Film als subversive Kunst

Als Amos Vogel sein Bürozimmer – eigentlich eher ein kleines Abstellkämmerchen, darin die so chaotische wie faszinierende Sammlung eines Lebens an Zeitungssausschnitten, Fotos und ausgeschnittenen Bildern – durchwühlt, bleibt in seinen Händen eine extrem vergrößerte Ansicht eines Fliegenkopfes im DINA4-Format hängen. „It’s amazing“, kommentiert er das Bild kurz darauf, das auch einem Horrorfilm entstammen könnte, „it’s all biological, nature. But to take this photograph and make us see this, people had to built several technical advices.“ Der Blick durch die Linse, auf fotografischem Material festgehalten, ermöglicht es dem Menschen, seine natürlichen Sehgewohnheiten zu überwinden und sich neue Realitäten, neue Standpunkte zu konstruieren. Mit wenigen Worten findet sich Amos Vogels Lebensprojekt – die stete Suche nach diesen neuen Realitäten oder auch „new truths“, wie er sie in dieser Dokumentation einmal kurz nennt – auf den Punkt gebracht, ohne deshalb geschmälert zu sein. „It’s about visual sensibility,“, so Vogels erste Worte in diesem Film, „forms and shape. That’s what interested me in movies.“ Der Film setzt diese Präambel umgehend in ein Bild um: Graue Flächen, schlierig-weiße Flecken darauf. Erst als sich Füße darüber bewegen, wird ersichtlich, dass allein durch Wahl der Kameraposition, ohne sonstige technische Hilfsmittel, ein ganz gewöhnlicher Zebrastreifen für den ersten Blick zur Unkenntlichkeit verfremdet wurde. „Film als subversive Kunst“ weiterlesen

A Day on the Planet

Ein Tag auf dem Planeten. Das klingt nach Beliebigkeit und Willkür. Irgendein Tag, irgendwo hier, irgendwer wird beobachtet. Night on Earth, nur andersrum. Und auch wenn zu Beginn die Einheit der Zeit recht deutlich mittels Einblendung definiert wird, ist das doch eigentlich nur unerheblich, beinahe schon ein lakonischer Witz. „A Day on the Planet“ weiterlesen

Hard Luck Hero

Ein Boxkampf, 3 Paare, 6 Menschen. Alle mehr oder weniger zufällig anwesend. Die ersten zwei sind Angestellte eines Restaurants, von denen der eine noch nebenher Kickboxer ausbildet. Sein Mann kommt zu spät zum natürlich fingierten Kampf, also verpflichtet er seinen Kollegen, einen Koch. Der streubt sich, er kann doch gar nicht boxen – egal. Die anderen zwei sind Geschäftsmänner, die während des Kampfes dort doch eigentlich nur essen gehen wollten und an deren Platz sich ausgerechnet der Yakuza mit seiner Bande setzt, der auch den Kampf geschmiert hat. Und dann schließlich noch zwei jugendliche Kleinkriminelle, die während des Kampfes einen Koffer mit Geld klauen wollen. Man greift natürlich zum Falschen, wie man in Sabus Filmen immer nur das Falsche machen kann: Der Koch gewinnt, blöderweise, den Kampf, der Yakuza ist sauer, schießt um sich, trifft einen der Kleinganoven, die Polizei razzt, schießt ebenfalls um sich. Alle sechs fliehen, alle in andere Richtungen, ab ins nächste Auto, ganz egal welches. „Hard Luck Hero“ weiterlesen

The Stratosphere Girl

„Every line leads to somewhere“ – „In a comic everything is possible.“ – „Every comic has a hero on a mission. Hero is a word for what you think is right.“ Mit Sätzen wie diesen charakterisiert die jugendliche Angela (Chloé Winkel) zu Beginn (und im weiteren Verlauf) von The Stratosphere Girl ihre Comiczeichnungen. Sie gibt damit auch eine Anleitung preis, wie diesem Film, der von Anfang an klar ersichtlich als entweder fertiger Comic oder aber als dessen Schaffungsprozess angesehen werden darf, zu folgen ist: Kohärenz des Plots ist nebensächlich, es zählt die Kraft der Phantasie, die wiederum freilich dann doch gewissen Genrekonzessionen verpflichtet ist. „The Stratosphere Girl“ weiterlesen

