Ein Bus gibt nicht auf

Die Sequenz hat Filmgeschichte geschrieben: Ein Greyhound-Bus rollt gemächlich durch Phoenix, sein Weg von schwer bewaffneten Polizisten gesäumt. Auf ein Kommando hin eröffnen sie alle das Feuer auf das Fahrzeug, schießen es buchstäblich in Stücke. Und trotzdem rollt der Bus unbeirrbar weiter – Clint Eastwood als Polizist Ben Shockley hatte zuvor um seinen Fahrersitz eine Kabine aus dicken Bleiplatten gebaut. Erst vor dem Gerichtsgebäude kommt er zum Stehen, steigt aus, verwundet, mit der wichtigen Zeugin, die gegen Polizisten aussagen soll, an der Hand.

In „Ein Mann gibt nicht auf“ (The Gauntlet Clint Eastwood, 1977) konnte nur dieses uramerikanische Massen-Ferntransportmedium seinen Passagier letztendlich ans Ziel bringen. Die zu überbrückende Strecke betrug auch immerhin ein paar hundert Meilen. In Richard Donners „16 Blocks“ ist der Bus keine ausreichende Zuflucht mehr für seinen geschundenen Helden: Die Strecke ist zwar kürzer geworden, die Tabuzonen, die (zumindest kurzfristigen) Schutz bieten können, aber auch seltener. So sucht der Trinker Jack Mosley (Bruce Willis) mit seinem Zeugen zuerst seine Stammkneipe auf, hofft hier, vor den Verfolgern seine Ruhe zu haben (was natürlich nicht der Fall sein wird). Eastwood dagegen konnte 1977 in einem abgelegenen Haus für kurze Zeit und später in einer Höhle für eine ganze Nacht rasten. Überhaupt, während Eastwood ständig auf der Suche nach neuen Fortbewegungsmitteln war, um sein Ziel zu erreichen, will Bruce Willis‘ Charakter in „16 Blocks“ am liebsten irgendwo abwarten, bis Verstärkung kommt.

„The Gauntlet“ war ein Western, im Gewand eines (damals) zeitgemäßen Actionfilms. Es ging um den großen Traum von unbegrenzter Freiheit, die man sich mit Tapferkeit und Verbissenheit auch erkämpfen kann. Der kitschige Pathos, den „The Gauntlet“ in seiner Aussage transportierte, spiegelte sich in überzeichneten Details: Da gab es die skurrilen, kaum funktionierenden Actionszenen, den dummen Durchschnittscop als Protagonisten und die Hochzeitspläne, die Eastwood mit seiner Zeugin bereits nach wenigen Stunden Zusammenseins schmiedete. „16 Blocks“ ist kein getarnter Western mehr, er kann auf die ironischen Spitzen verzichten und seinen Plot sehr viel naturalistischer bebildern. Der Traum ist ein anderer geworden, und Bruce Willis gibt nicht die eindimensionale gescheiterte Existenz, die Eastwood noch verkörperte. Donners Film bindet seinen Protagonisten viel tiefer in den Plot ein, spendiert ihm sogar einen Hintergrund, der die Grundlage für einen herrlich logischen Plot-Twist bietet. Shockley war ein Trinker, weil er nichts Besseres zu tun hatte. Mosley dagegen trinkt, weil er etwas vergessen will. „People can change“, beteuert Mos Def, der den Schutzbefohlenen gibt, „and people do change, look at Barry White!“

Auch in „16 Blocks“ wird ein Bus gekapert, wenn auch kein Greyhound, sondern nur ein städtischer Bus. Doch der Bus taugt nichts, schon nach wenigen Metern sind die Reifen zerschossen, der Fahrer verliert die Kontrolle, der Bus kommt zum Stehen. Die Bleiplatten, die Eastwood noch schützten, gibt es nicht mehr, an ihre Stelle ist ein bloßer Sichtschutz in Form von Zeitungen, die über die Fenster geklebt wurden, getreten, und eine Handvoll Geiseln. In diesem Bus beginnt der Film, und hier knüpft er auch wieder an, nachdem er seine Vorgeschichte erzählt hat. Und hier wendet sich Donner auch vom Vorbild ab und dreht seinen Film in eine andere Richtung. Während sich Eastwoods Charakter in sturem Ehrgeiz vor allem selbst seine eigene Kompetenz zu beweisen hatte, will sich Mosley seine Menschlichkeit beweisen, zeigen, dass davon noch etwas übrig ist. Dabei emanzipiert er sich sogar von seinem Schützling – ein Schritt, den Eastwood in „The Gauntlet“ nicht vollzogen hat.

Donner hat mit „16 Blocks“ zwar einen ernsteren und komplexeren „The Gauntlet“ gedreht, aber keinen besseren. Wenn sich nämlich Eastwoods abenteuerlicher Pathos in Anti-Actionszenen entlädt und er seinen Protagonisten zu Beginn als Anachronismus klassifiziert, der erst langsam (wieder) in die Gesellschaft hinein wächst, dann stellt genau diese ironische Distanz den kitschigen Inhalt in Frage und relativiert ihn dadurch. Donner dagegen verweigert sich der Ironie, weil „16 Blocks“ weniger direkt in eine klischeehafte Auflösung mündet. Schade nur, dass sich der Film sein Szenengerüst bereits aus einer Aneinanderreihung von Klischees gebaut hat. Und diesen wiederum hätte ein wenig Ironie ganz gutgetan.

16 Blocks
USA 2006
Regie: Richard Donner; Buch: Richard Wenk; Kamera: Glen MacPherson; Schnitt: Steve Mirkovich; Musik: Klaus Badelt
Mit: Bruce Willis, Mos Def, David Morse, Jenna Stern, Casey Sander, u.v.m.
Länge: 105 Minuten
Verleih: Warner Bros.
Kinostart: 20. April 2006

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