„Life in a Day“ ist auf den ersten Blick ein Vorzeigekind des Web 2.0. Am 24. Juli 2010 begleiteten Tausende Menschen aus aller Welt ihren Alltag mit einer Kamera. Die Online-Plattform Youtube hatte dazu aufgerufen – mit dem Ziel, aus den Clips einen Dokumentarfilm über das menschliche Leben an sich zu gestalten. Das klingt sehr demokratisch und selbstbestimmt. Allein, bei über 4.500 Stunden Videomaterial aus 192 Ländern bedarf es eines Mitarbeiterstabs, der all die Einsendungen sichtet, daraus Szenen willkürlich und autoritär auswählt und schließlich zu einem inhaltlich kohärenten Werk montiert. Diese Arbeit hintergeht einerseits die Ideale des Web 2.0, ist aber zugleich die größte Leistung von „Life in a Day“. Dem Team um Regisseur Kevin MacDonald, Produzent Ridley Scott (Regisseur von „Alien“, „Blade Runner“) und Cutter Joe Walker ist es gelungen, aus der unübersichtlichen Bilderflut einen zusammenhängenden 95-minütigen Kinofilm zu machen. In zahllosen kurzen Ausschnitten folgen wir dem Geschehen auf der Erde an einem ganz normalen Tag. „Life in a Day“ will die Normalität, die Routine, nicht das Außergewöhnliche und Spektakuläre zeigen. Ob es besonders klug war, zu diesem Zweck einen Samstag auszuwählen, ist fraglich, da das menschliche Leben nun mal zu einem nicht unwesentlichen Teil aus Arbeit besteht, diese aber am Wochenende weniger beobachtet werden kann als an einem Werktag.
„Life in a Day“ versucht soviele Facetten des menschlichen Lebens wie möglich zu zeigen. In chronologischer Struktur – vom Morgen bis zum Abend des 24. Juli – beobachten wir, wie ein werdender Vater im Kreißsaal kollabiert, eine Ehefrau und Mutter an Krebs leidet, ein allein erziehender Vater und sein kleiner Sohn der verstorbenen Mutter am Schrein huldigen. Wir sehen, wie ein Homosexueller sich gegenüber seiner Großmutter outet, ein Verliebter zurückgewiesen wird – wir begleiten eine Frau beim Hochgefühl eines Fallschirmsprungs und blicken in die von Angst erfüllten Augen einer Kuh vor und während ihrer Schlachtung. Auch die erschreckenden Bilder der Duisburger Loveparade-Katastrophe finden Eingang in den Film. „Life in a Day“ ist primär auf Emotionen aus – die allzu dominante Musik diktiert, was der Zuschauer angesichts der jeweiligen Szenen zu fühlen hat. Die anvisierte Affekte variieren, aber man merkt dem Film doch an, dass er „uplifting and inspirational“ sein soll und niemanden verschrecken will. Sexualität kommt nur sehr implizit vor, politische Konflikte werden nicht näher beleuchtet und erst recht nicht bewertet.
Gerade dieses letzte Beispiel deutet eine weitere Schwäche des Films an: Auch wenn User aus allen Teilen der Welt Bilder beitrugen, so ist „Life in a Day“ dennoch ein durch und durch amerikanischer Film mit überproportional vielen westlichen und englischsprachigen Protagonisten. Man bekommt dabei fast den Eindruck, die von ihren Männern getrennten amerikanischen military wives litten mehr als jene Afghanen, denen das US-Militär Körperteile, Häuser und geliebte Menschen genommen hat. Schade ist auch, dass die allermeisten Menschen nur ein einziges Mal auftauchen, ihr Tagesablauf jedoch dann – anders als im thematisch verwandten Projekt „24h Berlin“ – nicht weiter verfolgt wird. Ein die Erde per Fahrrad umrundender Südkoreaner stellt eine der wenigen Ausnahmen dar, die sich zu einer kleinen Geschichte innerhalb des Films entwickelt.
Das Vorhaben, die Menschheit über Fragmente, kleine slices of life zu portraitieren ist jedoch – zumal in Verbindung mit den Möglichkeiten des Web 2.0 und der Herkulesaufgabe von Selektion und Montage – ein so anspruchsvolles, dass auch solche Mängel dem Gesamteindruck des Films wenig anhaben können. Schließlich führt „Life in a Day“ mehrfach vor, welch atemberaubend schöne Bilder man selbst mit einfachen Digitalkameras machen kann (man also gigantomanische 3D-Animationen und spektakuläre Sci-Fi-Plots vielleicht gar nicht braucht, um Menschen ins Kino zu locken) und dass dem Medium Film im 21. Jahrhundert nicht nur neue Gefahren, sondern auch Chancen erwachsen: So wurde „Life in a Day“ parallel zur Weltpremiere beim Sundance-Festival auch per Livestream im Internet gezeigt. Eben dort, auf Youtube, können sich Außerirdische auch allerlei zusätzliches Material von „Life in a Day“ ansehen, um einen umfassenden Blick über die Erde und ihre seltsamen Bewohner zu erhalten.
Life in a Day
(USA 2011)
Regie: Kevin Macdonald; Schnitt: Joe Walker; Musik: Harry Gregson-Williams, Matthew Herbert;
Länge: 95 Min.
Verleih: Hanway Films
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