Berührung und Differenz

Der zweite (oder, wie mancher wohl behaupten würde, erste) Frühling des Dolph Lundgren ist zweifelsohne zu den überraschendsten Karrieren im noch jungen Kino des 21. Jahrhunderts zu zählen – und, wie passend, wohl hauptsächlich dem Zufall zu verdanken. Das erstaunliche Comeback Lundgrens als Actiondarsteller ist immerhin ganz wesentlich mit dessen neuem Profil als Autorenfilmer verbunden, und diese Rolle ist wohl in erster Linie dem labilen Gesundheitszustand Sidney J. Furies zu verdanken. Erst als dieser kurz vor Drehbeginn von „The Defender“ passen musste, übernahm nämlich Lundgren die Regie des schon detailliert geplanten Projektes – und verlieh dem Film doch einen individuellen, frischen Touch, der unter Furies Regie so kaum vorstellbar wäre. In der Folge bestätigte Lundgren sein Talent mit den weiteren Regiearbeiten „The Mechanik“ und „Missionary Man“ (sowie dem offiziell von Shimon Dotan inszenierten, Gerüchten zufolge aber während der Dreharbeiten von Lundgren übernommenen, in impressionistischen Stimmungsbildern schwelgenden „Diamond Dogs“) nicht nur, sondern schien gar von Film zu Film souveräner und ambitionierter zu werden. Mit „Direct Contact“ begab er sich nun zum ersten Mal seit 2004 – den obskuren Bibelfilm „L’Inchiesta“, in dem Lundgren in einer Nebenrolle auftaucht, mal außer Acht gelassen – in die Hände eines anderen Regisseurs, und prompt hält auch durchaus eine gewisse stilistische Wankelmütigkeit Einzug. So ungebrochen stilisiert wie Lundgren in seinen Postwestern geht Danny Lerner kaum ans Werk, und tatsächlich verfügt „Direct Contact“ über eine ganze Reihe von Charakteristika, die ihn nach klassisch filmkritischem Verständnis wohl als „misslungen“ markieren würden.

DirectContactUncut_DVD-D-1So ist etwa zu den auffälligeren Merkmalen von Lerners Film der extensive Einsatz von stock footage zu zählen – eine klassische Verfahrensweise des B-Movies, einem Werk mehr Schauwert zu verleihen, als das schmale Budget hergibt. Statt aufwendige Aktionssequenzen zu inszenieren (oder Naturaufnahmen an exotischen Schauplätzen, oder eben alles, was sich als Erscheinungsform „reinen Spektakels“ in den Film integrieren lässt), greift der Filmemacher hier auf bereits vorhandenes, in früheren Filmproduktionen verwendetes oder im Archiv gelagertes Material zurück und verfügt nun bereits über eine Reihe von Eckpunkten, um die herum er nun das neu inszenierte Material zu arrangieren hat. Dies stellt nun natürlich vor die Herausforderung, aus diesen unter Umständen vollkommen disparaten Versatzstücken heraus eine Art Geschlossenheit herzustellen, die die unterschiedlichen Genealogien des verwendeten Materials möglichst perfekt verschleiert. Zumindest wäre dies die Anforderung, die zur klassischen Vorstellung eines „gut gemachten“ Films im Sinne des amerikanischen Modells führen würde: eine unsichtbare Montage mit dem Ziel der Kreation einer möglichst ungebrochenen filmischen Ganzheit, hier eben nur vor eine zusätzliche Hürde gestellt. Der grundsätzlich illusionistische Charakter des Kinos wäre im Rahmen einer solchen Perspektive absolut und nicht in Frage zu stellen, und einen Film zu machen, das wäre diesem Modell zufolge ein bisschen so, wie einen Pullover zu stricken. Ein Handwerk, das grundsätzlich ähnliche Vorgehensweisen seitens des Ausführenden, der demzufolge kaum Künstler, höchstens Kunsthandwerker wäre, erfordert, und das sich verkompliziert mit der Anzahl der Fäden, die hier zu verschlingen und im Überblick (produzenten- wie rezipientenseitig) zu behalten sind. Das mag zwar im Falle gewisser Ansprüche an das Kino eine legitime Sichtweise sein, es ist gleichwohl natürlich auch eine äußerst langweilige, schon deswegen, weil sie in letzter Konsequenz auf ein bloßes Abfragen eines Filmes nach einem immer gleichen Kriterienkatalog hinausläuft und somit auf eine ewig redundante Bestätigung und Reproduktion eines Wissens vom Kino, das man immer und immer wieder auch schon vorher hatte.