Rivers & Tides

Rivers and Tides, Deutschland 2001, Thomas Riedelsheimer

„Kunst“ ist immer auch die mutwillige Veränderung des Zustandes einer Ressource in einen anderen, eine vorher so nicht da gewesene Form oder Zusammensetzung. Gefühlskalt liesse sich auch Zerstörung auf diese Art fast wortgenau definieren. Der Zusammenhang zwischen Kunst und Zerstörung ist somit ein ganz immanenter der Wesensverwandtschaft. „Rivers & Tides“ weiterlesen

Keine Buddel voll Rum

Master and Commander – Bis ans Ende der Welt, Peter Weir, USA 2003

Das Spiel ist altbekannt: Ist ein Genre (oder ein Motiv) erst mal gut abgehangen und lange Zeit nicht mehr beackert worden, zerrt es irgendwer wieder aus den Kellern der Filmgeschichte empor. Legitimität verleiht man dem meist unter Argumentierung einer Authentizität, die sich nunmehr entweder auf historisch-narrativer oder auf ästhetischer Ebene einstelle. So nimmt es nicht viel Wunder, dass Peter Weir sich in seiner Belebung des klassischen Seefahrerfilms – nach Pirates of the Carribean bereits die zweite dieses Jahr, wenn auch zu diesem sich geradezu antithetisch verhaltend – auf Patrick O’Brians Romanreihe Master and Commander stützt, die sich weit weniger auf die epischen Qualitäten des Segelns unter britischer Flagge konzentriert, sondern um eine Vermittlung des beinharten Alltags auf hoher See bemüht ist. „Keine Buddel voll Rum“ weiterlesen

Charlie’s Angels?

Heiße Katzen, Großbritannien 1966, Ralph Thomas

Nicht nur die offensichtliche Zitation von Monty Normans berühmtesten Filmmusikthema, auch die Charakterzeichnung des Helden Hugh „Bulldog“ Drummond (Richard Johnson), wie überhaupt dessen Gesichtszüge und die Verwendung der deutschen Synchronstimme von Sean Connery, lassen keinen Zweifel: Hier wird sich ohne Scheu an James Bond angelehnt. Auch die stellenweise reichlich abstrus konstruierte Geschichte ist am großen Vorbild orientiert: Ein skrupeloser Bösewicht hat sich aufgemacht, um sich mit allerlei Finten und Tricks – darunter auch so Kleinigkeiten wie etwa Mord – an den Ölkonzernen zu bereichern, diese gegenseitig auszuspielen und, wenn es sich einrichten lässt, zumindest die ökonomische Weltherrschaft an sich zu reißen. Ein Squad so verführerischer wie gefährlicher Frauen, die titelgebenden „Heißen Katzen“, dient ihm beim trickreichen Ausschalten seiner Gegenspieler. Hierfür nun wiederum scheint Emma Peel ein wenig Patin gestanden zu haben, die in Mit Schirm, Charme und Melone, in den 60ern ebenso überaus erfolgreich, mit ähnlich aufreizendem Effekt im TV gelegentlich zur Waffe griff. Man kann der Ökonomie des B-Movies – „Reize aus, was der zahlfreudige Kunde bereits kennt und schätzt, und verdopple es!“ – förmlich beim Arbeiten zusehen. „Charlie’s Angels?“ weiterlesen

Ipcress

Ipcress – Streng Geheim, Großbritannien 1965, Sidney J. Furie

Im England der 1960er Jahre stellen die Top-Wissenschaftler des Landes eine heiß umkämpfte Ressource dar. Nicht nur, dass sie abgeworben werden, sie werden auch entführt und einer perfiden Gehirnwäsche unterzogen, die dem wissenschaftlichen Standort zunehmend zusetzt. Der lakonische und höchst zwielichtige Agent Harry Palmer (Michael Caine) wird auf den Fall angesetzt und sieht sich binnen kürzester Zeit in einem kaum mehr durchschaubaren Knoten aus Intrigen und Fallen verstrickt, der ihm zur existenziellen Erfahrung wird. „Ipcress“ weiterlesen

Ein paar Leichen

Ulrich P. Bruckner: Für ein paar Leichen mehr. Der Italowestern von seinen Anfängen bis heute, Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2002

