Der Maschine abgerungen

Sam Peckinpah war ein seltsamer Filmemacher. In seiner Bedeutung für das Kino von den 1960er Jahren bis heute kaum zu überschätzen, war er nicht nur ein formaler Innovator des Bewegungskinos, dessen einst revolutionäre Zeitlupenästhetik sich von der tänzerischen Melodramatik eines John Woo bis zu den stilisierten bullet times der Wachowski Brothers in die cineastische Grammatik eingeprägt hat. Er stand und steht bis heute auch für eine äußerst aufschlussreiche Schizophrenie des amerikanischen Kinos, eine Zerrissenheit und ein rastloses Oszillieren zwischen rau-derbem Machismo nebst hypermaskulinen Ritualen und einem ganz eigentümlichen, sensiblen Lyrizismus – so zurückhaltend und sanft, dass man ihn in einem Blinzeln des Auges schon übersehen könnte. Wohl auch deswegen wurde Peckinpah auch zu einem der am häufigsten unverstandenen Filmemacher des amerikanischen Kinos, seine Karriere ein zäher Kampf um jeden Film, mal triumphal gewonnen, häufiger tragisch gescheitert. Jeder Moment von Poesie der Maschine abgerungen.

PassionSam Peckinpah war ein brillanter Filmemacher. In seiner nur 22 Jahre währenden Karriere konnte er dem anfangs noch starren, kunstfeindlichen, dann durch die Auteurs von New Hollywood aufgebrochenen und schließlich wieder neu in Klischees gerinnenden Apparat des amerikanischen Kinos 14 Filme abtrotzen, davon mindestens sechs absolute Meisterwerke. Der ikonische Moment für die Ewigkeit wird wohl immer der blutige Showdown von „The Wild Bunch“ bleiben, und doch, wie typisch für den Filmemacher Peckinpah, birgt selbst dieser unbestreitbare Triumph ein klein wenig Tragik: machte es ihn doch fortan vor allem zu „Bloody Sam“, dem Regisseur, der den Spätwestern zum bis dato ungekannt blutrot von der Leinwand berstenden Massaker fortschrieb. Sicher, Peckinpah war immer auch ein Filmemacher der Gewalt, doch die Ignoranz, die fortan sanfteren Werken wie „The Ballad of Cable Hogue“ oder „Junior Bonner“ zuteil werden sollten, lässt sich sicherlich immer auch ein wenig zum Schock von „The Wild Bunch“ zurückverfolgen. (Auch, wenn dieser natürlich selbst immer schon ausblendet, wie lyrisch, langsam und poetisch „The Wild Bunch“ in Wirklichkeit erzählt ist.)

Sam Peckinpah war ein schwieriger Filmemacher. Eines jener Genies, die mit Nachdruck absolute Freiheit zur Umsetzung ihrer künstlerischen Visionen verlangten und doch des Apparates vielleicht auch dringend bedurften, gegen den sie so wuterfüllt ankämpften. Kaum einer seiner Filme kam ohne Skandale, Streitereien und Machtkämpfe zustande, die allzu oft die an poetischem Ausdruck wenig interessierten Studioschergen gewannen. Bereits Peckinpahs dritter Film, nach dem zuerst in Double Features verheizten, dann zum Arthouse-Erfolg avancierten ersten großen Werk „Ride the High Country“, geriet ihm zum persönlichen und künstlerischen Desaster, von dem er sich wohl niemals so ganz erholte: „Major Dundee“, gegen größte studiopolitische Widerstände halbwegs zu Ende abgedreht, wurde ihm, teils wohl aus rein böswilliger Schikane, vom Studio in der Postproduktion aus der Hand genommen und zu einem lächerlichen Torso verstümmelt. Ein Schicksal, das in der Folge auch die Meisterwerke „The Wild Bunch“ und „Pat Garrett and Billy the Kid“ traf, und das teilweise erst mehrere Jahrzehnte später in aufwendigen Restaurationen zumindest gemildert werden konnte – wenn überhaupt; stellt doch auch die inzwischen auf DVD verfügbare „Extended Edition“ von „Major Dundee“ noch immer einen auf tragische Weise unvollendeten Film dar.

