Coffee and Pie – Oh my!

Eines der Lieblingsthemen der dem Kulturpessimismus verpflichteten Medien ist die Jugendsprache. Durch Talkshows und Feuilletons geistern in regelmäßigen Abständen die Mütter, die ihre Kinder nicht mehr verstehen, und Lehrer, die an den sprachlichen Fertigkeiten ihrer Schüler verzweifeln. In seinem beängstigend perfekten Debüt BRICK greift Regisseur Rian Johnson dieses Thema mit großem Geschick und verblüffender Wirkung auf, ohne sich des mahnenden Tonfalls der Spachpuristen zu bedienen. Vielmehr stilisiert er die Jugendsprache als Äquivalent zum Gossenslang der hardboiled-Literatur und verleiht ihr so die zustehende poetic justice.
FFF 2006 Der Außenseiter Brendan (Joseph-Gordon Levitt) sucht seine Ex-Freundin Emily (Emilie de Ravin). Ein mysteriöser Anruf von ihr, in dem sie panisch um Hilfe fleht, stellt den Jungen vor ein Rätsel, die Begriffe „Pin“, „Brick“, „Tug“ und „Poor Frisco“, die in ihren Ausführungen auftauchen, ergeben für ihn keinen Sinn. Wenige Tage später ist Emily tot. Um ihren Tod aufzuklären, muss Brendan die leeren Begriffe mit Bedeutung füllen.

BRICK ist ein klassischer Film Noir: Es gibt den Detektiv, die Femme Fatale, eine wendungsreiche Geschichte voller Überraschungen, ein dunkles Geheimnis jede Menge blauer Augen, blutiger Nasen und Tote. Statt im dunklen Asphaltdschungel New Yorks oder Los Angeles’ versetzt und BRICK jedoch in die sonnige Welt einer kalifornischen Kleinstadt-Highschool. Die griffige Beschreibung „Film Noir trifft Highschool-Film“, mit der man BRICK zu kategorisieren sucht, ist jedoch so voreilig wie irreführend: In BRICK gibt es (bis auf zwei Ausnahmen) keine Erwachsenen und auch keine Welt außerhalb des Highschool-Universums. Johnson verlegt die klassische Noir-Welt nicht einfach in eine andere, er spiegelt sie vielmehr in seiner Highschool-Welt und enttarnt an dieser das Dunkle und Bedrohliche.

Diese Methode findet sich auch auf der Inhaltsebene: In BRICK geht es um das Codieren und Decodieren. Um die Bedeutung der vier Begriffe kennen zu lernen, stellt Brendan Nachforschungen an, die es immer wieder erforderlich machen, dass er andere Zeichen entschlüsselt. Dabei hilft ihm nicht zuletzt The Brain, ein bebrillter Nerd, der immer nur verbal in die Handlung eingreift, oft nur als Stimme am Telefon anwesend ist und sich am Ende als alter ego des Protagonisten entpuppt. So wie Brendan in einem Symbol einen Ort wiedererkennen oder Licht ins Dunkel eines Raumes bringen muss, indem er mit einem Spiegel das Sonnenlicht reflektiert, so muss der Zuschauer erst den Sprachcode der Protagonisten entschlüsseln. Es dauert eine Weile, bevor man etwa versteht, dass „zusammen zum Lunch gehen“ gleichbedeutend ist mit „ein Liebespaar sein“ und dass der Frage, wer mit wem wann und wo zum Essen geht, in der vom Gruppenzwang geprägten Highschool-Umwelt beinahe lebenswichtige Bedeutung zukommt.

Der Film Noir lebt von der Dunkelheit, die das Wesen der Dinge verbirgt, und von der Suche nach der Wahrheit im Dunkel. In BRICK regnet es nicht und meist scheint die Sonne, dennoch liegt in BRICK Einiges verborgen: Alles ist Träger von tieferer Bedeutung, die geborgen werden will, nichts ist einfach nur das, was es zu sein scheint. Lediglich der „Brick“ ist am Ende einfach ein solcher  – und dann wieder doch nicht. Ein ausgezeichneter Film mit famosen Dialogen, die auch in literarischer Form noch funktionieren würden. Ob eine synchronisierte Fassung dem gerecht wird, muss bezweifelt werden.

Brick
USA 2005)
Regie: Rian Johnson, Drehbuch: Rian Johnson, Kamera: Steve Yedlin, Musik: Nathan Johnson, Schnitt: Rian Johnson
Darsteller: Joseph Gordon-Levitt, Nora Zehetner, Lukas Haas, Noah Fleiss, Matt O'Leary
Verleih: Senator Film
Länge: ca. 110 Minuten 

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