Endlos ist die Prärie

... aber nicht die Serie Dallas

Es gab mal eine Zeit, in den frühen 80er Jahren, da existierte noch kein Privatsender und der Fernsehzuschauer empfing maximal 5 Sender (die ostdeutschen Programme DDR 1 und DDR 2 mitgezählt). Filme wurden noch nicht durch Werbung unterbrochen und als Skandal galt, wenn eine Frau das Aktuelle Sportstudio moderierte oder Kommissar Schimanski das Wort “Scheiße” in den Mund nahm.
In dieser Zeit, genauer gesagt am 30.6.1981, erlebte die amerikanische Fernsehserie Dallas ihre Premiere. Der Dallas-Virus verbreitete sich schnell unter den Zuschauern. Symptome: die totale Abhängigkeit von Dallas und völlige Identifikation mit den Serienfiguren. (In der Türkei benannten die Mütter sogar ihre Kinder nach J. R. oder Sue Ellen!) Mit Dallas hielt die erste Seifenoper Einzug ins deutsche Fernsehen. Dieses Serienformat war hierzulande gänzlich unbekannt und erhöhte den Süchtigkeitsfaktor erheblich, denn Konflikte wurden nicht innerhalb einer Episode gelöst, sondern über mehrere Folgen fortgetragen. Den Schlusspunkt einer Episode setzte der Cliffhanger, der eine besonders ausweglose Situation zeigte, um die Zuschauer auf die nächste Folge neugierig zu machen.
Noch heute gilt Dallas als die Mutter aller Seifenopern, später gedrehte Fernsehserien wie Falcon Crest oder Denver-Clan entpuppten sich nur als Plagiate. Dabei ist die Handlung von Dallas nicht unbedingt neu: In ihrem Mittelpunkt steht eine Familie namens Ewing. Ihre Mitglieder leben auf der Southfork-Ranch in Texas und müssen sich mit allerlei Problemen herumschlagen. Eines davon beinhaltet die neue Mrs. Ewing, die der jüngste Sohn von Jock und Ellie Ewing, Bobby, in der ersten Folge seiner Familie vorstellt. Pamela ist eigentlich eine ganz anständige Frau, doch leider gehört sie zur Familie Barnes, die mit den Ewings schon seit Jahren befeindet ist. (Jegliche Ähnlichkeiten mit Shakespeares Romeo and Juliet sind absolut beabsichtigt.) Die Liebesgeschichte zwischen Bobby und Pamela steht nur in den ersten Folgen im Vordergrund, der Star der Serie sollte jemand anderes werden.
Dallas-Erfinder David Jacobs konzipierte Dallas anfangs als fünfteilige Miniserie, die erstmals am 2.4.1978 im amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Der Erfolg war leidlich, doch der Fernsehsender CBS gab Dallas noch eine zweite Chance. Statt Liebeleien sah der Zuschauer in Dallas nun mehr Intrigen, für die sich der älteste Sohn J. R. zuständig fühlte. Mit ihm begann auch der Aufstieg der Serie. Die Drehbuchautoren registrierten J. R.s Wirkung auf die Zuschauer und konzentrierten sich daher auf seine Figur. Sie entwickelten die Geschichten um ihn herum, Bobby und Pamela, ursprüngliches Zentrum der Serie, wurden zu Nebenfiguren degradiert.
Eine einzelne Dallas-Episode sorgte schließlich dafür, dass die Serie Fernsehgeschichte schrieb. Am Ende der Saison 1979/80 wurde J. R. niedergeschossen. Eine ganzen Sommer lang rätselten die Zuschauer, wer der Täter sein könnte. Nicht einmal die Darsteller der Serie wussten, wie die Geschichte weitergehen würde, und ob J. R. überhaupt überlebt. Letzteres hing von Larry Hagman ab, der den Fiesling verkörperte und plötzlich im Mittelpunkt des medialen Interesses stand. Hagman erkannte seine Chance und ließ sich am Telefon verleugnen, um in den Gagenpoker mit den Dallas-Produzenten einzusteigen. Die Drehbuchautoren überlegten sich derweil einen alternativen Handlungsverlauf, in dem J. R. zwar am Leben bliebe, aber aufgrund schwerster Verletzungen im Gesicht von einem anderen Schauspieler gespielt werden könnte. Diese Variante war sehr riskant, zu sehr hatten sich die Zuschauer schon an Hagman gewöhnt, als dass sie einen neuen Darsteller akzeptieren würden. Schließlich bekam Hagman sein gefordertes Geld und stieg damit zum höchstbezahlten Fernsehstar der USA auf.