Passion2Sam Peckinpah war ein faszinierender Filmemacher. Und wohl, weil er all das auf einmal war, hat sich der 1967 geborene Deutsche Mike Siegel entschlossen, zu einem der bedeutendsten Peckinpah-Biographen und Gralshüter seines Werkes zu werden. Die Cinephilen des deutschsprachigen Raumes profitierten von der Leidenschaft des Autoren, Filmemachers und Festivalmachers schon vielfach, etwa durch die wesentlich durch seine Initiative entstandene DVD-Edition zu „Straw Dogs“, die den hierzulande zuvor nur gekürzt und überhaupt in unwürdiger Form publizierten Klassiker endlich angemessen präsentierte und kontextualisierte, oder auch durch den wunderbaren Fotoband „Passion & Poetry: Sam Peckinpah in Pictures“. Unter dem gleichen Titel „Passion & Poetry“ veröffentlicht Siegel nun, vier Jahre nach der Fertigstellung und der Premiere auf dem Münchner Filmfest, auch seine große Dokumentation und Hommage an seinen Heroen. „The Ballad of Sam Peckinpah“, das trifft den Tonfall des Filmes schon sehr genau: Es geht hier eindeutig und niemals verschleiert um Heldenverehrung, weniger um eine kritische oder analytische Auseinandersetzung mit dem Werk Peckinpahs. Der Schwerpunkt Siegels liegt dabei auf Interviews mit den Weggefährten des Filmemachers, der im Verlauf seiner Karriere eine eingeschworene Truppe von Mitarbeitern um sich versammelte. Mit James Coburn, Kris Kristofferson, Ernest Borgnine, Senta Berger, Mario Adorf, David Warner, Bo Hopkins undundund versammelt sich hier tatsächlich eine eindrucksvolle Riege schauspielerischen Potenzials vor Siegels Kamera, um ihre persönlichen Erinnerungen an Peckinpah zu teilen. Ergänzt werden ihre Statements mit kurzen Filmausschnitten, die allerdings nahezu vollständig den Trailern der jeweiligen Filme entnommen sind – hier schlägt die unabhängige Produktionsgeschichte von „Passion & Poetry“ zu Buche, denn die Rechte für ausführlichere Filmausschnitte waren wohl schlicht nicht bezahlbar. Doch was auch zum großen Manko hätte werden könnte, das deutet Siegel zur bedeutendsten Stärke seines Filmes um. „Passion & Poetry“ erzählt in erster Linie vom Menschen Sam Peckinpah, den er in der Kombination von bei Dreharbeiten entstandenen behind the scenes-Filmaufnahmen, Statements aus Interviews und eben unzähligen Anekdoten und Reminiszenzen lebendig werden lässt. Als Ergänzung zur ohnehin für jeden Cinephilen unerlässlichen Begegnung mit dem Gesamtwerk Peckinpahs funktioniert „Passion & Poetry“ somit tatsächlich ganz wunderbar und stellt letzten Endes vielleicht auch jenes Vermächtnis dar, das Peckinpah mit seinem letzten Film, dem eher drögen (und hier auffälligerweise gleich nahezu völlig übergangenen) Verschwörungsthriller „The Osterman Weekend“, eher verwehrt blieb.

Passion & Poetry: The Ballad of Sam Peckinpah
(Deutschland 2005, Mike Siegel)
Regie, Buch, Schnitt: Mike Siegel; Musik: Gitanes Blondes, Kris Kristofferson; Kamera: Mike Siegel, Kara Stephens
Darsteller: Ernest Borgnine, James Coburn, Bo Hopkins, Senta Berger, Mario Adorf, David Warner, L.Q. Jones, R.G. Armstrong, Kris Kristofferson, Ali MacGraw, Lupita Peckinpah u.a.
Länge: 115 Min.
Verleih:El Dorado

Zur DVD von El Dorado

Die ohne großen Vertrieb im Rücken aus dem Boden gestampfte DVD-Edition ist schlichtweg beeindruckend. Auf der ersten DVD befindet sich neben dem Hauptfilm im englischen Originalton mit optionalen deutschen Untertiteln noch ein Audiokommentar von Mike Siegel, und auf der Bonus-DVD gibt es dann mit dem in drei Teile gesplitteten „Stories on a Storyteller“ gleich einen kompletten weiteren Dokumentarfilm mit mehr Interviews, mehr Anekdoten, mehr Informationen. Dieser belegt eindrucksvoll, dass „Passion & Poetry“ wohl auch locker doppelt so lang hätte ausfallen können. Weiterhin gibt es eine Featurette über die Drehorte von „The Wild Bunch“, ein 15-minütiges Interview mit Ernest Borgnine und eine Featurette über Mike Siegels Arbeit als Gralshüter Peckinpahs für Festivals, Retrospektiven oder Ausstellungen. Insgesamt eine fantastische DVD-Edition, die von wahrer Hingabe zeugt.

Bild: 1,78:1
Ton: Englisch (Dolby Digital 2.0)
Untertitel: Deutsch
Extras: Audiokommentar von Mike Siegel, Stories on a Storyteller (Teil 1: The Westerner, Teil 2: Art & Success, Teil 3: Poet on the Loose), Mapache Territory, Ernie on „The Wild Bunch“, Mike’s Home Movies
FSK: ab 12 Jahren

Diese DVD bei Amazon kaufen.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.