Higher Tension

Nach dem sagenhaft guten, jedoch viel diskutierten und -zensurierten „High Tension“ musste man sich schon fragen, ob Alexandre Aja seinem Stil treu bleiben kann – einem Stil, der sich durch vollständige Kompromisslosigkeit in puncto Gewaltinszenierung (und damit ist nicht nur deren bildliche Darstellung gemeint) und Narrations-Apokalypse auszeichnet. Durch die sehr nah am 1977er Original orientierte Erzählung von „The Hills have Eyes“ sind der Plot- und Figurenentwicklung in „The Hills have Eyes“ natürlich einige Grenzen gesetzt. Diese kompensiert und überschreitet Aja jedoch in seiner Inszenierung.

Schon im Prolog und während des Vorspanns wird deutlich, dass man es nicht mit einem „normalen“ Backwood-Terrorfilm zu tun bekommt. Die verklärt-witzige 50er-Jahre-Folkmusik, die über ebensolchen Bildern des damaligen Werbefernsehens liegt, wird durch elektronische Ton-Blitze zerhackt und mit kurzen Bildeinblendungen entstellter Föten, Kinder und Erwachsener durchbrochen. Der Diskurs ist scheinbar klar: Es geht um die Folgen der Atombomben-Tests in den Wüsten der USA. Dass die damaligen Kettenreaktionen allerdings nicht nur Kerne, sondern auch mikrosoziale Gefüge „gespalten“ haben, ist das eigentliche Thema des Films.

Eine schon fast anachronistisch wirkende Großfamilie durchfährt auf ihrem Weg an die Westküste jenes Atomtest-Gebiet und wird dort von einer Horde entstellter Hinterwäldler überfallen. Das Familienoberhaupt Bob Carter (Ted Levine) und dessen Frau Ethel (Kathleen Quinlan) werden die ersten Opfer der Mutanten, denn diese haben es offenbar auf den Nachwuchs, die Töchter Branda (Emilie de Ravin) und Lynne (Vinessa Shaw) sowie auf Lynnes Baby abgesehen. In einem Gefecht wird Lynne erschossen und ihr Baby entführt. Während der jugendliche Bobby (Dan Byrd) die Aufgabe des Aufpassers für seine Schwester Brenda übernimmt, macht sich Doug (Aaron Stanford), der Ehemann Brendas, auf den Weg zu den Hinterwäldlern, um sein Baby zurück zu holen. Seine pazifistische Deomkrates-Gesinnung vergisst er dabei schnell.

Der Plot kommt nur zögernd in Gang. Während die Trailer-Familie zunächst vordergründig damit beschäftigt ist, sich selbst als funktionierend zu definieren (wozu vor allem die kleinen Stichelein der beiden Teenager-Geschwister und die Zwistigkeiten zwischen Vater und Schwiegersohn gehören), gährt im Hintergrund bereits der Plan ihrer vollkommenen physischen und psychischen Vernichtung. So ist das zentrale Angriffsziel der Mutanten nach der Ermordung von Vater und Mutter zunächst der weibliche Nachwuchs: Die etwa 16-jährige Tochter wird von zwei der Hinterwäldler gleichzeitig vergewaltigt, ihre ältere Schwester danach zum Opfer eines der skurrilsten sexuellen Übergriffe der Filmgeschichte.

Ganz klar: Hier soll ein Heile-Welt-Schema destruiert werden, mit dem sich der Zuschauer angeblich zu identifizieren hat. Doch was von den 70er („Last House on the Left“) bis in die 90er („Funny Games“) zur Affektproduktion noch tadellos funktionierte, ist in Ajas Film einer dialektischen Pervertierung unterworfen: Zu anachronistisch und damit unglaubwürdig ist das familiäre Gefüge der Reisenden, zu unsympathisch die paternalistische Familienhierarchie, als dass man den Opfern eine Überlebenschance einräumen könnte – das verbieten schon die Gesetze des Genres. Demgegenüber steht eine undurchschaubare Mutanten-Brut, die scheinbar nur aus einer Mutter und zahllosen Söhnen besteht – einzig ein kleines Mädchen names „Ruby“ hat der Mutanten-Clan hervorgebracht. Und dieses Mädchen wird vom Film auch schnell als „Mutation der Mutation“, als Re-Degenerierung, als humanistische Perversion gebrandmarkt, weil es die Pläne der Bruderhorde vereitelt und Mitgefühl mit den Opfern, vor allem mit dem entführten Baby, entwickelt.

Wie in Marcus Nispels Remake von „The Texas Chainsaw Massacre“ sind die kontradiktorischen Familienstrukturen in Ajas „The Hills have Eyes“ also das zentrale Strukturelement der Ideologie des Films. Stets geht es darum, welches Familienkonzept in der „modernen Wildnis des Atomzeitalters“ sich als das überlebensfähigere erweist. Eine Spiegelung der Trailer-Familie findet sich in den bizarr, weil so unglaublich pittoresk wirkende Familien-Stilleben des Potemkin-Dorfes: Kunststoff-Männer, -Frauen und -Kinder bilden die Bevölkerung eines Ortes, der nur gebaut wurde, um von den Atombomben vernichtet zu werden. Seit Jahrzehnten stehen die halb verbrannten und dennoch stets lächelnden Puppen auf ihren Verandas, in den Küchen, Wohn-, und Spielzimmern als geronnenes Sinnbild einer zum Untergang verurteilten Zivilisation. Zwischen ihnen umher wanken die kannibalischen Mutanten, die die Kinder dieser Kultur sind, welche ihnen nun als Nahrung dient.

„The Hills have Eyes“ entfaltet gerade in diesen Szenen ein groteskes, also gleichsam bizarr-witziges wie unheimliches Potenzial. Fast vergisst man den Auftrag, mit dem Doug in dieses „Idyll“ eingedrungen ist, und wird nur durch das Schreien seines Babys und die dann folgende Gewalt-Eskalation wieder aus dem Alptraum dieser Bilder heraus gerissen. Diese zweite „Überfall-Szene“, in der der Rachsüchtige die Mutanten-Familie überfällt, steht dem Angriff der Hinterwäldler auf die Trailer-Familie übrigens in nichts nach – nur weniger koordiniert, weniger ausgetüftelt geplant, viel blutrünstiger (auch in der Wahl der Waffen) ist der Überfall des Gesunden auf die Kranken. Nach dem finalen Blutbad, das der weiße Mittelstandsmann anrichtet, ist überhaupt nicht mehr klar, worin sich beide Sphären eigentlich unterscheiden sollen. Die Schlussbilder – das von den sich umarmenden verbliebenen Trailer-Famlien-Mitgliedern und das Herauszoomen aus dieser Szene in die Optik eines Fernglases, das von einem der überlebenden Mutanten genutzt wird – deuten aber an, dass dieser Kulturkampf noch keineswegs zuende gefochten ist.

Hügel der blutigen Augen
(The Hills have Eyes, USA 2006)
Regie: Alexandre Aja, Buch: Wes Craven & Alexandre Aja, Musik: tomandandy, Kamera: Maxime Alexandre, Schnitt: Baxter
Darsteller: Aaron Stanford, Kathleen Quinlan, Vinessa Shaw, Emilie de Ravin, Dan Byrd, Ted Levine u.a.
Länge: 107 Minuten
Verleih: 20th Century Fox

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