Der Italowestern gehört offenbar selbst schon seit langem zu jenen Leichen, die er in seinen reißerischen Filmtiteln oft beschwört. Verging zu seinen Hochzeiten kaum eine Woche ohne einen, manchmal auch zwei oder drei neue Western made in Italy, erfährt er in der schnelllebigen italienischen Filmproduktion mittlerweile nur mehr im Dekadenturnus Gnade. Und dennoch: Die Faszinationskraft der ganz vordergründig auf Physis hin inszenierten und moralisch oft faszinierend sorglosen Filme – das heißt: zumindest die der besseren – ist bis heute ungebrochen. Kein Interview mit Quentin Tarantino über Kill Bill Vol.01 (USA 2003) in diesen Tagen, in dem nicht Leones Epen die Referenz erwiesen wird. Eine jüngste, sehr sorgfältig produzierte DVD-Veröffentlichung von Spiel mir das Lied vom Tod (Sergio Leone, Italien 1968) stellte jüngst ein kleines Medienereignis für sich dar, inklusive luxuriöser limitierter Edition mit einer Mundharmonika als Dreingabe und einmaligen Ehrenvorführungen in ausgesuchten Kinos im ganzen Land. In Internetforen vernetzen sich die zahlreichen Fans und schanzen sich gegenseitig heißbegehrte Sendetermine im Nachtprogramm oder weltweite DVD-Veröffentlichungstermine zu.
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Kreuzberger Kleinkunst

Frank Behnke (Hrsg.): Das System Klaus Beyer, Berlin: Martin Schmitz Verlag 2003

D.I.Y., also “Do it yourself”, ist nicht nur Parole und Glaubensbekenntnis ungezählter Flanellhemdträger mit Heimwerker-Ambitionen, es ist auch Kampfbegriff und identitätsstiftendes Moment jener Punk-Subkultur, die, jenseits von Kommerz und Major Labels, totale Kontrolle über das eigene Werk als Ideal formuliert. An Platten alleine hält sich das nicht auf: Selbstkopierte Fanzines, oft liebevoll mit Uhu und Schere gestaltet, ungewöhnliche Plattencover aus selbstbedrucktem Jutestoff oder gleich aus Pappe selbstgefaltet bis hin zum im Wohnzimmer veranstalteten Konzert sind die Markenzeichen jener Bewegung. Im Jahr 1978, dem Jahr als die erste große kommerzielle Punkwelle zusehends degenerierte (und somit letztendlich auch den ersten Nährboden für den folgenden Underground stellte), sollte auch ein zweites Großereignis der Geschichte der D.I.Y.-Kultur stattfinden, weitab von Punk und Jugendrebellion allerdings: Klaus Beyer, gelernter Kerzenwachszieher, bezieht in Kreuzberg eine Ein-Zimmer-Wohnung.
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Katastrophenfilme

Manfred Hobsch: Das große Lexikon der Katastrophenfilme., Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag 2003

Nicht nur die Größe der Leinwand macht das Kino „bigger than life“, auch die darauf gestrahlten Spektakel lassen die Koordinaten des Alltags oft weit hinter sich. Besonders Katastrophen in allen Facetten und Erscheinungsformen gehören zu den sensationellen Dauerbrennern der Filmgeschichte: Die Darstellung sorgt für aufsehenerregende und gut vermarktbare Schauwerte, die das Publikum im sicheren Saal erstaunen und erschaudern lassen, die mit der Katastrophe einhergehende Schilderung persönlicher Schicksale sorgt für emotionale Rührung, das in der Regel siegreiche Überwinden für Triumphgefühle. Und natürlich lassen sich rückblickend auch ganz vortrefflich gesellschaftliche Diskurse anhand der Filme ablesen. Ob nun in den 50ern die Angst vor den Kommunisten den Ufos die Genese im Kinosaal bescherte, ob in den 90ern unbändige Naturgewalten die Metropolen bedrohten oder ob Godzilla über Jahrzehnte hinweg, ähnlich den Atombomben auf Hiroshima oder Nagasaki, jede nennenswerte Siedlung Japans platt walzte: Immer ist die filmische Erzählung von der Katastrophe auch die sozialer Befindlichkeiten und Selbstverständnisse.
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Das Coen-Feeling

