Casshern – Im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit

Wir schreiben eine ferne Zukunft, deren Gesicht die Züge archaischer Technisierung und gigantomanischer Fortschrittsgläubigkeit trägt. Die Technik hat ihre Entwicklung zu einer zweiten Natur vollendet und die Dystopie einer Welt voll Krankheit, Seuchen und einem Krieg um den eurasischen Kontinent, der an die beiden Weltkriege des letzten Jahrhunderts erinnert, zur Realität werden lassen. Inmitten dieser von Zerrüttung gezeichneten Welt gelingt dem Wissenschaftler Azuma die Erlösung versprechende Erfindung der Neo-Cells; Stammzellen, aus denen sich lebende Materie generieren lässt. Azuma, der von dem Gedanken an die Heilung seiner todkranken Frau besessen ist, merkt nicht, wie die amtierenden Machthaber – allesamt alte, kranke Männer – seine Erfindung für ihre eigenen Bedürfnisse missbrauchen wollen.

Die Nachricht vom Tod seines Sohnes, der im Kampf um Eurasien gefallen ist, erreicht Azuma in seinem Forschungslabor. Im selben Augenblick schlägt ein „Stählerner Blitz“, dessen Ursprung im Unklaren bleibt und der stark an den „Finger Gottes“ erinnert, in das Becken mit der Zellmasse ein, woraufhin eine Gruppe neuer Menschen – die Neo Sapiens – dem Bassin entsteigen. Noch bevor klar ist, woher die Fremden kommen oder was ihr Ziel ist, greift der Konzern, unter dessen Protektion die Forschungen des Wissenschaftlers stehen, ein und lässt alle bis auf eine kleine Gruppe, der die Flucht gelingt, niederschießen. Im Zuge dieser Flucht wird Azumas Frau, die den Leichnam ihres Sohnes zum Labor geleitet, von den Fliehenden gekidnappt. Zurück bleibt Azuma mit der Leiche. Er nimmt, blind vor Trauer, den toten Körper und taucht ihn in das Bassin mit der roten Nährlösung, um ihn ins Leben zurückzubringen: die Geburt des neuen Superhelden Casshern ist damit vollendet.

Ausgestattet mit einer Rüstung, die seine übermenschlichen Kräfte kanalisiert nimmt er den Kampf gegen die Neo Sapiens – deren Anführer seiner Haarfarbe nach an Stephen Kings „Children of the Corn“ erinnert – auf und bringt sie einer nach dem anderen in spannenden Kampfsequenzen zur Strecke. Diese haben aber inzwischen die Kontrolle über eine enormen Androidenstreitmacht errungen, gegen die Casshern in atemberaubendem Tempo den Kampf aufnehmen muss. Eine letzte große Schlacht zwischen den Streitkräften der Menschen und dem (unverkennbar nietzscherianischen) Übermenschen entbrennt, in der sich die Kriegsparteien mit immer neuen technischen Monstrositäten gegenseitig überbieten (der Höhepunkt ist eine Maschine mit den Ausmaßen des Empire State Buildings, die durch die Frontreihen marschiert und alles platt walzt, was ihr unter die Stahltrassen kommt).

Der Film reflektiert überzeugend den dialektischen Kampf zweier Prinzipien und ihrer Symbol- und Ritualsysteme, die aber im Grunde nur durch gegenseitige Abgrenzung bestand haben. Die Frage, welche Seite die Gute und welche die Böse ist, wird gekonnt durch fragmenthafte Rückblicke auf die von Casshern verübten Kriegsgräuel ins Unentscheidbare verschoben und öffnet gleichzeitig eine psychologische Dimension des Films, die die Frage nach Schuld und Sühne stellt. Der Film rührt im Motiv der Materialschlacht an den von Jacques Derrida bezeichneten Kampf der Theorien: Theorien sind Monster, in deren Wesen es liegt, andere Theorien auszuloten und zu überbieten (Einige Statements und Binsenweisheiten…).

In Casshern finden sie sich in Form der immer unüberwindlicheren Kriegsmaschinerien wieder, deren Entwicklungsstufen programmatisch für die Präsenz der eigenen Ideologie stehen. Die Dialektik von Mensch und Übermensch kommt im Kampf bezeichnenderweise nicht zur Auflösung, sondern wird zur mechanischen Unauflösbarkeit, ähnlich wie ein Motor, der sich selbst immer weiter optimiert ohne zu einem Abschluss zu kommen. Im Bild dieser Unmöglichkeit gegenseitiger Überbietung befindet sich ein ernstzunehmender Verweis auf den poststrukturalistischen Autor.

Einziger Wermutstropfen bleibt neben soviel philosophischem Anspruch allerdings, dass KIRIYA es sich nicht verkneifen konnte, noch eine filmische Interpretation seiner Bilder anzuhängen, die leider eher als seicht-moralischer Zeigefinger, denn als ernstzunehmende philosophische Auseinandersetzung zu verstehen ist. „Koexistenz“ lautet die Lösung, die angeboten wird, doch bleibt im Unklaren nach welchen Regeln diese im Gegenzug ablaufen soll. Durch diesen Hinweis des Regisseurs bekommt der Film trotz der überzeugenden Bilderwelt eine zu klassische Note. Alles in allem ist er jedoch eine gelungene tour de force durch ein fantastisches Szenario einer voll maschinisierten Welt, deren Bewohner einen Kampf um das Unentscheidbare – der Frage nach Gut und Böse – führen. Für Fans des epischen Kinos, wie für Fans des fantastischen Sci-Fi Spektakels ist CASSHERN ein sehenswert spannendes Stück japanischer Literatur.

Casshern
(Japan 2004)
Regie: Kazuaki Kiriya; Buch: Kazuaki Kiriya, Shotaro Suga, Dai Sato;
Kamera: Kazuaki Kiriya; Darsteller Yusuke Iseya, Kumiko Aso,
Toshiaki Karasawa, Kanako Higuchi; Vertrieb: On New Media/Shochiku Co., Ltd.
35mm, 142 min, OMU.

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