DirectContact_010-1Tritt man nun aber, jenseits des „gut“ oder „schlecht Gemachten“ in ein Kommunikationsverhältnis zu dem Film „Direct Contact“, so tun sich mit einem Mal Sinnebenen auf, welche die Beschäftigung mit diesem Artefakt sehr gewinnbringend erscheinen lassen können. Schon der Titel „Direct Contact“ wird nun als Kommentar auf die Struktur des Filmes lesbar, indem er seine inhärente Doppeldeutigkeit entfaltet. Der Kontakt, das meint schließlich nicht nur die Nähe, sondern immer gleichzeitig auch die Distanz; die Berührung betont stets auch die grundlegende Alterität. Und Danny Lerners Film oszilliert zwischen diesen beiden Polen: Die mangelnde Perfektion in seiner Bemühung, eine durchgehende kinematographische Bewegung im Collagieren von disparatem Material auszuformen, reißt Lücken zwischen den Bildern auf, durch die der filmische Produktionsprozess durchscheint. Somit lässt sich „Direct Contact“ etwa ebenso mühelos als Allegorie auf den arbeitsteiligen Prozess des Filmemachens selbst wie als konsequente Offenlegung des illusionistischen Charakters der Montage lesen. Im Auseinanderklaffen zwischen zwei Sequenzen – mehr noch: zwischen Ursache und Wirkung – kommt das grundsätzlich Achronologische des Kinos ins Spiel, das durch avanciertere Montagetechniken fürgewöhnlich aus dem Blickfeld gerät, und zersetzt die nicht mehr als geschlossen wahrnehmbare Welt der filmischen Narration. Der Stellenwert der Aktionssequenz selbst verschiebt sich also vor der Erzählweise von „Direct Contact“, der dies auch in seinen schönsten Momenten buchstäblich zelebriert. So in einer der zahlreichen Autoverfolgungsjagden, die den Helden Mike Riggins durch den sich immer wieder umschichtenden Plot um ein Kidnapping, das sich in der Flexibilisierung der Frontlinien durch die diversen Demaskierungen des Verschwörungsplots gewissermaßen verdoppelt, tragen: Funken sprühen, Glas splittert, farbiges Licht und Explosionen gemahnen hier vor allem an ein Feuerwerk. Die Herauslösung des Spektakels aus dem Filmganzen und die Überführung in für sich selbst stehende, isolierte Bilder, von jenen den Plot transportierenden Sequenzen geradezu umflossen, lassen diese Momente von einem Hauch des Erhabenen umwehen. Die Explosion, die Destruktion, das Spektakel, der Schauwert – das alles ist hier nicht mehr als ein Bestandteil (unter verschiedenen, gleichwertigen) des Filmbildes zu klassifizieren. Stattdessen wird es zu seinem Fluchtpunkt.

Direct Contact
(USA/Deutschland 2009)
Regie: Danny Lerner; Buch: Danny Lerner, Les Welden; Musik: Stephen Edwards; Kamera: Ross W. Clarkson; Schnitt: Michele Gisser
Darsteller: Dolph Lundgren, Michael Paré, Gina May, James Chalke, Bashar Rahal, Vladimir Vladimirov, Raicho Vasilev, Nikolay Stanoev u.a.
Länge: 87 Min.
Verleih: Kinowelt

Zur DVD von Kinowelt

Qualitativ ist die DVD von Kinowelt tadellos ausgefallen. Die Bild- und Tonqualität sind hervorragend, die deutsche Synchronfassung ist durchaus akzeptabel ausgefallen. Bonusmaterial ist hingegen so gut wie keines vorhanden, jedenfalls nichts von Interesse.

Bild: 1,78:1
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1, Dolby Surround), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Trailer, Fotogalerie
FSK: JK – Keine schwere Jugendgefährdung

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3 Antworten auf „Berührung und Differenz“

  1. Hallo Jochen!

    Ein so schlechtes, Direct-To-DVD Action B-Movie mit solch geschwollenen Geschwaffel zu beschreiben, ist ja komplett irrwitzig! HALLOOOO! Das ist kein bedeutungsschweres Oscar-Meisterwerk! Das ist auch keine tiefgründige Literaturverfilmung!
    Das ist ein einfacher ACTIONFILM!!!

    Liebe Grüße,

    Holger

  2. HALLOOOO, Holger!

    Tiefgründigkeit ist keine Frage des Sujets, des Genres, der Produktionskosten, der Auszeichnungen oder der literarischen Vorlage. So würde man ja jeden Film nach fremden & von außen an ihn herangetragenen Kategorien bewerten könnnen, ohne ihn gesehen zu haben. Seine Gedanken nur dort springen zu lassen, wo es einem die Academy erlaubt, scheint mir auch ein reichlich kuschendes Verhalten zu sein…

  3. Hallo Holger –

    nein, einem Oscarpreisträger hätte ich wohl auch nicht so viel Aufmerksamkeit zugebilligt. Der trägt ja nur allzu oft seine Anliegen auf dem Silbertablett vor sich her und bedarf somit viel weniger als ein DTV-Actionfilm einer eingehenderen Betrachtung im Hinblick auf seine verborgenen Subtexte.

    Danke jedenfalls für Deinen Zuspruch und das Lob meiner Rezension! :)

    Auch Dir liebe Grüße, und bis demnächst zur Steven-Seagal-Review,
    Jochen

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