Ein (un)möglicher Härtefall, USA 2003, Joel Coen

Die Ehe genießt als Institution in den Filmen der Coens seit jeher einen denkbar schlechten Stand. Bereits im Debüt der beiden, Blood Simple (USA 1984), bildete eine schon vor Beginn des Film hoffnungslos in die Brüche gegangene Ehe die Kulisse für die gegenseitige brutale Zerfleischung der beiden Eheleute (und aller Beteiligten). In Fargo (USA 1996) ließ der Gatte seine Gattin entführen, in O Brother Where Art Thou? (USA 2000) diente die Suche nach dem benötigen Kitt einer ebenso in die Brüche gegangenen Ehe zum Anlass einer Odyssee quer durchs weite Land um den Mississippi, in The Man Who Wasn’t There (USA 2001) macht sich Billy Bob Thornton die Seitensprünge seiner Gattin gefühlskalt zunutze. Die Ehe mit ihren zahlreichen gegenseitigen Verpflichtungen und den damit einhergehenden personellen Beziehungsgeflechten dient den beiden Feuilleton-Lieblingen im wesentlichen als Matrix für ihre Anordnungen mikrosozialer Kleinstmaschinen, die, einmal sorglos angelassen, kaum mehr noch zu stoppen sind, am wenigsten von den darin Gefangenen selbst. Romantik findet auf dieser Spielwiese des sophisticated humor a priori keinen Platz. So ist es nur als doppelt ironisch gebrochen zu bezeichnen, wenn George Clooney als Staranwalt Miles Massey im neuesten Film der Coen Brüder ausgerechnet als Eröffnungsredner eines Kongress von Eherechtsanwälten seinen Aufsatz zerreit und so geläutert wie mitreißend verkündet, seinen Zynismus beiseite gelegt zu haben und endlich, ja endlich die eine große wahre Liebe im Leben gefunden zu haben. Trotz andernweitiger Hinweise – Zaghafter Applaus, dann standing ovations, Schulterklopfen, Umarmungen folgen diesem euphorischen Plädoyer, als der zuvor so eitle Anwalt mit halb aus der Hose hängendem Hemd durch die Massen Richtung Ausgang schreitet – kann das nur nicht ernst gemeint sein, selten haben die Coens so böse ihr Spiel mit der Liebe getrieben. Denn dass sich die nunmehr gefunden geglaubte Liebe nur wenig später als sorgfältig geplante Falle herausstellt, sollte jedem, vor allem eigentlich Massey selbst, bereits im Vorfeld klar sein: Marylin Rexroth (Catherine Zeta-Jones), das Objekt der Begierde, stand nur kurz zuvor noch auf der juristisch gegnerischen Seite, als Gattin eines Mandanten von Massey, der diese in einer wahnwitzigen Gerichtsverhandlung um das bereits zum Greifen nahe Vermögen ihres Ex-Gatten brachte. Ein berechnendes Heiratsluder, wie es im Buche steht, eine fleischfressende Pflanze, deren klebrige Blätter sich lange schon um die Fliege Massey gelegt haben. „Das Coen-Feeling“ weiterlesen

Der Mann ohne Vergangenheit

Blue Moon, Österreich 2002, Andrea Maria Dusl

Man hätte diesen Film auch ganz anders inszenieren können: Ein Mann, von dessen Vergangenheit wir wenig – ja gar nichts, eigentlich – wissen, verbockt eine Geldübergabe, deren Hintergründe wir nicht kennen. Eine so schöne wie geheimnisvolle Frau rettet ihn aus dieser misslichen Situation, dem folgt eine Irrfahrt quer über den (ost-)europäischen Kontinent, an deren Ende es doch nur noch um eine Sache gehen kann: Dass beide sich, wie auch immer, kriegen. Man hätte ein Genre-Einerlei draus machen können, mit etwas Action hier und da, mit etwas behaupteter Dramatik und Sentiment. Einen Film wie viele andere auch: Schnell gedreht, gesehen, vergessen. Regisseurin Andrea Maria Dusl hat sich anders entschieden. Zum Glück. „Der Mann ohne Vergangenheit“ weiterlesen

