Rückblende

Manche Filme ermöglichen gerade dadurch, dass sie in Erzählung und Ausführung recht bieder sind, interessante Überlegungen über das Phänomen Film an ihnen anzustellen. Solche Überlegungen bewerten den Film dann zwar nicht mehr als ästhetisches Artefakt, zeigen aber immerhin, dass eigentlich kein Film so schlecht ist, als das man nicht noch etwas von ihm lernen könnte. Von dieser Binsenweisheit hat neben den eher unterschlagenen, weil als „künsterlisch geringerwertigen“ Genre- und Billigproduktionen auch der Hollywood-Blockbuster gezehrt, dessen Ästhetiken oft wie Fingerübungen debüttierender Regisseure aussehen, an denen sich das auf der Filmschule gelernte manchmal recht offensichtlich widerspiegelt.


„The Butterfly Effect“ kann man ohne großen Argwohn zum einem solchen Mainstream-Film zählen. Seine Zeitreise-Geschichte ist nicht besonders originell. Sie handelt von Evan, der als Kind unter Amnesie-Anfällen litt, in denen vor allem traumatische Situationen von seinem Bewusstsein „zensiert“ wurde. Bei einer neurologischen Untersuchung entdeckt man keine Auffälligkeiten und ermutigt den Jungen dazu, Tagebuch zu führen, um die Gedächtnislücken für eine spätere psychologische Behandlung besonders genau einkresen zu können. 13 Jahre später – Evan studiert mittlerweile Psychologie – entdeckt er, dass er beim Lesen seiner alten Aufzeichnungen die Vergangenheit ändern kann. In verschiedenen Ausflügen in seine Kindheit und Jugend versucht er nun die Gegenwart zu ändern, indem er bestimmte Ereignisse, die damals traumatisch für ihn waren, ungeschehen zu machen. Natürlich haben seine Zeitreisen unkalkulierbare Auswirkungen auf die Gegenwart – und so ist Evan bald damit beschäftigt, die katastrophalen Folgen seiner Eingriffe durch immer neue mentale Reise in die Vergangenheit zu korrigieren.

Die Story dreht sich um die Geschichte von drei Freunden und einer Liebe Evans. In je verschiedenen Situationen durchleben alle Beteiligten schlimme Ereignisse: Vom Kindesmissbrauch über eine Mordzeugenschaft bis hin zum ersten Verbrechen. Evan beeinflusst diese Ereignisse, welche dann die angesprochenen Folgen nach sich ziehen. Interessant ist nun, dass die Vorgehensweise Evans Strukturanalogien zum Film als erzählendem Kunstwerk besitzt. Seine Tagebücher lassen sich dabei als eine Art „Drehbuch“ seiner Biografie interpretieren, bei der jedes Umschreiben oder Ändern einer alten Szene den Plot (also die Biografie Evans) in ganz neue Richtungen bewegt. Nach seiner Rückkehr aus der Vergangenheit zieht zunächst auch immer ein „Film der geänderten Ereignisse“ an seinem gestigen Auge vorüber. Seine Zeitreisen selbst verhalten sich zu seinem Leben in der Gegenwart wie das erzählerische Mittel der „Rückblende“ für die erzählte Gegenwart eines Films: Jeder Ausflug in die Vergangenheit sorgt zwar für mehr Verständnis der Gegenwart (indem wir und Evan erstmals den Inhalt seiner zensierten Traumainhalte zu Gesicht bekommen) aber auch für einen fortschreitenden Aufbruch der Kohärenz der Handlung. Im Verlauf des Films unternimmt Evan immer häufiger Ausflüge in die Vergangenheit und konsequenterweise wird die gegenwärtige Handlung von „The Butterfly Effect“ immer unwichtiger und unbestimmter.

Interessant wird diese Strukturanalogie als Evan in seiner letzten Zeitreise, die am weitesten in seine Kindheit zurück reicht, vor den Punkt zurückkehrt, an dem er mit dem Schreiben seiner Tagebücher begonnen hat: Das Drehbuch existiert noch nicht – einzig ein alter 16-mm-Familienfilm, auf dem er erstmals Kontakt mit seiner späteren Liebe Kayley aufnimmt, dient ihm als „Passage“. Diese noch vage Idee, der – könnte man sagen – „Grundstein“ zu seiner Biografie, ist das Ziel seiner Änderung. Mit ihm ändert er nicht mehr nur die Parameter, sondern das gesamte Paradigma der Narration. Er erkennt – und darauf ließe sich schließlich jede Narration zurückführen -, dass die „unvorhergesehenen Folgen zielgerichteter sozialer Handlung“ (Robert K. Merton) es sind, die auch seine Biografie bestimmen. Nach seiner Rückkehr in die Gegenwart kennt er Kayley zwar nicht mehr (und sie ihn auch nicht), aber damit ist auch jede Form von erzäherischer/biografischer Katastrofe, die sich zwischen beiden Protagonisten ereignen könnte, verunmöglicht.

Dass Evan Psychologie studiert, könnte als eine weitere Ähnlichkeit zwischen seiner Biografie und der Filmhandlung gesehen werden. Sein Psychologiestudium steht für den letztmöglichen Punkt von Traumatherapie-Versuchen, die vom EEG über Hypnose (bei dem der Therapeut ihm erklärt, die Vergangenheit sei „only a movie“) bis hin zu psychiatrischen Behandlung reicht. Darüber hinaus dient ihm sein in der Gegenwart erworbenes psychlogisches Fachwissen auch dazu, seine Vergangenheit auf „professionelle Art“ zu ändern. Er greift nicht mehr nur einfach verhindertn in sie ein, sondern konfrontiert die Protagonisten dieser Vergangenheit konstruktiv mit den Konsequenzen ihrer Handlungen. So hält er Keyleys pädophilem Vater etwa einen Vortrag über die psychodestruktiven Konsequenzen seines kurz bevorstehenden Missbrauchs seiner Tochter, was diesen schließlich von seinem Vorhaben abbringt. Zusätzlich versorgt Evan das „Drehbuch seines Lebensfilms“ durch die Psychologisierung mit immer mehr Plastizität. Die Figuren werden für den Zuschauer zusehends verständlicher und authentischer.

In der Schlussequenz, also „bevor der Film zu Ende ist“, entscheidet sich Evan schließlich, seine alten Tagebücher zu vernichten. Er hat herausgefunden, dass das Leben – anders als sein Hypnotisieur ihm suggeriert hat – eigentlich doch kein Film ist: Indem er den das Drama bestimmenden Faktor aus dem Skritp gestrichen hat (also die Bekanntschaft mit Keyley anulliert hat), läuft sein Leben wieder in normalen Bahnen. Seine ereignissreiche Vergangenheit brennt nieder und der Abspann zieht am Zuschauer vorbei.

The Butterfly Effect
USA 2004
Regie: Eric Bress & J. Mackye Gruber

Stefan Höltgen

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