Am 21.11.1980 durfte der Dallas- Fan endlich erfahren, wer nun wirklich auf J. R. schoss. Im ganzen Land veranstalteten Dallas-Anhänger ihre Who Shot J. R.?-Partys.
Als die Folge um 21 Uhr ausgestrahlt wurde, saßen etwa 80 Millionen Amerikaner vor ihren Fernsehgeräten, was einen neuen Einschaltquotenrekord in der Geschichte des amerikanischen Fernsehens bedeutete. Dallas hatte den Gipfel seiner Popularität erreicht. (In der BRD verbuchte die Serie im Jahr 1985 ihre höchsten Einschaltquoten, als durchschnittlich 16 Millionen Zuschauer Dallas zuschalteten.)
Erstaunlicherweise konnte die Serie einige Jahre ihren Erfolg halten. Dem Zuschauer wurden ständig neue aufregende Geschichten präsentiert: J. R. schmuggelt Öl nach Kuba und kommt ins Gefängnis, Oberhaupt Jock verunglückt tödlich bei einem Hubschrauberabsturz in Südamerika und Bobby entfacht einen Bruderkrieg mit J. R. im Machtkampf um Ewing Oil.
Nach etwa sieben Jahren Laufzeit, in der Saison 1985/86 begann das langsame Sterben von Dallas. Hierfür gibt es sicherlich mehrere Gründe. Die Fernsehlandschaft im Mutterland USA hatte sich zu diesem Zeitpunkt stark verändert. Intrigen-Serien lockten nicht mehr so viele Zuschauer, Sitcoms wie The Cosby Show oder The Golden Girls traten ihren Siegeszug an. Zudem verließ ein sehr wichtiger Darsteller Dallas. Patrick Duffy wollte nicht länger den braven Bobby spielen und ließ sich aus der Serie herausschreiben. Im Saisonfinale 1984/85 wurde Bobby von einem Auto überfahren. Damit verlor Dallas einen wesentlichen Bestandteil seiner Geschichte, denn vom Konflikt zwischen Bobby und J. R. zehrte die Serie jahrelang. Selbst Larry Hagman gab zu: “Ohne Bobby macht Dallas einfach keinen Spaß mehr.”
Die Lücke, die Bobbys Weggang hinterließ, konnte nicht gefüllt werden. Larry Hagman überredete Patrick Duffy ein Jahr später zu seiner Rückkehr. Problem dabei: Bobby starb vor den Augen der Zuschauer. Wie konnte Duffy nun wieder in die Serie eingeführt werden? Als Bobbys Zwillingsbruder? Die Produzenten entschieden sich folgendermaßen: Pamela hatte Bobbys Tod einfach nur geträumt. Manch hartgesottener Dallas-Fan verkraftete diese Lösung nicht und schaltete die Serie fortan nicht mehr ein. Innerhalb der nächsten drei Jahre verließen weitere Stammschauspieler die Serie, diesmal endgültig.
Einer der Gründe für den Erfolg von Dallas lag u. a. an dem Wiedererkennungswert seiner Hauptakteure. Über Jahre spielten die gleichen Schauspieler mit. Diese anfängliche Stärke erschwerte später die Einführung neuer Charaktere (u. a. J. R.s unehelicher Sohn James). Die Zuschauer wollten sich nicht mit diesen neuen Gesichtern anfreunden und identifizieren. Schließlich versuchten die Produzenten mit noch mehr Intrigen und attraktiven Handlungsschauplätzen Dallas aufzupeppen. J. R. und Bobby reisten nach Moskau, Wien und Paris. O-Ton Hagman: “Die Produzenten versuchten diese Jetset-Scheiße vom Denver-Clan zu übernehmen. Die Zuschauer wollten aber weiter die Familie Ewing auf ihrer kleinen Southfork-Ranch sehen.”
Die Serie scheiterte letztlich an ihren eigenen Strukturen. Die Drehbuchautoren fingen an, sich zu wiederholen (fast jeder Ewing heiratete zweimal die gleiche Partnerin). Gegen Ende der Serie brauchte der wahre Fan schon einen Stammbaum der Familie Ewing, um noch halbwegs durchzublicken.
Über 13 Jahre nach der Erstausstrahlung lief in den USA am 3.5.1991 die 356. und (vorerst) letzte Dallas-Folge. Ihr Inhalt: J. R. möchte sich umbringen. In dieser schweren Stunde erscheint ihm ein Engel, der ihm zeigt, wie das Leben ohne ihn verlaufen wäre. Am Ende fällt ein Schuss. Bobby hört ihn, läuft aufgeregt in J.R.s Schlafzimmer und stammelt sichtlich schockiert: “Oh, mein Gott, J. R.!” Was er sieht, bleibt offen? Nicht ganz. Zwei Dallas-Specials (aus den Jahren 1996 und 1998) geben Aufklärung: J.R. schoss nicht auf sich, sondern auf sein Spiegelbild.

[RH]