Der Kollaps des White Trash

Spun, USA/Schweden 2002, Jonas Åkerlund

Jonas Åkerlund lässt in Spun die Zeichenwelt des White Trash förmlich implodieren. Vielleicht ist ja seine Vergangenheit als Schlagzeuger des schwedischen Black-Metal-Urgesteins BATHORY in den 80ern Jahren die beste Voraussetzung hierfür. War es doch diese, ironischerweise, wohl weißeste aller Musikspielarten, die den erdigen, ehrlichen Rock wieder mit Metaphysik und einem Spiel mit den Zeichen auflud und sich, für viele Anhänger, als Ersatzreligion installierte. Es mag wirklich diesem biografischen Detail geschuldet sein, dass sich SPUN souverän in erster Linie – auch mittels eines hektischen, nervösen Schnitts – auf die zeichenhaften Details der Alltagskultur jenes White Trash konzentriert. „Der Kollaps des White Trash“ weiterlesen

„Irgendwann wird’s lächerlich“

Woran erkennt man einen Horrorfilm? Am großzügigen Gebrauch unstet flackernder Lichter, an dichter Schwärze, die unheilvoll hinter nur einen Spalt weit geöffneten Türen hervorlugt, an undeutlichen Bewegungen im Dunkeln, die genauso gut auch nur auf ein irritiertes Auge zurückführbar sein könnten, an einem Telefon, das stille Momente der Anspannung lautstark und überraschend durchtrennt, oder aber an einer Bewegung in eine Richtung, die man nicht hätte einschlagen sollen. Und so weiter und so fort. Dies sind zuvorderst wahrnehmbare Elemente, die, unter anderem, einen Horrorfilm zu einem solchen machen. Nicht schon zwangsläufig zu einem guten, gewiss. THEY – SIE KOMMEN, von Hitcher-Regisseur Richard Harmon bereits im letzten Jahr inszeniert, bietet im wesentlichen genau eine solche Aufzählung einzelner Gruselelemente. Allein, die Summe der einzelnen Teile ergibt kein Mehr. „„Irgendwann wird’s lächerlich““ weiterlesen

Die Zeichen der Macht – die Macht der Zeichen

Aguirre – Der Zorn Gottes, Deutschland 1973, Werner Herzog

Klaus Kinski und Werner Herzog. Zwei Namen, zwei Genies, eine Legende der deutschen Filmgeschichte. Zahlreiche Mythen ranken sich um das gemeinsame Schaffen der beiden – seien es die berüchtigten, oft stundenlangen Wutausbrüche Kinskis während der Dreharbeiten, sei es die Legende von Herzog, der während der Aufnahmen den agierenden Kinski vom Regiestuhl aus stets mit dem Gewehr anvisiert habe. 16 Jahre dauerte die kreative Allianz der beiden, fünf Filme wurden in dieser Zeit geschaffen. Mit Aguirre, der Zorn Gottes wurde im Jahr 1973 der Grundstein für den noch immer lebendigen Mythos gelegt. „Die Zeichen der Macht – die Macht der Zeichen“ weiterlesen

„Ich war noch niemals in New York!“

In Gammesfeld, irgendwo im Schwäbischen, gehen die Uhren anders. Nämlich analog. Digitales ist hier, zumindest in der örtlichen Raiffeisenbank, nicht erwünscht. Deswegen ist Gammesfeld auch so berühmt. Der alte Betreiber der Bank, Fritz Vogt, war schon Gegenstand zahlreicher interessierter wie verwunderter Zeitungsartikel und sogar schon mal, spätabends, beim Kerner im TV. Da hat er sich aber zusammengerissen und nicht so sehr geschwäbelt wie in diesem – stellenweise untertiteltem! – Film. Die einzige Bank Deutschlands, die noch komplett ohne Computer funktioniert – das macht Gammesfeld zur regionalen Attraktion. Und die Bewohner des Dorfes wollen ihre Bank auch gar nicht anders: Man kennt sie eben von Kleinauf so, dem Vogt, dem vertraue man eben, mehr als so einer digitalen, unpersönlichen Maschine und so ganz will man sich dem raffenden Kapital eben auch nicht hingeben. Da schwingt man dann schon fast eine bedenkliche Provinzrenitenz mit. Obendrein bedeutete eine Computerisierung alleine schon durch die Anschaffungs- und Umstellungskosten den Tod für die kleine Filiale und ein Mehr an Zinsen ist bei analoger Buchführung sogar auch möglich: Den Schwaben freut’s. „„Ich war noch niemals in New York!““ weiterlesen

Dumm gelaufen!

