Räuber (und Gendarm)

Anlässlich eines unfreiwilligen Bewerbungsgesprächs beim mysteriösen „Syndikat“ lernt der dreifach vorbestrafte Franz (Rainer Werner Fassbinder) den mehrfachen Mörder Bruno (Ulli Lommel) kennen. Flugs wird der in die Münchner Wohnung eingeladen, wo er sich bei Franz und dessen Geliebter, der Prostituierten Johanna (Hanna Schygulla), einquartiert. Die Spannung zwischen den Dreien entlädt sich in einer komplizierten Dreiecksbeziehung und dann auch in diversen Morden, bevor die unheilvolle Freundschaft schließlich in einem geplanten Banküberfall kulminiert …

liebe-ist.jpgErwachsene Menschen spielen Gangster in einem Film, der dem autodidaktischen Regisseur wiederum als Bühne dient, auf der er den Regisseur vom Schlage eines Godard, Melville oder auch eines Raoul Walsh spielt: So könnte man das Wesen und die innere Spannung von Fassbinders Frühwerk „Liebe ist kälter als der Tod“ beschreiben. Schon in den Credits steckt Fassbinder, damals gerade 24, seinen Claim ab, bedankt sich bei Claude Chabrol und Eric Rohmer (letzterer taucht im Film noch einmal im Namen der Figur Erika Rohmer auf), zitiert ausgiebig Nouvelle Vague und Film Noir und verleiht seinem Film damit eine Leichtigkeit, die ob der theaterhaften Inszenierung und der bedeutungsschweren Dialoge mehr als verblüfft. „Liebe ist kälter als der Tod“ ist trotz aller Artifizialität ein lupenreiner Genrefilm, der inszenatorisch und stilistisch eindeutig in seiner Zeit verortet werden kann. Dennoch wird sich auch der Kinogänger der Gegenwart schnell in Fassbinders Film zurechtfinden können: Die Einsamkeit des Außenseiters, die Romantisierung des Gangsterlebens, die Unmöglichkeit der ewigen Liebe und Freundschaft, die Fassbinder thematisiert, sind thematische Konstanten. Fassbinder hat seine Vorbilder sehr genau studiert: Er lässt seine Dialoge vor weißen Wänden aufsagen, bedient sich eines Guckkasten-artigen Bildaufbaus, der seine Akteure immer wieder zwingt, aus dem Bild heraus- oder in dieses hineinzulaufen und greift auf klassische Insignien des Genres zurück: Sonnenbrillen, Hüte, Lederjacken, Trenchcoats mit hochgeklapptem Kragen, Waffen und immer wieder Zigaretten.

Sein erster Spielfilm scheint Fassbinder vor allem eine Möglichkeit gegeben zu haben, sich selbst und seine Schauspieler als Filmfiguren zu stilisieren: Fassbinder als Franz ist sowohl der Rebell, den Marlon Brando, als auch der ungehobelte Klotz, den James Cagney zu spielen pflegten, Ulli Lommel imitiert Alain Delons eiskalten Engel, Hanna Schygulla, das Protegé des Regisseurs, gibt die heilige Hure. Oft kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier durchaus auch Humor im Spiel gewesen sein muss, wenn die drei überzeichneten Charaktere durch die piefige Tristesse der Münchner Vorstadt laufen und mit Maschinenpistolen hantieren, die sie jedoch nur offscreen abfeuern. Doch alle Naivität wird überlagert von Fassbinders unbestreitbarem inszenatorischem Geschick, etwa wenn er den auf Franz einredenden Polizisten bei dessen nervösem Hin-und-Her mit der Kamera verfolgt und dabei das Objekt der Szene immer wieder aus dem Blick verliert; oder wenn Franz sich im zentralen Dialog des Films an seine Geliebte wendet und sich plötzlich Bruno von unten ins Bild erhebt.

Wie sehr die Ebenen, Film-Inneres und -Äußeres, zusammenfallen, wird indes besonders deutlich, wenn man eine der schönsten Szenen des Films, in der die drei Freunde Sonnenbrillen für den kommenden Coup in einem Kaufhaus stehlen, während sie die Verkäuferin mit Fragen über verschiedene Modelle (die sie wiederum aus Filmen kennen) löchern, mit einer Anekdote Lommels abgleicht. Dieser berichtet, wie Fassbinder den über das kommende Projekt völlig im Unklaren befindlichen Schauspieler am ersten Drehtag in ein Kaufhaus schickte, um sich dort die passende Kleidung für seine Rolle zu kaufen. Auf die Frage Lommels, wie diese Kleidung denn aussehen müsse, antwortete Fassbinder: „Hut, Sonnenbrille und Trenchcoat. So wie Alain Delon in ,Der eiskalte Engel’“.

Liebe ist kälter als der Tod
(Liebe ist kälter als der Tod, BRD 1969)
Regie: Rainer Werner Fassbinder, Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder, Kamera: Dietrich Lohmann, Musik: Holger Münzer, Peer Raben, Schnitt: Rainer Werner Fassbinder
Darsteller: Ulli Lommel, Hanna Schygulla, Rainer Werner Fassbinder, Katrin Schaake, Irm Hermann
Länge: 88 Minuten
Verleih: Arthaus

Zur DVD von Arthaus

„Liebe ist kälter als der Tod“ wird technisch absolut angemessen präsentiert. Das Schwarzweißbild ist gut, wenn auch sicher nicht von höchster Brillanz, was jedoch nicht zuletzt im Ausgangsmaterial selbst begründet scheint. Der Ton ist in manchen Passagen etwas schlecht abgemischt, Dialoge werden ab und zu von den Geräuschen übertönt. Eine kleine Störung am Ende scheint auf einen Filmriss zurückzugehen. Dennoch ist die DVD uneingeschränkt zu empfehlen. Dafür sorgen neben der schönen Menügestaltung vor allem die beiden kurzen Featurettes: Im längeren der beiden (ca. 19 Minuten), aus dem auch die oben zitierte Anekdote stammt, erzählen Hanna Schygulla und Ulli Lommel über die Arbeit mit Fassbinder im Allgemeinen und an „Liebe ist kälter als der Tod“ im Besonderen, im kürzeren (ca. 5 Minuten) schildert Irm Hermann, wie sie unter dem Stigma der ewigen Fassbinder-Nebendarstellerin zu leiden hatte.

Zur Ausstattung der DVD:
Bild: 1,78:1 (anamorph)
Ton: Deutsch (Dolby Digital Mono)
Extras: „Du liebst mich sowieso“ – Ulli Lommel und Hanna Schygulla über „Liebe – kälter als der Tod“, Statement von Irm Hermann, Biographie R. W. Fassbinder, Fotogalerie, Trailer
Länge: 88 Minuten
FSK: Ab 16
Preis: 19,99

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