werden will; was sich allerdings erst viel später
erfüllt. Der Cliffhanger ist Indiz für eine typische TV-Soapopera.
Derer gibt es wie Sand am Meer - man muss bloß einmal die Fernsehzeitung
wälzen. Die Serie - so scheint es - hat im Fernsehformat ihr Zuhause gefunden.
Doch auch andere Medien haben den Serienkult längst entdeckt. Nicht zuletzt
das Kino. Waren es bis in die siebziger Jahre die allerwenigsten Filme, die
eine Fortsetzung fanden, so kann man sich heute eigentlich bei keinem Film mehr
sicher sein, den tatsächlichen Schluss der Geschichte erfahren zu haben,
wenn man das Kino verlässt. Die Produzenten halten sich das Ende offen,
um - zumindest ökonomisch - an den Vorgängerfilm anknüpfen zu
können. Dass es dabei oft erzählerische Hürden zu überwinden
gilt, zeigen Filme wie Alien 4, Star Wars 4 oder Titanic 2 (der bereits in Planung
ist!). Bei Alien 4 musste man schon tief in die Trickkiste greifen, um die Logik
nicht außen vor zu lassen, bei Star Wars - The Phantom Manace ging man
chronologisch einfach vor den ersten Teil der Saga zurück und was sich
die Drehbuchschreiber für Titanic 2 einfallen lassen, wird mit Spannung
erwartet. Die Fortsetzung wird in einem Punkt jedenfalls sicher am ersten Teil
anknüpfen: im finanziellen. Denn komme, was da wolle: Jeden wird interessieren,
wie es mit dem Schiff weitergeht, in das der Eisberg da so ein paar hässliche
Löcher gerissen hat. Wird es alles nur ein Albtraum von Kate Winslet gewesen
sein? Klont man die Titanic aus einem angestrandeten Trümmerteil oder lässt
man sie einfach als untote Wasserleiche wieder auferstehen und sich mit Treibhausgasen
an allen Eisbergen rächen? Wer weiß
Die Löcher in Special Agent Dale Coopers Rumpf werden jedenfalls in Folge
8 gestopft und lassen ihn ab Folge 10 wieder eifrig recherchieren. Die zwangsverordnete
Ruhepause auf den Holzdielen seines Hotelzimmers nutzt er, um eifrig zu halluzinieren:
Der Riese erscheint ihm und sagt Die Eulen sind nicht, was sie zu sein
scheinen. Was er damit meint, und warum dank dieser Aussage der Mörder
von Laura Palmer dann ermittelt wird, dass verraten die folgenden 20 Folgen.
[Stefan Höltgen]