Dumm und Dümmer (Peter und Bobby Farrelly, USA 1994) ist, im Nachhinein betrachtet, wohl wirklich eine der wichtigsten Komödien des vergangenen Jahrzehnts. Einerseits zementierte sie Jim Carreys Status als Autorenkomiker und Kultfigur, auf der anderen Seite stellte der Film eine Art Archetypus der Komödie der Spätneunziger dar: Zwar im Grad der Absurdität der Gags mit den Produktionen von Zucker/Abrahams/Zucker (u.a. Hot Shots! (Jim Abrahams, USA 1991), Die Nackte Kanone (David Zucker, USA 1988)) verwandt, gewann Dumm und Dümmer, im Gegensatz zu den ZAZ-Filmen, einen humoristischen Mehrwert nicht etwa durch eine bloße intertextuelle Parodie motivischer und ästhetischer Ikonen der Filmgeschichte, sondern durch eine konsequente Bezugnahme auf eine außerfilmische Realität. Angesichts des stabil bleibenden Erfolgs des Films in jeder Auswertungsstufe mag es verwundern, dass Dumm und Dümmer für eine so lange Zeit keine Fortsetzung zur Seite gestellt bekam. Es mag in der Tat am Widerwillen der beiden Hauptdarsteller gelegen haben, dies zumindest legt die Besetzungsliste des zweiten Streichs nahe: Zeitlich vor dem ersten Teil angesiedelt, erleben wir Harry (Derek Richardson) und Lloyd (Eric Christian Olsen) als pubertierende Teenager.
„Dumm gelaufen!“ weiterlesen

Außer Puste

Johnnie To ist ohne weiteres einer der herausragendsten Regisseure, die Hongkong derzeit zu bieten hat, vielleicht sogar einer der interessantesten Genreregisseure der Welt. Zwar rekrutiert sich seine Filmografie zum nicht geringen Teil aus künstlerisch weniger wichtigen Auftragsarbeiten, jedoch finden sich neben diesen Filmen immer wieder auch die Arbeiten eines Auteurs reinsten Wassers: Immer dann, wenn To ganz bei sich ist, seiner Cinephilie vollen filmischen Ausdruck verleihen kann, entstehen in der Regel sorgfältig durchdachte Genrevariationen, formal, narrativ wie ästhetisch Ausnahmeerscheinungen, kurz: aufregendes, innovatives Kino! RUNNING OUT OF TIME (Hongkong 1999), der vor wenigen Jahren To auch hierzulande einem breiteren Programmkino-Publikum erschloss, stellt ein solches Beispiel aus der ambivalenten Filmografie des Regisseurs dar: Ein gegen den Strich des Triadenfilms inszenierter, melancholischer und gewitzter Gangsterfilm, fast vollständig in kalte Blautöne getaucht, dessen verzwickte Story sich – im Gegensatz zu vielen, vergleichbaren Schnellschüssen der Ex-Kronkolonie – noch bis ins Detail elegant und schlüssig auflöst. Einer der großen Konsensklassiker des jüngeren, von Krisen arg gebeutelten Hongkong-Kinos. Eine hohe Meßlatte also für das Sequel, das zwei Jahre später nachgeschoben wurde und nun im Rahmen der noch jungen, vielversprechenden „Cine Magic Asia“-Reihe des Anbieters e-m-s auch hierzulande, wenn auch nur auf DVD, Premiere feiern darf.
„Außer Puste“ weiterlesen

Die Folterkammer des Hexenjägers

Zwei Motive ziehen sich durch den Horrorfilm vor allem klassischer Prägung: Der Mythos zum einen des genialischen Wissenschaftlers, der sich zu zwielichtigen Experimenten in dunkles Gemäuer zurückzieht, sowie zum anderen der des Halbwesens, das desnächtens junge Damen – oft mit sexueller Konnotation verbunden – in seinen Bann zieht, ziehen muss, da dies oft die einzige Möglichkeit für das, in der Regel eher melancholische, Wesen ist, Sexualität auszuleben.

„Die Folterkammer des Hexenjägers“ weiterlesen